Dass die Zwangsräumung des Nordneuköllner Sozialen Zentrums „Friedel54“ für Streit im Senat sorgt, war schon vorher klar, und dass die Polizei dabei unnötig gewalttätig war, wurde am Donnerstag sofort bekannt. Wie schlimm ihr Vorgehen wirklich war, zeigt sich aber erst nach und nach. Und die peinliche Fehlmeldung von der angeblich unter Strom gesetzten Tür ist immer noch nicht ganz aufgeklärt.
Erschütternd ist aber, was in den letzten Tagen in Sachen Polizeigewalt zu erfahren war. Zum einen werden nach und nach weitere Videos von Schlägen und anderen Gewalttaten gegen Sitzblockierende bekannt. Zum anderen ist da die Gewalt gegen die Presse.
Ein Fotograf hat die großen blauen Flecken an einem Oberarm ablichten lassen, die ihm die Polizei zugefügt hatte. Fotografiert hat den Kollegen der Filmemacher und Fotograf Matthias Coers. Der MieterEcho-Bildredakteur Coers wurde, wie viele andere Presseleute, trotz Presseausweis vor Beginn der Räumung vom Schauplatz des Geschehens weggedrängt. Er berichtet zudem von Schlägen gegen Kopf und Kamera, wobei ein Stück seines Apparats abgebrochen sei.
Zu den Weggedrängten gehörte auch der Fotograf Florian Boillot. Er berichtet, dass er und weitere KollegInnen in die Polizeikette auf der Kreuzung Weserstraße gedrängt wurden, wo einige von ihnen in eine „Prügelei“ der dortigen Polizeikräfte mit Protestierenden geraten seien. Es war der Moment, wo nach Stunden des Wartens die Räumung der Sitzblockade vor dem Haus begann. Als Boillot später wieder bei der Räumung zuschauen durfte, habe sich ihm ein Mitglied des polizeilichen Anti-Konflikt-Teams immer wieder vor die Kamera gestellt und ihn zudem mehrmals geschubst. Ein Kollege, der nicht genannt werden möchte, berichtet ebenfalls von „frechem“ Verhalten der gelbe Westen tragenden Anti-Konflikt-Polizisten, insbesondere von einer offensichtlichen Führungsperson mit drei Sternen auf der Schulter.
Im Hof der Friedelstraße 54, wo es eine Sitzblockade Dutzender Personen gab, aber keine Presse erlaubt war, hat die Polizei offenbar besonders stark gewütet. Der Holzzaun zum Nachbarhof ist teilweise zerstört, der Müll mindestens einer Tonne auf dem Rasen verteilt. Ein Bewohner der Weserstraße 211, der mit den Geschehnissen vertraut ist, aber anonym bleiben möchte, sagt gegenüber MieterEcho online, dass die Polizei ohne die Eigentümer zu fragen durch dieses Eckhaus gegangen und den Zaun zur Friedelstraße 54 kaputt gemacht habe. Die Sache mit dem Müll hat laut einer Person, die in der Friedelstraße 54 wohnt und die Gewalt im Hof filmte, mit „Einschüchterung“ zu tun: „Ein Polizist, der besonders brutal war, hat die Mülltonne umgetreten.“
Ein anderer Bewohner berichtet von herumgeworfenen Fahrrädern und zeigte am Samstag die aufgebrochene Tür des kleinen Kabuffs im Treppenhaus, in dem zudem ein Kinderwagen demoliert worden sei. Er zeigte auch ein durchgeschnittenes Fahrradschloss vor und kündigte Schadenersatzforderungen an die Polizei an.
Skandalös ist ebenfalls die Polizeimeldung über eine angeblich unter Strom gesetzte Tür. Am Freitagnachmittag nahm die Polizei nach kritischen Pressefragen die am Donnerstag verbreitete Meldung von der „Lebensgefahr“ für Polizisten zurück. Sie erklärte: Unter der Tür vom Hof zum Keller sei ein Kabel gesehen worden, daraufhin sei die Tür mit einem Spannungsprüfer untersucht und auf dem Knauf Spannung festgestellt worden. Daraufhin sei zur Sicherheit „die Hausversorgung abgesperrt“ worden. Nach Betreten des Kellers durch ein Fenster sei allerdings festgestellt worden, dass das Kabel nicht an eine Stromquelle angeschlossen war. So weit, so unverständlich zunächst. Im Internet gab es Jubel über das Neuköllner Energiewunder: Spannung ohne Stromquelle.
Erst am Montag gab es weitere Ausführungen. Gegenüber MieterEcho online teilte die Polizei schriftlich mit: „Beim Öffnen der Tür löste sich das Kabel, so dass ein Stromfluss ausgeschlossen werden konnte.“ Dann sei auch keine Spannung mehr am Knauf gemessen worden. In dieser Erklärung kommt das Betreten des Kellers durch ein Fenster nicht mehr vor – in der ersten Version konnte ja so festgestellt werden, dass es keine Stromquelle gab. Diese erste Version ist allerdings unplausibel, weil die Kellerfenster laut einem Hausbewohner unbeschädigt sind. Zudem sagen Personen aus Vorder- und Hinterhaus, dass sie am Tag der Räumung keinen Stromausfall hatten (allerdings ist das Gas am heutigen Dienstag nach wie vor abgestellt). Damit nicht genug: Laut einem Bewohner kann nur im Keller der Hausstrom abgestellt werden. Das hätte die Polizei also nicht getan, wenn sie im Keller ohnehin festgestellt hatte, dass das verdächtige Kabel ohne Stromquelle war.
Vermutlich hat die Polizei schlicht die verdächtige Tür geöffnet. Ihre (vorerst) letzte Erklärung dazu legt das nahe. Ebenso eine Aussage, die das Online-Magazin www.neukoellner.net schon am Freitag veröffentlichte: „Der Kontakt mit der Stromquelle sei beim Öffnen der Tür abgerissen, sodass es nicht zu Verletzungen kam.“
Die Polizei reagierte also anscheinend auf die Kritik an einer Falschmeldung mit weiteren Unwahrheiten. Die Berliner Morgenpost (Samstagsausgabe) meldete unter Berufung auf die Polizei sogar, es seien „an dem Knauf Drähte“ gewesen.
Des Rätsels Lösung ist laut der Stellungnahme von Montag: „Auf Grund der feuchten Kellerräume kann das Ergebnis der ersten Messung über sogenannten „Kriechstrom“ erklärbar sein. Zur Stärke der Spannung kann keine konkrete Angabe gemacht werden.“ Ein unter einer Holztür eingeklemmtes Kabel soll also Strom auf den Metallknauf übertragen haben, allerdings sind weder ein konkretes Messergebnis noch eine Stromquelle bekannt. Ab hier müssen ElektrikerInnen und PhysikerInnen weiter ermitteln oder beurteilen.
Innensenator Geisel (SPD) hatte den Polizeieinsatz schon kurz nach Ende der Räumung als „angemessen und besonnen“ gelobt. Am Samstag kritisierte die mitregierende Linke bei ihrem Landesparteitag den Einsatz. Sie kündigte dann eine Aufarbeitung der Geschehnisse bei der Räumung auf mehreren Ebenen an. Im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses am Montag wurde das Thema jedoch aus Zeitgründen vertagt.
Ralf Hutter
... zurück zu MieterEcho online ...