Von den Nachbarn lernen
Ansätze für soziale Wohnungspolitik in der Schweiz und Dänemark
Von Matthias Coers und Grischa Dallmer
Die Vortragsreihe „Vergessene Utopien des Wohnens – Internationale Praxisbeispiele“ hat auf zwei von der Initiative Neuer Kommunaler Wohnungsbau (INKW) und der Berliner MieterGemeinschaft organisierten Veranstaltungen die Schweiz und Dänemark in den Blick genommen. Die Referenten Andreas Wirz, Präsident des Verbands der Wohnbaugenossenschaften Zürich, und Henrik Gutzon Larsen, Dozent für Humangeographie der Lund University, berichteten von Ansätzen im Wohnungswesen, die hierzulande selten betrachtet werden. Zuvor waren bereits Gäste aus Schweden, Jugoslawien, den Niederlanden, Großbritannien, Österreich und Rumänien eingeladen worden.
Prinzipiell ist das Wohnen in der Schweiz privatwirtschaftlich organisiert. Artikel 41 der Schweizer Bundesverfassung nennt explizit „persönliche Verantwortung und private Initiative“ als Leitmotiv und sieht den Staat erst in der Pflicht, wenn diese versagen. Bund und Kantone sollen sich dann dafür einsetzen, dass „Wohnungssuchende für sich und ihre Familien eine angemessene Wohnung zu tragbaren Bedingungen finden können.“ In der Theorie sollen gesetzliche Renditebeschränkungen die Mieten begrenzen, doch in der Praxis halten sich viele Vermieter nicht daran. Laut Bundesamt für Wohnungswesen liegen zahlreiche Mieten über den zulässigen Grenzwerten.
Mit knapp 60% Mieter/innen ist die Schweiz ein Mieterland. Bei Volksabstimmungen wurden allerdings zumeist Eigentümerinteressen bevorzugt. Doch die Ablehnung zweier kürzlich geplanter Mietrechtsverschärfungen – Erleichterung von Eigenbedarfskündigungen und Erschwerung von Untervermietungen – signalisiert ein steigendes Bewusstsein der Mieterschaft für ihre Rechte.
Öffentliches Eigentum im Wohnungsmarkt ist in der Schweiz mit nur etwa 2% des Mietwohnungsbestands marginal – lediglich sieben Gemeinden besitzen mehr als 500 Wohnungen. Aufgrund dieser geringen staatlichen Beteiligung werden soziale Wohnungsbauziele nur unzureichend verfolgt, die Marktmacht verbleibt primär in privaten Händen – mit bekannten Folgen wie steigenden Mieten und sozialer Segregation.
Finanzierung anders geregelt
Genossenschaften halten rund 8% der Schweizer Mietwohnungen – mit regionalen Unterschieden. In Zürich liegt ihr Anteil bei etwa 18% und ihre Verteilung über das gesamte Stadtgebiet trägt zu sozialer Durchmischung bei und wirkt Verdrängungstendenzen entgegen. Die Genossenschaftsbewegung in der Schweiz entstand während der Industrialisierung, als Antwort auf unhaltbare Wohnverhältnisse und – gestützt auf kollektive Selbsthilfe und gemeinschaftliches Eigentum – zur Abwehr von Ausbeutung durch Feudalstrukturen. Schweizer Genossenschaften sind an die sogenannte Kostenmiete gebunden – anders als in Deutschland umfasst sie lediglich die real anfallenden Ausgaben für Bau, Unterhalt und Verwaltung. Darüber hinaus gilt ein Spekulationsverbot: Beim Verkauf von Immobilien müssen diese zum ursprünglichen Erstellungswert, nicht zum Marktwert, übertragen werden.
Etwa 90% der genossenschaftlichen Bauten stehen auf eigenem Land, das teils vor Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten zu sehr niedrigen Preisen erworben wurde. Die übrigen 10% befinden sich auf Grundstücken der öffentlichen Hand oder privater Eigentümer, was Pachtzahlungen erfordert und die langfristige Planungssicherheit einschränkt.
Der Schweizer Hypothekenmarkt unterscheidet sich von anderen Ländern durch die gängige Praxis, dass Kredite nur anteilig zurückgezahlt werden müssen, in der Annahme, dass der Immobilienwert langfristig stabil bleibt. So finanzieren Genossenschaften Neubauten oft mit nur 5 bis 10% Eigenkapital, ergänzt durch staatliche Finanzierungen und Kredite, von denen ca. 80% nicht zurückgezahlt werden brauchen.
Der dänische gemeinnützige Wohnungsbau, genannt Almene Boliger, ist ein nicht-profitorientiertes, nicht-staatliches, von Mieter/innen selbst verwaltetes Wohnmodell. Außerhalb dieses Sektors leben Dänen häufiger in Eigentumswohnungen als Menschen in Deutschland, aber auch in kleineren Wohnungsgenossenschaften, marginalem staatlichem Wohnungsbesitz oder im zumindest bis 1991 relativ gut regulierten privaten Mietwohnungsbau.
Almene Boliger machen landesweit etwa 20% des Bestands aus, in einigen städtischen Kommunen mit deutlichen historischen Verbindungen zur Arbeiterbewegung sogar 40 bis 50%. Nach schweren Wohnungskrisen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, ausgelöst durch Urbanisierung und Spekulation, suchten Gewerkschaften und kooperativ organisierte Produktionsunternehmen nach stabilen Wohnmodellen. Öffentliche Unterstützung wie günstiges kommunales Land oder zinsgünstige Darlehen gab es, einem Gemeinnützigkeitsprinzip folgend, wenn kein Gewinn erzielt und Überschüsse für weiteren Wohnungsbau verwendet wurden. In den 1930er Jahren wurde dieser gemeinnützige Wohnungsbau Teil eines gesellschaftlichen Kompromisses, um soziale Spannungen zu reduzieren, nach dem Zweiten Weltkrieg förderte der Staat den Sektor aktiv. Dennoch blieb er relativ unabhängig und mieterorientiert.
Ein zentrales Merkmal ist die Mieterdemokratie. Die Mieter/innen wählen Vorstände, genehmigen Budgets und nehmen Einfluss auf ihre Wohnbedingungen. Doch in der Praxis können komplexe Verwaltungsaufgaben die Kapazitäten ehrenamtlicher Mietervertreter sehr herausfordern.
Die Finanzierung erfolgt über eine Mischung aus zinsfreien kommunalen Darlehen, staatlich garantierten Hypotheken und Mieteinnahmen. Das Kostenmietmodell sorgt dafür, dass Mieten die tatsächlichen Kosten widerspiegeln, allerdings stellen steigende Bau- und Bodenpreise, insbesondere in Ballungszentren wie Kopenhagen, Hürden für bezahlbare Neubauten dar.
Der Zugang zum gemeinnützigen Wohnungsbau ist grundsätzlich offen, ohne strikte Einkommensgrenzen. Wartelisten basieren auf Wartezeit, Gemeinden können aber auch Wohnungen an Bedürftige vergeben. Die Bewohnerstruktur ist vielfältig, mit einem hohen Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte und auch vielen mit niedrigen Einkommen. Doch dort wohnen auch Menschen mit hohem Bildungsniveau. Trotzdem werden einige Siedlungen mit einer Art „Ghetto“-Label versehen, was dann staatliche Eingriffe erlaubt, um die soziale Zusammensetzung zu verändern.
Modelle nur bedingt übertragbar
Der Sektor sieht sich mit Privatisierungsbestrebungen konfrontiert, ähnlich der britischen „Right to Buy“-Politik, die bisher jedoch abgewehrt werden konnten. Viele Wohnanlagen bieten Gemeinschaftseinrichtungen wie Versammlungsräume, Waschküchen oder gemeinsame Gärten. Auch gibt es gemeinschaftliches Wohnen, auf Dänisch „bofællesskaber“, wo Wohnbereiche geteilt und Aktivitäten wie gemeinsame Mahlzeiten organisiert werden. Seniorengemeinschaften sind besonders beliebt und wachsen innerhalb des gemeinnützigen Wohnungssektors.
In der Schweiz und in Dänemark spielen Genossenschaften und gemeinnützige Wohnungsunternehmen eine zentrale Rolle bei der Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum und der Förderung sozialer Durchmischung. Beide Modelle behaupten sich trotz allgemein steigender Kosten und gesellschaftlicher Spannungen.
Die Initiative Neuer Kommunaler Wohnungsbau fordert seit 2014, dass in Deutschland kommunale Unternehmen den Neubau tragen und Mieten politisch festsetzen, statt private Bauunternehmen mit Zuschüssen zu finanzieren. Genossenschaften sind nur bedingt eine Alternative, denn sie sind hierzulande primär ihren Mitgliedern verpflichtet und kein umfassender Bestandteil sozialer Wohnraumversorgung, auch weil die spekulative Entwicklung der Bodenpreise preisgünstiges Bauen unmöglich macht, weshalb Eingriffe in den Bodenmarkt unumgänglich sind.
Selbstverwaltete Strukturen sind kein Allheilmittel, bilden aber einen Gegenpol zur Entmachtung der Mieter/innen in privaten Immobilienkonzernen und bürokratischen Wohnungsbaugesellschaften. Denn die Beispiele aus Dänemark und der Schweiz zeigen, dass wirksame Wohnungspolitik für Mieter/innen deren Engagements bedarf. Maßgeblich waren hier auch historisch besondere Situationen der fordistischen Industrieentwicklung, auf die wir heute nicht setzen können. Es bedarf also einer umso stärkeren Bewegung für neue städtische Utopien, für die aus den hier geschilderten Praktiken Grundsätzliches und Details gelernt werden können.
Die Veranstaltungen wurden dokumentiert und werden nach und nach über die Webseite der Berliner MieterGemeinschaft veröffentlicht.
Weitere Informationen: inkw-berlin.de, bmgev.de/politik/vergessene-utopien
MieterEcho 447 / Februar 2025