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MieterEcho 08.12.2012

Bündnis Neukölln fordert Ende der Geheimhaltung von Naziaufmärschen

Einer sozial gerechten Stadt stehen nicht nur Kapitalinteressen, sondern auch rassistische und nationalistische Ausgrenzung entgegen. Eine Stadt für Alle kann daher keine Stadt sein, in der Nazis geduldet werden.

Im Bezirk Neukölln haben sich in den letzten Jahren zivilgesellschaftliche Gruppen zusammengeschlossen, um gemeinsam gegen die Machenschaften der lokalen Naziszene aktiv zu werden. Diese war immer wieder durch massive Einschüchterungen wie z.B. Brandanschläge auf das Vereinshaus der Jugendgruppe „Die Falken“ oder Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte aufgefallen. Darüber hinaus hatte sie das Versammlungsrecht und die Geheimhaltungstaktik des Innensenats genutzt, um wiederholt antifaschistische Veranstaltungen zu bedrängen und zu bedrohen.

Nun fordert das „Bündnis Neukölln ‐ Miteinander für Demokratie, Respekt und Vielfalt“ mit einem Offenen Brief an den Innensenator Frank Henkel (CDU) das sofortige Ende der Geheimhaltung von Naziaufmärschen und -kundgebungen. Zivilgesellschaftliche Veranstalter müssen über von Nazis angemeldete Gegenkundgebungen mindestens informiert werden, um auf diese Bedrohung reagieren zu können, so das Bündnis.

 
Wir geben den Offen Brief an dieser Stelle wieder (hier auch als PDF-Dokument) und unterstützen ihn ausdrücklich:
 

Offener Brief an Innensenator Henkel
vom „Bündnis Neukölln - Miteinander für Demokratie, Respekt und Vielfalt“

an den Innensenator für Inneres und Sport von Berlin, Frank Henkel,
an den Vorsitzenden des Innenausschuss des Landes Berlin, Peter Trapp,
an die Berliner Polizeivizepräsidentin, Margarete Koppers
 

Keine Geheimhaltung von Naziaufmärschen durch die Polizei!
Keine Diffamierung von zivilgesellschaftlichen Protesten gegen Neonazis!
 

Sehr geehrter Herr Innensenator Henkel,
sehr geehrter Herr Vorsitzender Trapp,
sehr geehrte Frau Polizeivizepräsidentin Koppers,

wie überall betont, gefordert und eigentlich auch unterstützt wird, ist die Förderung, der Ausbau und die Unterstützung zivilgesellschaftlichen Engagements auch und vor allem im Bereich der Abwehr gegen Rechts unerlässlich für eine demokratische Gesellschaft. Dieses Engagement zu schützen und zu unterstützen sollte die Leitlinie einer fortschrittlichen Innenpolitik sein.

In den letzten Wochen haben wir jedoch häufig das Gegenteil erlebt: Wir waren mit einer Politik der Geheimhaltung von Naziaufmärschen und Diffamierungen gegen zivilgesellschaftliche Proteste gegen Neonazis konfrontiert. Diese Entwicklungen bereiten uns Sorge, und wir wenden uns an Sie, weil wir dringenden Handlungsbedarf sehen.

Bevor wir näher auf unser Anliegen eingehen, möchten wir uns kurz vorstellen. Wir sind das „Bündnis Neukölln - Miteinander für Demokratie, Respekt und Vielfalt“, ein Zusammenschluss Neuköllner Initiativen, Vereine, Kirchengemeinden, Parteien, Gewerkschaften und Einzelpersonen, die sich 2009 zusammengeschlossen haben. Anlass für die Gründung des Bündnisses waren vor allem die propagandistischen und gewalttätigen Aktivitäten von Rechtsextremisten in unserem Bezirk Neukölln. Das Bündnis versteht sich als Plattform der Information und Aktion. Mit Protesten und Sensibilisierungkampagnen, öffentlichen Aktionsformen und Bildungsveranstaltungen setzen wir uns dafür ein, dass Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus in unserem Bezirk keine Chance haben.
 

Mittwoch, 7. November:
Das „Aktionsbündnis Rudow gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit“ – unterstützt durch das Bündnis Neukölln – zeigt im Rahmen seiner Filmreihe in der Alten Dorfschule Rudow die Reportage „The truth lies in Rostock“ über die rassistischen Pogrome von Rostock-Lichtenhagen 1992. Veranstalter_innen und Besucher_innen werden von einer rassistischen Kundgebung der NPD direkt gegenüber der Alten Dorfschule überrascht. Das Aktionsbündnis ist nicht darüber informiert worden, dass direkt vor dem Veranstaltungsort eine Neonazikundgebung angemeldet wurde. Die Neonazis halten ein Transparent gegen das möglicherweise geplante Asylbewerber_innenheim in Rudow („Rudow bleibt deutsch“ etc.). Sebastian Schmidtke, Berliner NPD-Chef, hält rassistische Hetzreden gegen Flüchtlinge. Einige Neonazis verteilen rechts und links des Eingangs der Alten Dorfschule Flugblätter. Ein Anti-Antifa-Fotograf steht die ganze Zeit mit der Kamera im Anschlag zwischen den Filmabendbesucher_innen. Einige Zeit nach Beginn der Filmveranstaltung wird die NPD-Kundgebung beendet. Kurz darauf kommen alle Neonazis auf die Straßenseite der Dorfschule. Einige Besucher_innen machen die anwesenden Polizisten auf die bedrohliche Situation aufmerksam, die die Ansammlung von Neonazis direkt vor dem Filmveranstaltungsort darstellt, woraufhin der offensichtlich verantwortliche Beamte lacht, sagt, da könne er sich wirklich Bedrohlicheres vorstellen und schließlich noch hinzufügt, wenn „die“ demonstrieren würden, würden „wir“ das doch auch immer so machen, also „Spaliere“ bilden und die Rechten ausbuhen. Diese formale wie inhaltliche Gleichsetzung finden wir hoch problematisch. Dass die Veranstalter_innen des Filmabends im Vorfeld nicht über die NPD-Versammlung unmittelbar vor dem Veranstaltungsort informiert wurden, begründet der Beamte damit, dass es dann zu einer Gegenveranstaltung gekommen wäre und die Polizei mehr Beamte hätte einsetzen müssen.

Mittwoch, 21. November:
Wieder ein Filmabend des Aktionsbündnis Rudow. Diesmal wird ein Dokumentarfilm über Neonazistrukturen im Vogtland gezeigt. Um zu verhindern, dass auf der anderen Straßenseite wieder eine NPD-Kundgebung stattfindet, melden Bündnis 90/Die Grünen im Auftrag des Bündnis Neukölln dort eine Kundgebung an. Die Neonazis kommen tatsächlich, müssen ihre Kundgebung aber um einige hundert Meter verlegen. Die Anmelderin berichtet: „Der Einsatzleiter teilte mir mit, ich würde mit meiner Kundgebung Steuergelder verschwenden und sollte die NPD einfach nicht beachten.“

Mittwoch, 28. November:
Einen Tag vor dem Roten Salon im Anton-Schmaus-Haus zum Thema „Asyl - ein Menschenrecht“ rufen die Falken Neukölln bei der Polizei an und fragen, nur um sicherzugehen, nach, ob nicht vielleicht die NPD zeitgleich wieder eine Kundgebung angemeldet hat. Nach einigem Nachhaken räumt der Beamte am Telefon ein, dass eine Anmeldung durch die NPD auf dem Marktplatz Britz-Süd vorliegt. Obwohl die Falken in der jüngsten Vergangenheit nicht nur von zwei folgenschweren Brandanschlägen, sondern auch von körperlichen Übergriffen und Neonazischmierereien betroffen waren, hielt es die Polizei offenbar nicht für nötig, die Falken über die geplante NPD-Veranstaltung auf der anderen Straßenseite des Anton-Schmaus-Hauses zu informieren.
 

Ähnliche Beispiele etwa aus Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte zeigen: Die Neuköllner Polizei steht mit ihrer Geheimhaltungstaktik gegenüber neonazistischen Aufmärschen nicht alleine da. Diese ist vielmehr Ergebnis eines Beschlusses des Berliner Innenausschusses, nach dem Informationen über Versammlungen nur auf Nachfrage bekannt gegeben werden.

Das Bündnis Neukölln kritisiert die Geheimhaltungstaktik der Polizei scharf. Zivilgesellschaftlicher Protest gegen Naziaufmärsche wird so sabotiert.

Aus der Geheimhaltungstaktik wie aus den Äußerungen der Polizei uns gegenüber spricht nicht nur eine gefährliche Verharmlosung der Neonazis, sondern auch eine unverschämte Diffamierung von zivilgesellschaftlichen Protesten gegen Rechts – wir würden es ja nicht anders machen als die Nazis und außerdem Steuergelder verschwenden, so zwei vorgebrachte „Vorwürfe“ gegen uns.
 

Wir aber sagen: Antifaschistischer Protest ist notwendig! Wir fordern Innensenator Henkel, den Innenausschuss des Landes Berlin und die Polizei auf: Versammlungen von Neonazis müssen rechtzeitig bekannt gegeben werden, um neonazistischen Übergriffen vorzubeugen und um zivilgesellschaftlichen Protest möglich zu machen. Dies gilt umso mehr für Versammlungen, die in unmittelbarer Nähe von demokratischen und antifaschistischen Einrichtungen und Veranstaltungen stattfinden und deren Mitwirkende damit unmittelbar betreffen.

Da Sie, Herr Innensenator Henkel, der demokratisch gewählte Hauptverantwortliche für die Berliner Innenpolitik sind, fordern wir Sie auf, die von dem ehemaligen Innensenator Körting geschaffene Direktive nicht weiterzuführen, sondern ein fortschrittliches Konzept mit den beteiligten Demokrat_innen zu erarbeiten, das antifaschistischen Protest auf demokratischer Grundlage zulässt, fördert und unterstützt.

Gerne laden wir Sie sowie die Mitglieder des Berliner Innenausschusses demnächst zu einer unserer Bündnissitzungen ein, um Ihnen in einem persönlichen Gespräch unsere Kritik zu erläutern und Sie von der Dringlichkeit unseres Anliegens zu überzeugen.
 

Im Auftrag des Bündnis Neukölln

Mit freundlichen Grüßen,
Axel Haese
Sebastian Muy

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