„Wir haben Selbstvertrauen getankt“
Malmös Mieterbewegung verhinderte im Sommer 2023 eine avisierte Mieterhöhung und ist kämpferischer geworden
Von Henning Süssner Rubin
Ungefähr ein Drittel aller Schwed/innen lebt in annähernd 1,8 Millionen Mietwohnungen. Organisiert sind die Mieter/innen vor allem in einem Verein namens Hyresgästföreningen (Mietervereinigung), den es im ganzen Land gibt. Hyresgästföreningen ist in Schweden fast schon synonym mit der Mieterbewegung an sich. Die starke Stellung des Vereins fußt auf dem institutionalisierten schwedischen Mietenmodell. Schwedische Mieten werden in der Regel in lokalen Verhandlungen zwischen Hyresgästföreningen und unterschiedlichen Vermietern alljährlich ausgehandelt.
Das schwedische Mietgesetz schreibt diese Verhandlungen vor. Demnach sollen Mieten in einer Art von Interessenausgleich zwischen öffentlich-rechtlichen Wohnungsbaugesellschaften, privaten Vermietern und organisierter Mieterbewegung festgesetzt werden. Einen Mietspiegel an sich gibt es nicht, aber die Höhe der Miete einer jeden Wohnung soll vom Nutzwert der Wohnung abhängig sein. Und vergleichbare Wohnungen sollen vergleichbare Mieten haben. Seit 1978 gibt es obendrein eine Regel, die kollektive Verhandlungen zwischen Mieter/innen und Hyresgästföreningen nahezu zwingend macht.
Die Stellung des Verbandes ist deshalb so stark, weil er im Prinzip alle Mietverhandlungen in Schweden führt, unabhängig davon, ob die betroffenen Mieter/innen dem Verein angehören. Nur wenige Vermieter riskieren es, auf unverhandelte Mieten zu setzen, also ohne sich erst mit Hyresgästföreningen an den Verhandlungstisch zu setzen. Wenn Mieter/innen auf diesem Weg verordnete Mieten nicht akzeptieren, müsste das von einem unabhängigen Schlichtungsausschuss verhandelt werden. Und das dauert und kann auch teuer werden – vor allem wenn die betroffenen Mieter/innen dem Verein angehören. Um sich all das zu ersparen, setzen sich die meisten Vermieter/innen lieber gleich an den Verhandlungstisch.
Das Mietverhandlungsgesetz macht den Verein also zu einem zentralen wohnungspolitischen Akteur. Über 90% aller schwedischen Mieten werden alljährlich von Hyresgästföreningen ausgehandelt. Für jede Wohnung, deren Miete vom Verein verhandelt wird, fällt eine „Mietfestsetzungsgebühr“ an. Diese Gebühr ist ein Teil der verhandelten Monatsmiete und beträgt derzeit 15 Kronen pro Wohnung (ca. 1,40 Euro).
Große Herausforderung
Das Geld macht es möglich, überall im Land Personal anzustellen, um Mietverhandlungen führen zu können. Hyresgästföreningen hat auch eigene Jurist/innen, da der Verein seinen Mitgliedern auch Rechtsschutz und juristischen Beistand anbietet. Noch vor ungefähr 10 Jahren wurde Mitgliederwerbung in erster Linie per Telefonmarketing betrieben, auch durch kommerzielle Callcenter. Heute setzt man lieber auf eigene Angestellte, die Hausbesuche machen und Mieter/innen direkt ansprechen sollen. Sinn und Zweck des Ganzen ist es dabei, Legitimität durch hohe Mitgliederzahlen zu bekommen.
Laut eigenen Angaben hat Hyresgästföreningen 538.000 Mitglieder in ganz Schweden. 30.000 davon sind in Malmö organisiert, der mit rund 300.000 Einwohner/innen drittgrößten Stadt des Landes. In Malmö hat der Verein in den vergangenen Jahren viele neue Haus- oder Stadtteilmietervereine bilden können. Die geben sich nicht selten kämpferisch, vor allem wenn es darum geht, den Ausverkauf von Mietwohnraum oder mietentreibende Luxussanierungen zu verhindern.
Hyresgästföreningen an sich ist jedoch eher dazu geneigt, sich volkstümlich und unpolitisch zu geben. „Für viele ältere Mitglieder und auch Angestellte heißt Vereinsaktivität in erster Linie Grillfeste zu organisieren“, seufzt Joel Nordström, seit 2018 Vorstandsmitglied von Hyresgästföreningen im westlichen Malmö. „Das funktioniert durchaus als sozialer Kitt, aber wir wollen eigentlich mehr. Wir haben lange Probleme gehabt, politisches Engagement für Mieterrechte aufzufangen“, so Nordström. Hyresgästföreningen sei lange nicht daran interessiert gewesen, Mitglieder überhaupt in der praktischen Arbeit zu engagieren. Das wurde von den Angestellten besorgt, und der Vereinsapparat war eher an „guten Kompromissen“ als an Konflikten interessiert.
Das sollte sich allerdings ändern, als einige private Vermieter 2023 versuchten, eine zweite Mieterhöhung zu erzwingen. „Das hat uns böse überrascht“, berichtet Nordström. „Die jährliche Verhandlung in Malmö war gerade beendet worden. Und wir waren eh schon unzufrieden: Die Mieten sollten um über 5% steigen. Und wir haben das Gefühl gehabt, dass das viel zu viel war, und wir die Verhandlungen im Prinzip verloren haben.“
Im Frühjahr 2023 informierten dann sechs Wohnungsunternehmen ihre Mieter/innen, dass die Mieten im Sommer schon wieder steigen sollten. Begründet wurde das mit der hohen Inflation. Offensichtlich sollte da „etwas getestet werden“, kommentiert Nordström. Denn „das war eine Attacke auf unser kollektives Verhandlungsmodell.“ Die Unternehmen rechneten damit, dass erneute Mietverhandlungen scheitern würden und planten, dann eben im Alleingang sogenannte unverhandelte Mieterhöhungen durchzudrücken. Und genau das passierte: Ungefähr 15.000 Haushalte bekamen kurz vor dem Sommeranfang 2023 die Information, dass ihre Mieten im Juli wieder erhöht werden sollten.
Hyresgästföreningen grub diesmal die Streitaxt aus und rief in einer großangelegten Kampagne zum Mieterhöhungsboykott auf. Die Kampagne lief darauf hinaus, so viele Leute wie möglich dazu zu bringen, die zweite Mieterhöhung nicht zu akzeptieren. Doch anfangs fehlte dafür die Struktur, da der Verein vor allem in Haus- oder Nachbarschaftsgruppen organisiert ist. Als soziale Gemeinschaften mit eigenen Räumlichkeiten für Mitglieder, vor allem in den größeren Neubaugebieten, wo es Kultur- und Freizeitangebote gibt. Aber mit größer angelegten Kampagnen hatte man keine Erfahrung.
Erfolgreiche Boykottkampagne
Im Zug der Infokampagne entstand deswegen das Modell der „Treppenhausbeauftragten“. Mitglieder von Hyresgästföreningen wurden kontaktiert und gefragt, ob sie Informationsmaterial in ihrem Treppenhaus aushängen könnten. Auf diese einfache Art bekam man plötzlich einen Pool von Aktivist/innen. Gleichzeitig gab es eine Infokampagne in der Öffentlichkeit und auch einen Infobrief an alle betroffenen Haushalte. Mitarbeiter/innen des Vereins versuchten ferner, neue Mitglieder in den betroffenen Miethäusern zu organisieren.
„Wir haben versucht, in jedem Haus jemanden zu finden, der die Verantwortung übernimmt, unser Infomaterial an die Nachbar/innen weiterzugeben. Die Vermieter haben ja ihre Desinformation an alle Mieter/innen geschickt, und behauptet, man müsse die zweite Mieterhöhung akzeptieren. Wir haben versucht, darüber zu informieren, dass man das Recht hat, sich einer unverhandelten Mieterhöhung zu widersetzen“, so Nordström.
Der Vorteil an der Verhandlungsordnung sei, „dass die Vermieter uns mitteilen müssen, welche Wohnungen von Mieterhöhungen betroffen sind. Wir wussten also genau, wen wir kontaktieren mussten. Und das Interessante dabei war, dass gewisse Häuser ausgespart wurden“, kommentiert Nordström schmunzelnd. „Zum Beispiel in den Stadtteilen, wo wir in den letzten Jahren relativ viele neue, streitbare Mitglieder bekommen haben.“ Ziel des Boykotts war es nie, eine Mehrheit dazu zu bringen, sich der Mieterhöhung zu verweigern. „Wir wussten, dass wir das nie erreichen können“, meint Nordström. „Unser Ziel war es, eine signifikante Minorität zu mobilisieren. Und zu zeigen, dass wir durchaus in der Lage sind, Probleme zu machen.“
Wie viele Mieter/innen im Endeffekt am Boykott beteiligt waren, weiß man nicht. Aber es waren so viele, dass sich die sechs privaten Unternehmen zum Schluss wieder an den Verhandlungstisch gesetzt haben, und im September 2023 wurde die zweite Mieterhöhung wieder zurückgenommen. Die Haushalte, die die Erhöhung schon bezahlt hatten, bekamen ihr Geld wieder zurück. In der Öffentlichkeit wurde das als ein Sieg der Mieterbewegung wahrgenommen.
Wie ging es danach weiter? „Die nächste reguläre Mieterhöhung kam im Januar 2024 und war leider saftig“, berichtet Nordström. „Aber wir haben viele neue und vor allem aktive Mitglieder gewonnen. Wir sind als Verein gestärkt aus der Boykottkampagne herausgekommen. Und wir haben das Modell der jährlichen kollektiven Mietverhandlungen verteidigt, das gibt Selbstvertrauen.“
Henning Süssner Rubin ist Volkshochschulrektor und Journalist und lebt in Malmö.
Er hat sich seinerzeit am Mietboykott beteiligt.
MieterEcho 449 / Mai 2025