MieterEcho online 11.03.2016
Kiezladen bleibt? Einem soziokulturellen Zentrum in Neukölln droht der Rauswurf
„Ich komme auf jeden Fall zur Abschiedsparty.“ Mit diesen Worten verließ im Oktober letzten Jahres der Gerichtsvollzieher den Kiezladen in der Neuköllner Friedelstraße 54, nachdem er dem Verein die Kündigung der Räume ausgehändigt hatte. Der Kiezladen ist ein selbstverwaltetes soziokulturelles Zentrum im Reuterkiez und wird von über 15 Gruppen, Initiativen und Projekten genutzt. Hier werden Kneipen- und Filmabende veranstaltet, Lesungen und Vorträge gehalten und eine Nähwerkstatt sowie Kurse für Geflüchtete oder zum Thema Datensicherheit im Netz angeboten. Im Keller befindet sich ein kleiner Umsonstladen. Getränke und Essen gibt es gegen Spende. In der Siebdruckwerkstatt bedrucken Musikbands, Schulklassen und Kitagruppen ihre T-Shirts. Alles ehrenamtlich. Die Finanzierung läuft über Spenden.
Das Mietshaus in der Friedelstraße 54 wurde 2013 von der Citec Immo Invest GmbH gekauft. Ziel der Firma ist nach eigenen Angaben die Gewinnsteigerung durch Mieterhöhungen sowie Modernisierung und Weiterverkauf. Auch die Mieter/innen der Friedelstraße 54 erhielten die Ankündigung für eine umfassende Modernisierung und eine anschließende Mieterhöhung von bis zu 200%. Seit 1,5 Jahren befinden sie sich im Rechtsstreit mit dem Vermieter und sind mit Schikanen vonseiten der Hausverwaltung M. Mende GmbH konfrontiert. Die Bauarbeiten konnten bis jetzt verzögert werden (MieterEcho Nr. 377/ Oktober 2015).
Gewerberäume wie der Kiezladen haben keinen mietrechtlichen Kündigungsschutz und können ohne Angabe von Gründen gekündigt werden. Daher hielten sich die Betreiber/innen aus dem Konflikt zwischen der Hausgemeinschaft und dem Vermieter raus. Sie zahlten pünktlich die Miete und erklärten sich mit den Bauarbeiten sowie der anschließenden Mieterhöhung einverstanden. Das brachte leider wenig. Für die soziokulturelle Arbeit mit mehr als zehnjähriger Tradition und für das damit entstandene Netzwerk würde die nun vorliegende Kündigung zum 30. April das Ende bedeuten. Der Kiezladen erklärte der Citec Immo Invest GmbH per Brief die Bedeutung des Ladens im Reuterkiez und bat um Rücknahme der Kündigung bzw. um einen neuen Mietvertrag. Als eine Reaktion ausblieb, entschieden sich die Betreiber/innen und ihre Gäste, für den Erhalt des Ladens zu kämpfen. Dass solches Bemühen nicht aussichtslos sein muss, zeigt die Geschichte des Kreuzberger Gemüseladens „Bizim Bakkal“. Die Proteste der Nachbarschaft führten zu einem internationalen Medienecho und letztlich zur Rücknahme der Kündigung.
Bezirkspolitik hält still
Im Dezember demonstrierten 800 Menschen gegen Verdrängung, steigende Mieten und Zwangsräumungen – und vor allem für den Erhalt des Kiezladens. Zu einer weiteren Demonstration kamen 4.000. Ende Februar forderte eine Kundgebung vor dem Rathaus Neukölln die Bezirksverordnetenversammlung zur Unterstützung auf. Konkret ging es um die Initiierung eines runden Tischs, um die Kommunikationsblockade der Citec aufzulösen. Obwohl der Reuterkiez im Oktober 2015 zum Milieugeschutzgebiet erklärt wurde, lehnte Baustadtrat Thomas Blesing (SPD) jede Verantwortung ab. Doch Martin Sander, Sprecher des Kiezladens, gibt die Hoffnung nicht auf: „Ich denke, dass eine einvernehmliche und friedliche Lösung auch im Interesse des Bezirks ist.“ Ziel ist es, durch mehr Öffentlichkeit Druck auf die Politik zu erzeugen und eine Einmischung in den Konflikt zu bewirken. Verschiedene lokale und überregionale Medien berichteten bereits über den Fall. Selbst die spanische Onlinezeitung „El Confidencial“ veröffentliche einen Artikel über „Berliner auf Kriegsfuß mit gierigen Immobilienunternehmen“. Sympathiebekundungen kamen von 40 Berliner Kunst- und Kulturvereinen, Durchhaltegrüße aus vielen Städten Deutschlands und sogar aus Griechenland. Weitere Aktionen sind geplant, auch eine Demonstration vor dem Firmensitz der Citec in Wien. Am 30. April soll eine große Kundgebung mit Open-Air-Konzert stattfinden. Ob der Kiezladen bleibt, wird sich dann zeigen.
Lena Lottke
Weitere Informationen: https://friedel54.noblogs.org