Wenn Widerstand zur Kunst wird
„Keine Angst – Klassenkampf“ war das Motto des „Festiwalla“ an der Volksbühne
Von Peter Nowak
„Make Amazon Pay“ und „Amazon ist kein guter Nachbar“ lauteten die Parolen, die am 10. Juli über den Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte schallten. Dort wurde auf der großen Wiese vor der Volksbühne die Theaterperformance „Der Turm stürzt ein“ aufgeführt. Damit war der Amazon-Tower an der Warschauer Brücke gemeint, in dem im nächsten Jahr Führungskräfte des Tech-Konzerns einziehen sollen.
Amazon und andere Tech- und Logistikkonzerne stehen für den globalen Kapitalismus, das zeigte der Theater-Abend auf besondere Weise. Da ist nicht nur überdimensionierte Amazon-Büroturm „Edge East Side Berlin“ im schon seit Jahren gentrifizierten Gebiet rund um Ostbahnhof und Warschauer Straße. Auch die im März neu benannte Uber-Halle hinter dem Tower zeigt die Landnahme der Konzerne in diesem Gebiet.
Gegen den Amazon-Tower gibt es in unregelmäßigen Abständen Kundgebungen des Bündnisses „Berlin VS Amazon“. Auch die Farbflecke an dem Neubau zeugen von Renitenz. Doch kontinuierliche Proteste, wie sie vor 10 Jahren sogar mit bundesweiter Mobilisierung gegen die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt/Main mit dem Bündnis Blockupy organisiert wurden, bleiben in Berlin gegen Amazon aus.
Die am besten besuchte Kundgebung vor dem Amazon-Tower gab es im Oktober 2023, als das Theaterstück „Der Turm stürzt ein“ seine Premiere hatte. Aber auch bei der zweiten Aufführung vor der Volksbühne sorgten Aktivist/innen auch aus der Mieterbewegung dafür, dass die Trennung zwischen Theater und Protest aufgehoben wurde. Das ist ganz im Sinne der künstlerischen Akteure, die sich im Programmheft so vorstellen: „Wir sind die Turm-stürzt-ein-Crew und der Lauratibor Chor, eine Community aus Nachbar/innen, Künstler/innen, Aktivist/innen aus verschiedenen politischen Zusammenhängen und solidarische Menschen, die sich in Verteidigung von Projekten und Häusern gegen ihre Verdrängung und Räumung zusammengefunden haben, um ihren Protest so auf die Straße zu tragen und sich zu verbinden.“
In der Tradition der Volksbühne
In der 90-minütigen Vorführung wurde auch die globale Dimension des Tech-Kapitalismus gezeigt, für den Amazon steht. So ging eine Szene auf den Kampf gegen den Lithiumabbau in Südamerika ein, gegen den sich große Teile der Bevölkerung wehren und dafür häufig kriminalisiert werden. In anderen Szenen wurde Amazon als Treiber der globalen Überwachung gezeigt. Wobei allerdings Amazon da doch etwas zu viel Macht und Einfluss zugeschrieben wurde, den der Konzern zum Glück noch nicht hat. Dafür hätte der Kampf der Amazon-Beschäftigten für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen in verschiedenen Ländern künstlerisch etwas mehr Beachtung in dem Stück finden können.
Die Theateraufführung war der Auftakt des Kulturfestes „Festiwalla“, das in diesem Jahr unter dem Motto „Keine Angst – Klassenkampf“ stand. In dem Stück „J from the Block“ wurde auf der großen Bühne der Volksbühne am Beispiel der Beschäftigten der Lieferdienste gezeigt, wie schwierig es heute ist, im Arbeitsleben solidarisch zu handeln. Wir sehen dort eine Welt, wo die Beschäftigten per SMS gefeuert werden und wo Versuche, einen Betriebsrat zu gründen, mit immer neuen Tricks vom Management unterbunden werden. Doch wir sehen auch hier, dass sich Menschen trotz vieler Niederlagen nicht abschrecken lassen von der Organisierung.
In einer Ausstellung an den Wänden der Volksbühne wurde an historische Kämpfe der Arbeiterbewegung erinnert, die seinerzeit viel Aufmerksamkeit erregten und heute weitgehend vergessen sind. Die Volksbühne war seit ihrer Gründung eng mit der Arbeiterbewegung verbunden, wie in der Ausstellung gezeigt wird. Generell ist zu begrüßen, dass mit dem „Festiwalla“ eine neue, jüngere Generation an solche Kulturinstitutionen herangeführt wird. Organisiert wird es seit mehreren Jahren vom politisch engagierten Community-Theater X aus Moabit, erstmals war die Volksbühne der Veranstaltungsort. Es wäre zu wünschen, dass ein solch politisch engagiertes Programm dort wieder häufiger angeboten wird.
MieterEcho 443 / August 2024