Der BlackRock-Kapitalismus
Mit Friedrich Merz soll erstmals ein unmittelbarer Repräsentant institutioneller Anleger eine Bundesregierung führen
Von Werner Rügemer
Voraussichtlich am 6. Mai (nach Redaktionsschluss) wird Friedrich Merz im Deutschen Bundestag zum 10. Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt werden. Damit erreichte das wohl spektakulärste politische Comeback der bundesrepublikanischen Geschichte seinen vorläufigen Schlusspunkt. Denn 2004 schienen seine damaligen Ambitionen, in dieses höchste Regierungsamt aufzurücken, endgültig ausgebremst zu sein, nachdem er einen lange schwelenden Machtkampf mit Angela Merkel um die Führung der Partei und der Fraktion im Bundestag endgültig verloren hatte. 2009 verzichtete er dann auch auf eine erneute Kandidatur für den Bundestag.
Seine Karriere als bestens in der Politik vernetzter Wirtschaftsanwalt hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits zielstrebig vorangetrieben. Bereits seit 2005 arbeitete er in der US-Wirtschaftskanzlei Mayer Brown und wurde später auch ihr Miteigentümer. Es war die Zeit, in der nach entsprechender Vorarbeit der „rot-grünen“ Regierung von Gerhard Schröder (SPD) und Joseph Fischer (Grüne) verstärkt Finanzinvestoren in Deutschland einfielen.
Mayer Brown hatte auch in Deutschland den Schwerpunkt Private Equity Investment. Diese Investoren, wegen ihrer brutalen Praktiken auch „Heuschrecken“ genannt, kauften und verwerteten bis heute tausende deutsche Mittelstandsfirmen nach einem gängigen Muster: Unternehmensteile auslagern, Immobilien verkaufen, Betriebsräte rausschmeißen, Lohnstopp, Arbeitsplätze abbauen – dann Weiterverkauf oder Börsengang.
„Heuschrecken“-Opfer wurden auch hunderttausende öffentliche Wohnungen, etwa vom Bund (Gagfah), von Bundesländern (LEG in NRW, NILEG in Niedersachsen, GBW in Bayern, GWG in Hamburg, GSW und Bewoge in Berlin) und Kommunen (Woba in Dresden). BlackRock & Co. formten dann später aus diesen „Heuschrecken“-Beständen größere Konzerne, wie Vonovia, Deutsche Wohnen, LEG und TAG.
Merz hatte zudem bis zu 15 Aufsichtsratsmandate in von ihm beratenen Unternehmen wie Commerzbank, AXA und BASF und verdiente mehrfach: 1. als Anwalt, teilweise mit Tageshonoraren von 5.000 Euro, 2. als Teilhaber von Mayer Brown, 3. mit den Tantiemen, Boni usw. der beratenen Unternehmen. So waren seine Vorzugsaktien beim Schweizer Konzern Stadler Rail 2019 beim Börsengang 6,4 Millionen Schweizer Franken wert.
Als Top-Lobbyist zurück in die Politik
2009 schrieb er in seinem räuberischen Überschwang das Buch „Mehr Kapitalismus wagen“. Er jubelte: „Gut, dass wir auch in Deutschland ‚Heuschrecken‘ haben“. Er lobte die Werkzeuge dieser neuen Investoren: Kein gesetzlicher Mindestlohn! Weg mit dem Kündigungsschutz! Die Gewerkschaften raus aus den Betrieben! Die Mitbestimmung abschaffen! Unternehmenssteuern senken!
Seit 2016 war Friedrich Merz dann auch Vorsitzender des Aufsichtsrats der deutschen Tochterfirma von BlackRock, dem größten Kapitalorganisator des US-geführten Westens. BlackRock kaufte sich, zusammen mit ähnlichen Kapitalakteuren wie Vanguard, State Street, Capital Group, Fidelity u. a., als großer Aktionär in die wichtigsten deutschen Unternehmen ein.
Dafür arrangierte der Netzwerker Merz Treffen seines New Yorker BlackRock-Chefs Laurence Fink mit den Finanzministern Wolfgang Schäuble (CDU) und später Olaf Scholz (SPD). Merz arrangierte auch Treffen mit Kanzleramtschef Helge Braun und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (beide CDU), mit Vizekanzler Sigmar Gabriel und Finanzstaatssekretär Jörg Kukies (beide SPD), was in der Öffentlichkeit verborgen blieb. Seine Auftraggeber konnten und können hochzufrieden sein. Kein anderer Finanzinvestor hat jetzt so viel Miteigentum an den wichtigsten rund hundert Unternehmen in Deutschland, die in den Börsenindizes DAX, MDAX und TecDAX gelistet sind.
Als Merz dann CDU-Vorsitzender werden wollte, trat er 2020 bei BlackRock zurück. Aber die engen Verbindungen blieben bestehen, BlackRock-Chef Fink lud seinen Ex-Angestellten im Januar 2025 beim Weltwirtschaftsforum in Davos zum Dinner ins Luxushotel ein. Schließlich geht es auch für den Finanzkonzern um neue Strategien angesichts veränderter politischer Koordinaten. BlackRock – mit Clinton, Obama und Biden groß geworden – hat sich wendig zu Trump bekannt, der wiederum den Wahlsieg von Merz als „großen Tag für Deutschland“ bezeichnete. Und der machte Trump prompt ein Angebot: Deutschland und die EU kaufen noch mehr Fracking-Gas und Rüstungsgüter aus den USA. Dafür solle Trump keine Zölle auf Importe aus Europa verhängen. Übrigens: BlackRock ist auch führender Aktionär in der US-Fracking- und Rüstungsindustrie.
Nach der „rot-grünen“ Agenda 2010 hat Merz jetzt die Agenda 2030 aufgelegt: Ausländische Investoren rein! Asylanten raus! Weg mit dem Klima-Umwelt-Klimbim! Weg mit Regulierungen! Weg mit dem Bürgergeld! Runter mit den Unternehmenssteuern! Ganz im Sinne des alten Arbeitgebers. Seit dem Einstieg von BlackRock in Deutschland stieg der DAX-Kurs um das Fünffache, zeitweilig auf über 23.000 Punkte. Und das trotz Corona-Delle und anhaltender wirtschaftlicher Krise. Und der Hauptgewinn aus dieser Kursrallye geht an BlackRock. Und natürlich gibt’s auch höhere Boni für die DAX-Vorstände bei VW, Adidas, Mercedes, Deutsche Börse, Deutsche Bank, Rheinmetall usw. Auch die aktuellen, wellenförmigen Kursturbulenzen an der Börse als Folge der erratischen Zinspolitik von Donald Trump ändern daran kaum etwas.
Zur Merz-Agenda gehört auch die tendenzielle Absenkung der gesetzlichen Renten. In die Bresche soll dann das BlackRock-Konzept der Privatrente springen: Beschäftigte sollen Anteile an börsengehandelten Vermögensfonds (ETF) kaufen. Und wer ist unangefochtener Marktführer in Sachen ETF? Natürlich BlackRock, mit einem Anteil von über 40% des weltweiten ETF-Angebots.
BlackRock steigt ferner mit der Tochterfirma Global Infrastructure Partners (GIP) immer stärker in die Bereiche Wasser und Abwasser, Kraftwerke und Energieleitungen, Datencenter, Häfen usw. ein. Denn dafür haben die NATO-Staaten wegen drastisch erhöhter Militärbudgets kein Geld mehr. Sie sollen sich noch höher verschulden, auf Jahrzehnte. Das predigt jetzt auch Merz. Denn das bringt den Investoren Beteiligungs- und Zinsgewinne.
Auf der Agenda von großen Finanzinvestoren steht natürlich auch Deregulierung und Prekarisierung der Erwerbsarbeit. So hat in den vergangenen Jahren auch die Schwarzarbeit und die Arbeit von „illegalen“ Migrant/innen zugenommen, auf dem Bau, in der Gastronomie und der Lieferlogistik, in der häuslichen Pflege, der Prostitution, in Sicherheitsdiensten und Privathaushalten. Alles nach US-Muster: Migrant/innen reinlassen, gleichzeitig gegen sie hetzen und mit der Drohung von Abschiebung zur lautlosen, unsichtbaren Billigarbeit erpressen. Die Hetze soll die Ursachen der Flüchtlingsströme, also die Kriege und die weitere Verarmung der bereits armen Staaten, unsichtbar machen.
Es braucht breiten Widerstand
Aktuell spielt auch die Hetze gegen Russland eine besondere Rolle im Sinne der Agenda des US-geführten westlichen Kapitalismus. Die schuldenfinanzierte Aufrüstung bedeutet noch mehr Armut für die Mehrheitsbevölkerung, noch mehr steigende Mieten, noch mehr Arbeits- und Rentenarmut, noch mehr leistungslosen, grenzenlosen Reichtum einer asozialen Minderheit – und die Börsenkurse steigen, die Gewinne gehen weiter zu BlackRock & Co.
Deshalb müssen sich alle Betroffenen der Merz-BlackRock-Politik neu organisieren und vernetzen. Nicht nur für Frieden und Abrüstung. Sondern auch für wirtschaftliche und technologische Innovation und Souveränität, für den Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge (Verkehr, Bildung, Gesundheit und Pflege, öffentlicher Wohnungsbau, usw.), für wesentliche Erhöhung der beruflichen Einkommen und der Renten, für ökologische Landwirtschaft, für Klimaschutz.
Aber vor allem: Die in BlackRock verkörperte, deregulierte Macht der Kapitalist/innen muss gebrochen werden: „Tax the Rich!“ – dazu gehören an der Spitze die BlackRock-Briefkastenfirmen für die Allerreichsten, worüber Merz und SPD eisern schweigen. Und alleine die vielen hundert Milliarden an Steuern, die durch die US-Digitalkonzerne und ihre führenden Aktionäre BlackRock & Co. in der EU hinterzogen werden, würden die vielen Milliarden neuer Schulden unnötig machen, die jetzt von der Merz-Regierung und der EU aufgenommen werden und die Zukunft der Bevölkerungsmehrheiten auf Jahrzehnte verdüstern würden.
Es ist also Aufgabe aller Demokrat/innen, die Gefahr einer verschleierten, noch verschärften Kapital-Diktatur zu erkennen und die vielen, sehr verschiedenen Betroffenen dieser Politik – bis hinein ins Unternehmerlager – zusammenzubringen. In neuer Weise, und in europaweiter und globaler Kooperation.
Werner Rügemer, Dr. phil., interventionistischer Philosoph, ist tätig als Publizist, Berater und Stadtführer in Köln.
MieterEcho 449 / Mai 2025