Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter

MieterEcho online 13.09.2018

Hausbesetzung Großbeerenstraße 17A

Die Besetzung von Räumen im Hause Großbeerenstr. 17A in Kreuzberg am 8. September 2018 fand ein starkes öffentliches Echo. Die Berliner Tageszeitungen brachten große Artikel zu den Ereignissen und auch in anderen Medien wurde ausführlich und an folgenden Tagen z.T. noch weiterhin darüber berichtet.

In den Aushängen, die in der Umgebung des Hauses angeheftet und von der “Hausprojektgruppe Großbeerenstraße“ unterzeichnet waren, wurde angedeutet, dass es sich nur um einen ersten Schritt in einem jetzt angebrochenen “Herbst der Besetzungen“ handele. Die mitgelieferten Informationen zu dem speziellen Fall entsprachen allerdings nicht durchweg den realen Hintergründen. So wurde der Eindruck vermittelt, die Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft mbh, die das Haus besitzt, sei für einen weitgehenden Wohnungsleerstand in dem Gebäude seit “mindestens acht Jahren“ verantwortlich. Demgegenüber ist festzusstellen, dass sie das Gebäude erst vor noch nicht ganz vier Jahren erworben hat. Ferner wurde die Eigentümergesellschaft mit einem Neuköllner “Wohnprojekt für Roma-Familien“ in Verbindung gebracht, mit dem in Wirklichkeit jedoch nicht sie, sondern der Vorbesitzer des Hauses Großbeerenstr. 17A etwas zu tun gehabt hatte. Die folgenden Ausführungen enthalten zunächst einige Richtigstellungen, die für eine angemessene Einschätzung der Situation in diesem speziellen Falle und weitere Diskussionen nicht unwichtig erscheinen. Dazu soll zunächst die Geschichte des Hauses mit der Abfolge der Eigentumsverhältnisse kurz in den Blick gerückt werden.

Das im neunzehnten Jahrhundert erbaute Gebäude war ab 1879, wie in einem ausführlicheren historischen Artikel dazu im Heft Nr. 15 der Kiezzeitschrift Kreuzberger Horn nachzulesen ist (vgl. www.kreuzberger-horn.blogspot.com), über viele Generationen hinweg im Besitz der Familie Dobislaw. Es wurde berühmt durch das berlinweit bekannte Weinlokal Bacchus Keller, das dort bis 1988 existierte. Momentan ist der Eingang der seit Jahrzehnten leerstehenden Kellerräume von Pflanzen überwuchert.

Im Jahre 2010 wurde das Gebäude an den mehrfachen Immobilienbesitzer Thilo Peter verkauft, der zu jener Zeit als CDU-Bürgerdeputierter der Bezirksverordnetenversammlung von Charlottenburg-Wilmersdorf angehörte. Wenn er mit der Gruppe der Roma in Verbindung gebracht wird, so mag das spontan mit einer solidarischen Unterstützung von Diskriminierten assoziiert werden, aber die gegen ihn gerichteten Beschwerdebriefe von Leuten in der Stuttgarter Straße in Neukölln an das dortige Bezirksamt boten ein gegenteiliges Bild seiner Person. In einem Artikel vom 12.07.2013 in der Zeitung Neues Deutschland heißt es dazu: “Dass in Berlin Wohnungen in heruntergekommenen Häusern zu Wucherpreisen an Familien aus Rumänien und Bulgarien vermietet werden, ist kein Geheimnis. Auch der Eigentümer des Hauses in der Stuttgarter Straße ist dabei kein Unbekannter: Thilo Peter, Steuerberater und aktiv im CDU-Ortsverband Charlottenburg-Nord, besitzt insgesamt fünf mehr oder weniger baufällige Häuser in Berlin, die er fast ausschließlich an Rumänen und Bulgaren vermietet.“ Eine solche Grundeinstellung mit einem offensichtlichen Interesse am Einsparen von Instandhaltungskosten schlug sich dann auch auf die Situation im Hause Großbeerenstraße Nr. 17A nieder, dessen Besitzer Thilo Peter gut vier Jahre lang war. Es waren die eigentlichen Jahre des skandalösen Leerstands und Verfalls in dem Hause. Als das zuvor nicht existierende Zweckentfremdungsverbot herannahte, hielt er es wohl für klüger, das Gebäude zu veräußern. Gegen Endes des Jahres 2014 übernahm es die Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft mbH, die größte der 51 katholischen Siedlungsgesellschaften.

Einen nahezu totalen Leerstand gab es in dem Hause weiterhin, und es folgten Konfrontationen zwischen dem Bezirk und der Eigentümergesellschaft, über die hier nur andeutungsweise berichtet werden kann. Im Dezember 2016 reichte z.B. Julian Schwarze, Sprecher der Fraktion ‘Bündnis 90/Die Grünen in der BVV, eine Anfrage wegen des Leerstands des Gebäudes an den zuständigen Sozialstadtrat ein. In der Antwort hieß es, dass von der Eigentümerseite Leerstandsanträge wegen kompletter Sanierung gestellt wurden, und dass die zunächst bis einschließlich Juni 2017 genehmigt wurden. Es gebe auch, hieß es weiter, regelmäßige Anfragen des Bezirks zum Bau- und Planungsverlaufs, bei dem nicht nur baurechtliche, sondern auch Milieuschutzkriterien zu berücksichtigen seien. Zu einer Veranstaltung am 5. September im Rahmen der Kiezwoche, bei der vor dem Gebäude Großbeerenstraße 17A über dessen Geschichte und die Leerstandssituation berichtet wurde, kamen von Julian Schwarze die folgenden Informationen: “Nach Angaben des zuständigen Planungs- und Architektenbüros der Eigentümer soll das Gebäude nach der Sanierung zu Wohnzwecken genutzt werden. Es gab im Oktober auch dazu Bauanträge, die nach der Überarbeitung bau- und milieuschutzrechtlich genehmigt wurden. ... Sämtliche Leerstandsgenehmigungen wurden widerrufen und es ergingen Rückführungsaufforderungen mit Zwangsgeldandrohungen für die Leerstandswohnungen. Der Eigentümer legte Widerspruch gegen den Widerrufsbescheid ein.“ Der Zwist geht also in einem sehr kompliziert anmutenden Prozess weiter. Von dem Plan eines sehr beachtenswerten Vorhabens, das Benjamin Marx von der Aachener Gesellschaft laut Artikel in der Berliner Morgenpost vom 10.9.2018 als “soziales Projekt für obdachlose Frauen“ bezeichnet, habe er erst sehr spät im Laufe dieses Sommers erfahren, sagt Julian Schwarze.

Die Besetzung des Hauses fand an dem Samstagnachmittag statt, an dem in der Nähe das gut besuchte Hornstraßenfest als Abschluss der Kiezwoche voll lief, und es gab dort zweimal Informationen dazu von der Musikbühne herab, einmal als Mitteilung, dass die Besetzung im nahegelegenen Haus soeben erfolgt sei und das zweite Mal die Information über zunächst zeitlich begrenzte Einigungen für eine Zwischennutzung, die bis zum 14. September laufen sollte, woraufhin das Publikum vor der Bühne applaudierte.
Katrin Schmidberger, die wohnungspolitische Sprecherin der Partei Grüne/Bündnis 90 auf Senatsebene, war zu dem Zeitpunkt zusammen mit Hans-Christian Ströbele und anderen Mitgliedern ihrer Partei auf dem Fest anwesend und eilte dann sogleich zum Ort der Besetzunggsaktion, wo inzwischen Polizeiwagen aufgefahren und zahlreiche aktiv Beteiligte sowie Zuschauende auf der Straße standen. Es ist, so kann nachträglich festgestellt werden, ganz besonders Schmidbergers entschiedenem Einsatz zu verdanken, dass es zu keiner Räumung und keinen Zusammenstößen kam. Sie hatte sofort den Innensenator angerufen und sich bestätigen lassen, dass es ohne Räumungstitel keinen sofortigen Polizeieinsatz geben durfte. Danach hatte sie das Gespräch mit Vertretern der Eigentümergesellschaft in die Wege geleitet. In einem weiteren Vermittlungsgespräch, das zwei Tage nach dem Tag der Besetzung stattfand, wurde der Nutzungsvertrag verlängert und es wurde eine Frist bis zum 14. Oktober 2018 ausgehandelt.

Zu Dienstag, dem 11. September, lud die besetzende ‘Hausprojektgruppe’ in öffentlichen Aushängen das Wohnumfeld und auch andere Interessierte dazu ein, vor dem Hause über Fragen des "Wie weiter" und "Was braucht der Kiez" zu diskutieren. Die Großbeerenstraße war zu dem Zweck in dem Abschnitt polizeilich gesperrt worden und es stand eine große Menge vor dem Haus, die dem Bericht zur gegenwärtigen Lage sowie einzelnen Vorschlägen lauschte. Vom ‘Kiezbündnis am Kreuzberg’, das mit etlichen Mitgliedern aus der unmittelbaren Umgebung vertreten war, kam der Wunsch, in nächster Zeit den monatlichen ‘Kiezratschlag’ in Räumen des Hauses abhalten zu können, um somit Zeichen für einen Nachbarschaftsbezug mit konkret in der unmittelbaren Umgebung ansässigen Leuten zu setzen. Ein Interesse an der Nutzung von Räumen in dem Haus besteht u.a. auch bei einer Frauenwohngemeinschaft im Kiez. Von der Initiative ‘Wem Gehört Kreuzberg’ wurde eine Solidaritätserklärung verteilt, in der es hieß, die Hausprojektgruppe Großbeerenstr. 17a brauche einen Ort, “um nach dem Prinzip gegenseitiger und solidarischer Unterstützung zu wohnen.“ Voraussetzung ist dabei immer, dass solche Nutzungen vereinbart werden können ohne ein Nachholen der jetzt erst einmal ausgesetzten Räumungsforderung, aber nach der Einschätzung von Katrin Schmidberger lässt die derzeitige Atmosphäre der Verhandlungsbereitschaft solche Vorstellungen  nicht von vornherein unrealisierbar erscheinen.

Offen bleibt weiterhin, ob diese Aktion eine Fortsetzung in einem angekündigten ‘Herbst der Besetzungen’ findet und ob die sog. ‘Berliner Linie’ mit ihrem Gebot der Räumungen innerhalb von 24 Stunden zugunsten flexiblerer Lösungen aufgegeben wird. In diesem einen Falle kam sie wegen der Verhandlungsbereitschaft der Eigentümerseite gar nicht erst zur Anwendung.

Jürgen Enkemann

 

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