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MieterEcho online – 25.10.2011

Verstärker einer verfehlten Wohnungspolitik

 

Tourismus und Wohnraumverknappung und welche Rolle Ferienwohnungen als grenzüberschreitende Kapitalanlage dabei spielen

 
Henning Füller
 

Viele Mieter/innen sehen sich derzeit mit einer angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt konfrontiert und erleben einen rapiden Wandel ihres Wohnumfelds. Bei der Suche nach Erklärungen ist seit Anfang des Jahres zunehmend der Tourismus ins Visier geraten. Um den Zusammenhang von Tourismus und der Verengung des Wohnungsmarkts zu klären, lohnt eine genauere Beschäftigung mit den ökonomischen Hintergründen. Eine prägende und bisher wenig beachtete Ursache für die schwindende Anzahl insbesondere günstiger Mietwohnungen ist der Erwerb einzelner Wohnungen in Berlin als individuelle Kapitalanlage auf dem europäischen Immobilienmarkt.


Wie bereits im MieterEcho Nr. 348/ Juli 2011 beschrieben, stehen viele Wohnungen gerade in den Innenstadtbezirken dem regulären Mietmarkt nicht mehr zur Verfügung, sondern werden privat oder über professionelle Agenturen als Ferienwohnungen vermietet. Mit der nun vorgelegten Studie des MieterEchos gibt es erstmals belastbare Zahlen und der Eindruck bestätigt sich, dass in keiner anderen deutschen Großstadt so viele Ferienwohnungen vermietet werden wie in Berlin. Dadurch verschärft sich die Situation in bestimmten Stadtteilen. Besonders in den als touristisch attraktiv geltenden Stadtteilen von Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln ist der Wohnungsmarkt so angespannt wie selten zuvor. Dieser Wohnraummangel ist nur bedingt mit der Attraktivität der jeweiligen Kieze zu erklären. Hinzu kommt, dass in ganz Berlin zwar die Nachfrage nach Wohnraum ständig steigt, aber der Wohnungsbestand stagniert. Neubau ist spärlich und meist hochpreisig. Vor diesem Hintergrund fällt jede weitere Reduzierung der verfügbaren Mietwohnungen durch Ferienwohnungen spürbar ins Gewicht. Vonseiten der Stadt wird das Problem allerdings bisher ignoriert.
 

Suche nach authentischem Leben

Ein offensichtlicher Grund für die zunehmende Zahl der Ferienwohnungen ist die gestiegene Nachfrage durch Touristen. Faktisch hat die Zahl der Tages- und Übernachtungsgäste in der ganzen Stadt und insbesondere in bestimmten Stadtteilen wie Kreuzberg oder Nord-Neukölln in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die Forschung hat bereits einen neuen Typus des Stadttouristen ausgemacht, der den Besuch nicht auf die klassischen Sehenswürdigkeiten beschränkt, sondern sich für das authentische Leben in der Stadt interessiert. Zunehmend suchen Städtereisende gezielt die lebendigen Quartiere abseits der touristischen Attraktionen auf, gehen möglichst in die typischen Cafés und fühlen sich in der gründerzeitlichen Hinterhofwohnung wohler als in einem schicken Hotel oder im Hostel. Auch die temporär Beschäftigten, die gerade durch die in der Kreativwirtschaft übliche Projektarbeit nach Berlin kommen, verstärken diese Nachfrage nach authentischem Kiez-Wohnen. Die gestiegene Nachfrage nach Ferienwohnungen allein erklärt die deutliche Zunahme aber nur zum Teil. Entscheidend ist auch die Angebotsseite und hier wird eine wesentliche Veränderung oft ausgeblendet: Ferienwohnungen in Berlin sind auch das Resultat einer neuartigen grenzüberschreitenden Strategie individueller Kapitalanlage.

Immobilienparadies für Kleinanleger

Gerade im Vergleich mit europäischen Hauptstädten ist der Wohnungsmarkt in Berlin noch immer günstig. Grenzüberschreitende Kapitalanlagen im Immobilienbereich waren lange Zeit institutionellen Anlegern und Fonds vorbehalten. Seit Ende der 90er Jahre sind auch Privatanleger aus dem europäischen Ausland auf den Berliner Wohnungsmarkt aufmerksam geworden. Üblicherweise geht es um kleine private Vermögen. Aus Ersparnissen oder kleineren Erbschaften sollen häufig Beträge um die 100.000 Euro als Alterssicherung verwahrt werden. Die Käufer, unter anderem aus Irland, Dänemark, Italien und Spanien, schätzen Immobilien als solide Anlage, werden auf dem teuren heimischen Markt aber nicht fündig oder fürchten das Platzen der dortigen Immobilienblasen, insbesondere nach den Erfahrungen mit der 2007 ausgelösten sogenannten Subprime-Krise in den USA (MieterEcho Nr. 327/ 2008). Nach einer Studie der OECD und der Europäischen Zentralbank sind Wohnungen in den genannten Ländern bis zu 40% überbewertet. Die Ursache ist die durch niedrige Zinsen angeregte und durch eine laxe Kreditvergabe bewusst angeheizte Nachfrage. Für Berlin wird dagegen nach wie vor eine Wertsteigerung erwartet. Neben rein ökonomischen Zahlen erleichtern das touristische Interesse an Berlin und die Qualität zentral gelegener Altbauwohnungen eine grenzüberschreitende Kaufentscheidung. Berlin wird im Ausland als Immobilienparadies beschrieben. Gezielt werden daher einzelne Wohnungen gekauft, vor allem günstige 1- oder 2-Zimmer-Wohnungen in Kiezlage, also genau jene Wohnungen, an denen ein besonderer Mangel besteht.
 

Zweitwohnung in Berlin

Eine Zweitwohnung in Berlin wird als attraktive Kapitalanlage im europäischen Ausland geschätzt. Abschreckend ist allerdings der im europäischen Vergleich relativ gute Mieterschutz in Deutschland. Zudem mangelt es an Kenntnissen zur Beurteilung der Wohnlage und zum juristischen Prozedere einer Kaufabwicklung in Deutschland. Für Kapitalanleger aus dem Ausland ist es deshalb besonders attraktiv, eine Wohnung mithilfe einer spezialisierten Vermittlungsagentur zu kaufen und diese als Ferienwohnung zu vermarkten. Bei einer temporären Vermietung entfallen Beschränkungen wie Kündigungsschutz und jegliche Bindung an eine ortsübliche Vergleichsmiete. Zudem kann die Wohnung bei Bedarf kurzfristig selbst genutzt werden, wenn die Eigentümer mal ein Wochenende in Berlin verbringen möchten.
 

Dienstleistung Ferienwohnungsvermittlung

Früher nutzten Käufer oft private Kontakte, um geeignete Objekte ausfindig zu machen, Besichtigungstermine zu organisieren und den Kauf abzuwickeln. Aus dieser Hilfestellung für Bekannte entwickelten sich viele professionelle Agenturen, und inzwischen hat sich ein eigener Markt für diese Dienstleistung etabliert. Eine Reihe von Maklern bieten Wohnungen explizit für internationale Käufer (siehe zum Beispiel www.pure.berlinproperties.com, www.buyberlin.co.uk). Für dänische Käufer organisiert die Agentur Berlinmaegleren sogar bereits seit 10 Jahren Charterflüge und Rundfahrten für Objektbesichtigungen. Die durch eine Agentur getroffene Vorauswahl der Objekte und die organisierten Besichtigungen beschleunigen den Verkauf. Dadurch wird die Dienstleistung auch für Makler und Immobilienbesitzer attraktiv, und sie gewähren den Agenturen Zugriff auf Angebote, bevor diese auf den regulären Markt kommen. Die Option der späteren Vermietung als Ferienwohnung wird häufig als besonders renditeträchtig herausgestellt. Andere Agenturen übernehmen die spätere Vermittlung als Ferienwohnungen, besorgen Schlüsselübergabe, Endreinigung und Instandhaltung (siehe zum Beispiel www.akkusativ.de, www.homefacility.org). In einigen Fällen gibt es die gesamten Dienstleistungen aus einer Hand (siehe zum Beispiel www.caseaberlino.com, www.furnishedflats.de). Die als professionelle Unternehmen etablierten Agenturen beschäftigen eigene Mitarbeiter für die Akquise möglicher Objekte, Rechtsberatung für den Vertragsabschluss, Planung und Durchführung von Sanierung und Inneneinrichtung sowie die Abwicklung der späteren Vermietung als Ferienwohnung. Nach wie vor ist diese Dienstleistung ein Wachstumsmarkt und die Agenturen stellen weiter Personal ein.
 

Grundrecht Wohnen

Das grenzüberschreitende Investitionsmodell Ferienwohnung erklärt in Berlin nur einen Aspekt der derzeit erfahrbaren Verknappung auf den Wohnungsmarkt, zeigt aber deutlich, wie sich eine weitere Dimension der Marktkräfte auf dem Wohnungsmarkt auswirkt. Politische Entscheidungen machten die Zunahme von Ferienwohnungen und die daraus folgenden negativen Entwicklungen erst möglich, und genau hier muss die Kritik ansetzen – und nicht bei den Käufern oder den Touristen, wie es in der zuletzt aufgeheizten Debatte geschehen ist. Es muss folglich darum gehen, Wohnen als ein Grundrecht ernst zu nehmen, es dem Markt zumindest teilweise zu entziehen und von Profitinteressen und Anlagestrategien zu entkoppeln. Eine staatliche Wohnungspolitik ist dabei immer noch der wirksamste Hebel. Dahin sollte die politische Stoßrichtung gehen und nicht gegen Touristen.
 

Dieser Artikel erscheint im kommenden MieterEcho Nr. 350 mit Schwerpunktthema Ferienwohnungen.
 

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