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MieterEcho online 20.01.2020

5.290 Unterschriften für eine „Markthalle Neun für Alle“

Heute übergaben Vertreter*innen der Initiative „Kiezmarkthalle für Alle“ dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh im Abgeordnetenhaus 5.290 Unterschriften für eine „Markthalle Neun für Alle“. Seit die Betreiber der Markthalle Neun in der Kreuzberger Eisenbahnstraße dem dort ansässigen Aldi-Supermarkt gekündigt hatten, gibt es Proteste aus der Nachbarschaft und die Forderungen: „Kiezmarkthalle statt Luxus-Food-Halle“ und „Ernährungswende muss sozial sein, sonst ist sie keine“ (siehe MieterEcho online, 09.12.20191). 1)
Aufgrund der Proteste kann Aldi vorerst bleiben. In weniger als drei Monaten hat die Initiative für diese fünf Forderungen Unterschriften gesammelt:

1 Der ALDI oder ein Lebensmittelanbieter mit ähnlichem Sortiment und Preisniveau soll in der Markthalle Neun bleiben, um die tägliche Grundversorgung der Anwohner*innen mit für alle bezahlbaren Lebensmitteln zu sichern.
2. Die Markthalle Neun soll zu einem echten Markt mit einem täglichen, kleinteiligen Marktangebot entwickelt werden.
3. Exklusive und kostenpflichtige Events sollen nicht in der Markthalle Neun stattfinden.
4. Die vielfältige Belastung der Anwohner/innen durch kommerzielle Events wie den „Street Food Thursday“ ist umgehend zu reduzieren.
5. Sollten diese Forderungen durch die aktuellen Markthallen-Betreiber nicht umgesetzt werden, fordern wir einen zukünftigen Betrieb der Markthalle Neun durch einen gemeinwohlorientierten Träger oder in öffentlicher Trägerschaft.

Gemeinsam mit dem vermögenspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Sven Heinemann, und der SPD-Bezirksverordneten Sevim Aydin aus Kreuzberg-Friedrichshain, nahm Saleh die Unterschriften entgegen. Er bedankte sich ausdrücklich und betonte: „Wir führen diesen Kampf gemeinsam“. Wenn er höre, dass Discounter an den Stadtrand ziehen müssten, dann würde das bedeuten, dass auch Arme in der Innenstadt nichts mehr zu suchen hätten und an den Stadtrand gehörten. Das sei „erbärmlich“! Eine bezahlbare Stadt sei Teil seiner persönlichen Vision. Das klang, als habe der Wahlkampf schon begonnen.

Umstrittenes Dialogverfahren

Für Sven Heinemann sind diese über 5.000 Unterschriften aussagekräftiger als die Ergebnisse des Dialogverfahrens, das der Bezirk gemeinsam mit der Markthalle Neun durchführt. Dort wurden nicht alle Haushalte angeschrieben und befragt, sondern ein dreistufiges Dialogverfahren in Gang gesetzt, gemeinsam gesteuert von Bezirk und Markthalle Neun. Am 28. September 2019 begann eine dreimonatige Befragung in der Umgebung der Markthalle als erster Schritt, vom 6. bis 11. Januar 2020 setzte die vom Bezirksamt beauftragte Mediatorin Doris Wietfeldt mit ihrem Team die Befragung in der Markthalle fort. Die „Initiative Kiezmarkthalle“ bezeichnet es als „Beteiligungs-Farce“. Das Dialogverfahren sei intransparent, und Doris Wietfeldt sei nicht neutral. Ihr wird insbesondere vorgeworfen, sie habe ein Gespräch mit etwa 150 Leuten über die Markthalle Neun im April 2019, mit dessen Moderation sie beauftragt war, verkürzt und einseitig protokolliert. Das ausgerechnet Doris Wietfeldt vom Bezirk mit der Durchführung des Dialogverfahrens beauftragt wurde, macht eine Einigung sicher nicht leichter. Auf die Frage, warum der Auftrag an sie ging, antwortete die Pressesprecherin des Bezirks: „Das Bezirksamt hat bereits im Dialogprozess zur Admiralbrücke gut mit der Moderatorin zusammengearbeitet. Bei der Markthalle war sie bereits im Frühjahr eingebunden und steckte so im Thema.“ Frau Wietfeldt scheint auch kein Problem in den Vorbehalten zu sehen. Auf die Nachfrage, ob nicht in einer solchen Rolle das Vertrauen aller Seiten in die Neutralität einer Mediatorin das oberste Gebot sei, entgegnete sie, dass sie den Auftrag bekommen habe und nun die Meinungen aus der Nachbarschaft sammeln würde. Ein abschließendes Dialogforum, als dritter und letzter Schritt des Verfahrens, soll ebenfalls von ihr moderiert werden.

Mittlerweile geben sich die Markthallen-Betreiber nahbar: Im Eingangsbereich der Pücklerstraße haben sie eine Tafel „Halle für Alle“ aufgehängt, mit einem Briefkasten für Vorschläge für eine Markthalle als „Ort der Begegnung für Kiez und Nachbarschaft“. Auf meine schriftliche Frage, was sie mit der Aufschrift „no! kummerkasten.“ auf dem Briefkasten meinen, antworteten sie ebenso wenig wie auf alle anderen Fragen. Für Elke Aubron von der Kiezinitiative ist klar: „Die Halle ist ein Juwel“. Die Reichen wollten die Juwelen, und beim Austern schlürfen die Armen und Alten nicht sehen müssen. Dass die Markthallen-Betreiber darauf hinweisen, es gäbe doch anderenorts einen Discounter, ist für Arif Büyük, ebenfalls von der Kiezinitiative, ein Beweis, dass sie in den neun Jahren ihres Bestehens versagt, und eben keine „Halle für Alle“ geschaffen haben. Die Kreuzberger Mischung in der Markthalle sieht auch Sven Heinemann gefährdet. Er hat seinen Wahlkreis im Bezirk und betont, es sei an der Zeit festzustellen, dass Aldi bleibt und dass die Markthalle eine Markthalle bleibt, und nicht etwa ein Kochstudio wird. Für die Kiezinitiative erinnert Jens Maier daran, dass es eine rot-rote Regierung war, die 2005 erhebliche öffentliche Wohnungsbestände privatisiert hat. Die Mieten explodierten, viele, die wenig Geld haben, wurden verdrängt, „und nun sollen sie auch aus der Markthalle Neun verdrängt werden. Dabei wurde die Markthalle hoch subventioniert, darum muss sich nun die Politik damit auseinandersetzen“. Es könne doch nicht sein, dass Austern, japanische Delikatessen oder Workshops für das professionelle Fotografieren von Käse für Foodblogs hoch subventioniert würden. Wenn es eine Ernährungswende geben solle, dann mit allen und für alle. Das sei eine gesellschaftliche Diskussion, die auch in der Markthalle geführt werden könne.
Ob dies unter Leitung von Doris Wietfeldt gelingt?

Elisabeth Voß
1) https://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/markthalle-neun/

Nachbarschaftsinitiative: https://kiezmarkthalle.noblogs.org

 

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