Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 447 / Februar 2025

Papier ist geduldig

Die „Fortschrittsregierung“ hat ihre im Koalitionsvertrag formulierten Ziele im Bereich Wohnen und Mieten verfehlt oder ignoriert

Von Rechtsanwalt Marek Schauer

Der Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Grünen und FDP vom 7. Dezember 2021 hatte durchaus einige interessante Überlegungen für die Mieter/innen in Deutschland im Gepäck. Der Titel „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ mag erst mal nur die üblichen Abstraktionen auffahren, wo sich jeder seine Interessen hineindenken kann und soll, aber konkrete Ziele wurden schon benannt. Unter „Bauen und Wohnen“ durfte man u.a. nachlesen:„Unser Ziel ist der Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 öffentlich geförderte Wohnungen“ . 

Doch daraus wurde nichts. Tagesschau.de titelte am 5. Dezember 2024: „Die Ampelkoalition hat ihr Ziel verfehlt“ und führte aus: „Die Zahl wurde in den vergangenen Jahren nie erreicht. Mehr noch: Die Zahl der Baugenehmigungen sank sogar von Jahr zu Jahr.“ Und „beim Bau neuer Sozialwohnungen erreichte die Bundesregierung nicht einmal die Hälfte ihrer eigenen Ziele“. Die Begründung wurde gleich mitgeliefert: „Die extrem hohen Baukosten sind der Hauptgrund.“ Zudem gab es eine Einstellung von Förderungen durch die KfW Bank wegen mangelnder Haushaltsmittel.

Wenn 400.000 neue Wohnungen den geschätzten nötigen Bedarf darstellen sollen, dann zieht das Verfehlen des Ziels eine Verschärfung der Konkurrenz um den Bestand nach sich, was jeder Wohnungssuchende auch praktisch erlebt – nicht mehr nur in Großstädten. Das ist das Resultat, wenn das Geschäft mit der Immobilie in den Händen privater Bereicherung liegt. Und dazu eine enorme Preissteigerung bei den Energiekosten, welche auch Baumaterialien betrifft. Ausgelöst durch einen Wirtschaftskrieg gegen Russland. Krieg und Bauen geht offenbar nicht gleichzeitig.

Immobilienbranche interveniert erfolgreich 

Zurück zu den Zielen der Koalition: „Wir werden ein ‚Bündnis bezahlbarer Wohnraum‘ mit allen wichtigen Akteuren schließen. Wir werden zeitnah eine neue Wohngemeinnützigkeit mit steuerlicher Förderung und Investitionszulagen auf den Weg bringen und so eine neue Dynamik in den Bau und die dauerhafte Sozialbindung bezahlbaren Wohnraums erzeugen.“

Das „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ gibt es seit 2014 und wurde dann 2021 in dem Koalitionsvertrag implementiert. Die wichtigen Akteure sind u. a. Vertreter/innen des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, des Deutschen Städtetags, der Immobilienbranche und der „Zivilgesellschaft“ inkl. dem Deutschen Mieterbund. Immobilienverbände wie Haus und Grund sowie der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen hatten einen Gipfel des Bündnisses im September 2023 wegen „Belastung der Eigentümer über Gebühr“ boykottiert. Es wurde „mehr Marktwirtschaft“ statt „kleinteiliger Regulierung“ gefordert. Heraus kamen „Maßnahmen der Bundesregierung für zusätzliche Investitionen in den Bau von bezahlbarem und klimagerechtem Wohnraum und zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Bau- und Immobilienwirtschaft“ welche u. a. das Bauplanungsrecht (Erlass einer vereinfachenden Generalklausel ähnlich wie § 246 Abs. 14 BauGB bei Flüchtlingsunterkünften) in den Blick nahm und „2022 bis 2027 Programmmittel in Höhe von insgesamt 18,15 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung“ stellen soll. 

Die „neue Wohngemeinnützigkeit“ (Steuererleichterungen in der Abgabenordnung für Institutionen, welche bezahlbare Wohnungen zur Verfügung stellen) wurde 2024 beschlossen. Fazit: Langsame Regierung trifft kapitalistisch kalkulierende Unternehmer – auch keine gute Mischung für den Bedarf an Wohnraum.

Das betrifft auch weitere Baustellen. „Wir werden prüfen, ob sich aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. November 2021 zum gemeindlichen Vorkaufsrecht in Gebieten einer Erhaltungssatzung (Milieuschutzsatzung) gesetzgeberischer Handlungsbedarf ergibt“, hieß es im Koalitionsvertrag. Das Bundesverwaltungsgericht hatte im November 2021 insbesondere der Berliner Praxis des Kaufs von Immobilien innerhalb von Milieuschutzgebieten eine Absage erteilt. 

Dem Versuch, über diesen Hebel durch Ankauf in den öffentlichen Bestand bezahlbare Mieten zu garantieren oder die privaten Käufer genau dazu zu verpflichten, stand nach Ansicht des Gerichts § 26 Nr. 4 BauGB entgegen. Praktisch gibt es das Vorkaufsrecht nur noch dann, wenn die Immobilie „satzungswidrig“, also gegen die Milieuschutzvorgaben, bewirtschaftet wurde bzw. wird. Die Vorinstanzen hatten ein Vorkaufsrecht der Kommune zum Wohle der Allgemeinheit angenommen, wenn Indizien vorliegen, dass der Käufer die Immobilie satzungswidrig nutzen würde.

Eine „Prüfung“ von gesetzgeberischem Handlungsbedarf ist dem Autor nicht bekannt. Resultate gibt es jedenfalls nicht.

Das gilt auch für weitere Ankündigungen. „Solange nicht genug bezahlbare Wohnungen gebaut werden, verhindert die Wohnraumknappheit vor allem in Ballungsgebieten, dass sich angemessene Mieten am Wohnungsmarkt bilden können. (…)In angespannten Märkten werden wir die Kappungsgrenze auf elf Prozent in drei Jahren absenken. Wir verlängern die Mietpreisbremse bis zum Jahre 2029. Wir werden qualifizierte Mietspiegel stärken, verbreitern und rechtssicher ausgestalten. Zur Berechnung sollen die Mietverträge der letzten sieben Jahre herangezogen werden. Wir werden für mehr Transparenz bei den Nebenkostenabrechnungen sorgen. (…) Um die Ursachen drohender Wohnungslosigkeit zu beseitigen, werden wir das Mietrecht, insbesondere dort, wo Schonfristzahlungen dem Weiterführen des Mietverhältnisses entgegenstehen, evaluieren und entgegensteuern. Wir setzen uns zum Ziel, bis 2030 Obdach- und Wohnungslosigkeit zu überwinden und legen einen Nationalen Aktionsplan dafür auf.“

Ergebnis: Die Kappungsgrenze liegt nach wie vor bei 20% binnen drei Jahren und bei angespannten Wohnungsmärkten bei 15% – hier hat sich also nichts geändert. Die Stärkung qualifizierter Mietspiegel, insbesondere die Einbeziehung von Mietverträgen der letzten sieben Jahre (Stand jetzt: 6 Jahre), ist nicht erfolgt. Vielmehr ist die jetzige Rechtslage der Mietspiegelerstellung und damit auch deren Stärkung noch Ergebnis der Vorgängerregierung. Transparenzverbesserungen bei Nebenkostenabrechnungen sind nicht erfolgt und wären auch nicht sonderlich hilfreich: Was nützt es der Mieter/in, wenn er/sie Zahlen und Rechenweg verständlicher dargelegt bekommt? Bei den derzeitigen Preissteigerungen auch bei den Betriebskosten benötigt er/sie Preisbremsen oder höhere Anforderungen an die Wirtschaftlichkeit an die Vermieter.         

Kein Räumungsschutz trotz Mietnachzahlung

Schon auf dem Mietgerichtstag 2022 war der Blick auf die Überlegung der Ampel hinsichtlich der für Mieter/innen schädlichen Rechtslage bei Kündigungen geschärft worden: Wenn der Vermieter bei einem kündigungsrelevanten Mietrückstand zwei Kündigungen – eine fristgerechte und eine fristlose – aussprach und der/die Mieter/in den Rückstand spätestens zeitnah nach einer Klage auf Räumung ausglich, dann war zwar eine der zwei Kündigungen (die fristlose) unwirksam – jedenfalls, wenn so eine Kündigung nicht in den letzten zwei Jahren schon mal ausgesprochen wurde. Die fristgerechte Kündigung blieb aber bestehen. 

Diese sogenannte Schonfristzahlung des Mieters/der Mieterin führte also in der Praxis nur zu einem Aufschub des Verlustes der Wohnung. Mit „gewichtigen Argumenten“ (Zitat eines Richters vom Amtsgericht Neukölln) hat daher die 66. Zivilkammer des Landgerichts Berlin gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes immer wieder versucht, die Schonfristzahlung für beide Kündigungen wirkend anzusehen und die Räumung zu verhindern. Von daher wäre ein gesetzgeberischer Eingriff so wichtig gewesen, um zahlungsbereiten Mieter/innen – auch mit Hilfe der Sozialämter – die Wohnung zu erhalten. Nichts ist passiert.

Ein nationaler Aktionsplan gegen Obdachlosigkeit wurde im April 2024 zwar beschlossen, der sich bisher allerdings in nicht viel mehr als der Bündelung von „Handlungsmöglichkeiten von Bund, Ländern und Gemeinden“ erschöpft. 

„Da war mehr drin“ könnte man jeden x-beliebigen Sportreporter nach einer vertanen Torchance zitieren, aber der weiß dann immerhin einen Verantwortlichen. Wer ist hier verantwortlich? „Beim Mieterschutz habe die FDP gebremst“ (Olaf Scholz, zitiert nach tagesschau.de, 5. Dezember 2024). Das kann schon so sein. Marco Buschmann blieb für die Mieter/innen als Justizminister eher mit schlechten Twitter-Tweets am „Star Wars“-Tag in Erinnerung als mit gesetzgeberischen Reformen. Nur hilft diese Schuldzuweisung jetzt auch keinem Mieter/keiner Mieterin mehr.

 

Rechtsanwalt Marek Schauer ist spezialisiert auf Miet- und Wohnungseigentumsrecht.


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