„Es gibt nichts Unproduktiveres als Rüstungsausgaben“
Interview mit Heiner Flassbeck
MieterEcho: Herr Flassbeck, die noch nicht mal amtierende Bundesregierung hat ja im Schweinsgalopp mittels eines abgewählten Parlaments eine Grundgesetzänderung für einen Blankoscheck für Aufrüstung und Waffenlieferungen durchgesetzt. Befinden wir uns auf dem Weg in eine Kriegswirtschaft?
Heiner Flassbeck: Wenn man die Stimmen vieler Menschen aus der deutschen und europäischen Politik hört, dann sieht das so aus. Herr Merz hat ja im Bundestag auch gesagt, Putin führe einen Krieg gegen Europa. Das ist fundamental falsch und sehr gefährlich. Insofern kann man sagen: Das ist der Weg in eine Kriegswirtschaft.
Die bislang für die Unionsparteien nahezu sakrosankte Schuldenbremse scheint ja nunmehr weitgehend aufgeweicht zu sein. Eröffnet das nicht auf der anderen Seite auch Spielräume, die positiv genutzt werden könnten?
Natürlich, die Aufweichung der Schuldenbremse ist völlig richtig. Ich wäre sogar für eine vollkommene Abschaffung gewesen. Es ist überhaupt nicht sinnvoll, eine solche Bremse im Grundgesetz zu haben, und noch viel weniger sinnvoll ist dieses Konvolut von Regelungen.
Die ökonomischen Bedingungen sind so, dass der Staat in allen westlichen Ländern Schulden machen muss, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Nicht, weil der Staat ein dummer Kerl wäre, der nicht weiß, dass er damit die Zukunft nachfolgender Generationen belastet. Sondern deswegen, weil einfach sehr viel gespart wird. In Deutschland liegt die Sparsumme bei jährlich 250 Milliarden Euro. Dazu muss es aber einen Gegenposten in Form von Verschuldung geben. In den 1950er und 1960er Jahren war das anders. Da haben sich Unternehmen verschuldet und investiert. Aber das machen die schon seit vielen Jahren nicht mehr.
Wenn sich nicht irgendwelche Menschen bzw. Institutionen jedes Jahr in Höhe von 250 Milliarden verschulden, geht die Wirtschaft sofort in die Knie. Das begreifen allerdings weder die deutschen Sparer noch die deutschen Politiker. Verschuldung an sich ist immer notwendig. Deutschland hat sich allerdings in den letzten 20 Jahren einen schlanken Fuß gemacht, weil die Masse der Verschuldung aus dem Ausland kam. Das war der Gegenposten zum riesigen Leistungsbilanzüberschuss. Nur dadurch hatte Deutschland die Chance, die „schwarze Null“ zu realisieren und nicht, weil Herr Schäuble ein so toller Sparfuchs war. Aber das darf man in Deutschland ja nicht sagen. Und jetzt funktioniert das nicht mehr. Trumps Berater haben ja bereits angekündigt, den Dollar abzuwerten, und dann ist Schluss mit diesen Überschüssen, dann muss sich der Staat verschulden, weil es sonst niemanden gibt, der sich verschulden will.
Der künftige Bundeskanzler Friedrich Merz hat sich vor seinem Comeback in der offiziellen Politik als erfolgreicher Lobbyist des Finanzkapitals profiliert und auch keinen Hehl daraus gemacht, dass er deren Interessen auch weiterhin vertreten wird. Profitieren denn internationale Investoren wie BlackRock, wo er ja gearbeitet hat, jetzt auch von den neuen Schuldenprogrammen?
Natürlich, es werden ja insgesamt die Sparer dieser Welt bedient, und das sind natürlich in erster Linie die reichen Leute. Die reichen Leute sparen halt über BlackRock oder andere Investmentfonds. Die gehen ja nicht zur Sparkasse und legen ihr Geld dort aufs Konto, sondern die sparen über diese Institutionen, und die kaufen dann die Papiere, wie diese Staatsanleihen. Die geben die Kredite an den Staat und die Banken natürlich auch. Und die verdienen alle daran, das ist gar keine Frage. Aber natürlich erwartet auch der kleine Sparer Zinsen. Der kriegt zwar nicht so viel wie die Bank, aber wenn die Bank überhaupt Zinsen bezahlen kann, ist die Voraussetzung dafür, dass jemand Schulden gemacht hat.
Dann bleibt natürlich die Frage, wofür diese Kredite vom Staat genutzt und wie die Zinsen bezahlt werden. Wenn damit insgesamt die Produktivität der deutschen Wirtschaft gesteigert wird, profitiert auch der Staat und kann davon die Zinsen bezahlen. Höhere Steuern braucht man dann nicht. Aber wenn man den Großteil der Schulden für Militärausgaben verwendet, kann man sicher sein, dass das eben nicht produktiv im Sinne von nachhaltigem Wirtschaftswachstum ist. Es gibt nichts Unproduktiveres als Rüstungsausgaben.
Unabhängig von den Milliardenprogrammen für Aufrüstung und Infrastruktur haben die Koalitionsparteien ja bereits Eckpunkte für den künftigen Haushalt angedeutet, wobei es in einigen Bereichen deutliche Kürzungen geben soll und wird, auf der anderen Seite Steuersenkungen für Unternehmen und Wohlhabende. Lässt sich das in seinen Auswirkungen bereits einschätzen?
Nein, das kann man noch nicht abschätzen. Aber es spricht Vieles dafür, dass ein Großteil des positiven Effekts, den die Schulden auf die Infrastruktur haben könnten, an anderer Stelle wieder weggekürzt wird. Es kommt immer auf den Saldo an. Im Moment ist noch kein Euro von diesen Schulden ausgegeben. Das sind alles nur Absichtserklärungen. Und jetzt muss sich die Regierung erst einmal zusammenraufen und einen Haushalt aufstellen. Dann sieht man, was wirklich am Ende rauskommt. Und das ist eine völlig offene Frage. Ob sich die Schuldenprogramme wirklich positiv für die deutsche Wirtschaft auswirken, kann man jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen.
Das Investitionsprogramm für Infrastruktur blendet ja Fragen der sozialen Infrastruktur komplett aus. Also soziale Zeitbomben wie zum Beispiel der stetig wachsende Mangel an bezahlbarem Wohnraum durch stagnierenden Neubau und explodierende Mietkosten sollen ja offenbar ausgesessen werden von der neuen Regierung. Wäre es denn eine sinnvolle Option für diesen Bereich, der in Deutschland wirklich brennt, ein entsprechend ausgestattetes Sondervermögen aufzulegen?
Natürlich hätte man das machen oder mit einschließen können. Man muss zunächst aber sagen, dieses Infrastrukturprogramm ist ja gar nicht so viel. Das sind 500 Milliarden Euro für 12 Jahre. Das ist nichts, was die Welt verändert. Aber ja, ich bin absolut der Meinung, dass im Bereich Wohnungsbau unbedingt viel mehr als bisher getan werden müsste. Wir sind von der Zielmarke von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr unendlich weit entfernt. Dafür wären Sonderschulden absolut angemessen gewesen.
Gibt es denn überhaupt noch relevante politische Kräfte, die sich der jetzigen Politik irgendwie wirksam entgegenstellen? Zum Beispiel die Gewerkschaftsführungen haben ja bereits deutlich gemacht, dass sie sowohl diese Kriegskredite als auch das Infrastrukturprogramm im Prinzip gut finden.
Ja, das ist tragisch. Die Gewerkschaften sind sehr schwach, und die Gewerkschaftsspitzen existieren in der öffentlichen Diskussion faktisch gar nicht. Früher haben die sich in solchen wichtigen Auseinandersetzungen noch öffentlich eingemischt, aber jetzt agieren sie nur noch als Interessenvertreter einer begrenzten Klientel. Was extrem problematisch ist, denn man bräuchte natürlich die Gewerkschaften als eine progressive und gesamtwirtschaftlich relevante Stimme. Generell gilt, dass man gesamtwirtschaftliches Denken braucht, um erfolgreiche Wirtschaftspolitik machen zu können. Und da sehe ich derzeit bei keiner Partei, auch nicht beim BSW und bei den Linken Licht am Ende des Tunnels. Und das ist wirklich schlimm.
Vielleicht mal zum Schluss noch eine kleine Gesamteinschätzung. Wie wird sich denn das aktuelle Vorgehen der Merz-Regierung kurz- und mittelfristig auf die politische und ökonomische Situation Deutschlands auswirken?
Wenn jetzt an allen möglichen Stellen wie verrückt gekürzt wird, ist eine positive Auswirkung nur in der Rüstungsindustrie zu erwarten. Meine Befürchtung ist, dass die CDU sich jetzt vollumfänglich gegen die SPD durchsetzen und gerade im sozialen Bereich den Rotstift ansetzen wird. Das wird dann die wirtschaftliche Entwicklung massiv belasten und außerdem die sozialen Spannungen deutlich verschärfen.
Wichtig ist ferner, dass sich die Europäische Zentralbank vernünftig verhält und nicht wieder die Zinsen erhöht, wie das jetzt schon diskutiert wird. Und vor allem müsste Europa über Deutschland hinaus dabei mitgenommen werden. Denn andere Länder haben ja auch enorme Bedarfe für kreditfinanzierte Investitionen in die Infrastruktur. Wenn das jetzt eine deutsche Sonderaktion bleibt, dann wird es in Europa einen ganz großen Knatsch geben.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Rainer Balcerowiak.
Heiner Flassbeck ist Wirtschaftswissenschaftler und Publizist.
1999 war er unter Oskar Lafontaine Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und von 2003 bis 2012 Chef-Volkswirt bei der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung in Genf.
MieterEcho 449 / Mai 2025