Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 445 / November 2024

Verkehrsberuhigung als Stabilisierungsanker

Die Turmstraße sei auf einem guten Weg, meint die Stadtteilvertretung

Von Nicolas Šustr

Die Straßenbahn ist schon verschwunden, stattdessen gibt es drei Autospuren pro Richtung, auf Kosten der Tramgleise und der einst sehr breiten Bürgersteige. Kaufhäuser säumen die Straße: Hertie, Karstadt und das Modehaus Arendt. Mittendrin auch noch der Bahnhof der 1961 neu eröffneten U-Bahnlinie. Großer Stolz schwingt in dem Abendschau-Beitrag von 1964 über die Turmstraße mit, wie modern die Straße nun geworden ist. Das etwas über drei Minuten lange Filmchen ist Teil einer Serie, die die großen Einkaufsstraßen im Westteil Berlins vorstellt. Damit sollen die, wie es damals hieß, Brüder und Schwestern im Osten auf den aktuellen Stand gebracht werden. Denn seit dem Mauerbau 1961 können sie sich nicht mehr selbst ein Bild machen. Vom „Ku'damm von Moabit“ ist sogar die Rede im Beitrag.       

Ob damals auch andere Menschen als der Abendschau-Reporter diesen Vergleich gezogen haben, ist unklar. Sicher ist: Heute würde niemand auf die Idee kommen, eine Parallele mit dem Boulevard der City West zu ziehen. Hertie als letztes Kaufhaus hat bereits vor 15 Jahren dichtgemacht. „Die schlechte Geschäftsqualität in der Turmstraße ist unübersehbar“, heißt es bei der Sitzung der Stadtteilvertretung Turmstraße Ende September. „Die Leute bestellen nur noch online und kaufen online.“ Die Stadtteilvertretung ist das Begleitgremium der Bürgerbeteiligung im seit 2011 bestehenden Sanierungsgebiet Turmstraße; alle drei Jahre werden die Vertreter/innen neu gewählt.

Imbisse und Bäckereien dominieren die Einkaufsstraße heute. Dazu kommen noch Friseure, ein paar Spätis und Nagelstudios. Auffällig ist die sehr hohe Dichte an Supermärkten, neben den bekannten nationalen Ketten auch türkische, arabische und asiatische. Gerade hat auch der dritte Bio-Supermarkt eröffnet. Mit dem Lichthaus Moabit schloss im Frühjahr wohl das letzte traditionelle Fachgeschäft in der Straße nach fast 70 Jahren Existenz. Nun steht das Geschäft mit blitzblank geputzten Scheiben leer. Immerhin: Entlang des rund einen Kilometer langen Westteils zwischen Strom- und Beusselstraße, der die eigentliche Einkaufsstraße bildet, steht höchstens eine Handvoll Geschäfte leer und die Straße ist trubelig.

Shoppingcenter als Leerstands-Hotspot

Ein Leerstands-Hotspot ist ausgerechnet das vor sechs Jahren eröffnete Schultheiss-Quartier, das als Shoppingcenter und Bürostandort mit integriertem Hotel eröffnet worden ist. Obwohl die Einkaufsfläche schon um ein Drittel auf 20.000 qm reduziert worden ist, steht im Erdgeschoss rund ein Drittel der Geschäfte leer. 

Auch die Bürovermietung läuft so schlecht, dass Flächen zu Apartments für die Kurzzeitvermietung umgewandelt werden sollen. Offensichtlich hat sich die HGHI Holding des stadtbekannten Investors Harald Huth verrechnet. Als „High Gain House Investment“, dafür stehen die Buchstaben, also ein Hochrendite-Hausinvestment, hat sich die ehemalige Brauerei nicht erwiesen. Immerhin hat das taumelnde Shoppingcenter keine Fachgeschäfte aus dem Rest der Turmstraße abgezogen – die waren schon weg.

Die Teilnehmenden der Sitzung der Stadtteilvertretung sind sich dennoch einig, dass die schlimmsten Jahre der Turmstraße vorbei sind. Mit den Gesetzesverschärfungen auf Landesebene sind nach und nach die Spielhallen großteils verschwunden. „Das zeigt, dass gesetzliche Regulierung funktionieren kann“, sagt ein Teilnehmer der Sitzung.

Wie hoch der Anteil des 2025 auslaufenden Geschäftsstraßenmanagements Turmstraße an der Verbesserung der Lage ist, wird eher zurückhaltend beurteilt. Die Möglichkeiten halten sich in Grenzen. Die Händler und Betriebe sind besser miteinander vernetzt worden, eine Überführung in eine selbstorganisierte institutionalisierte Struktur dieser Vernetzung, beispielsweise als Verein, ist auch nach über einem Jahrzehnt nicht gelungen. Einmal pro Jahr wird ein Straßenfest organisiert, eine schicke Papiertüte mit Turmstraßenmotiv wurde aufgelegt. Die Läden können sie bestellen. Ein Etat von bis zu 10.000 Euro pro Jahr für kleinere Maßnahmen entlang der Straße steht zur Verfügung.

„Gemeinsam werden (Marketing-)Aktionen, Projekte und Veranstaltungen durchgeführt, die ein positives Image der Turmstraße nach innen und außen tragen und die Vernetzung unter den lokalen Akteur/innen fördern. Darüber hinaus ist das Geschäftsstraßenmanagement Ansprechpartner für ansiedlungsinteressierte Gewerbetreibende und Investor/innen, vermarktet den Standort und vermittelt bei der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten“, werden dann auch die eher bescheidenen Eingriffsmöglichkeiten des Managements genannt. Das Geschäftsstraßenmanagement war krankheitsbedingt für das MieterEcho leider bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht zu erreichen.

Mehrere Mitglieder der Stadtteilvertretung sehen als ein großes Problem fehlende Regulierungsmöglichkeiten bei den Gewerbemieten. „Es sind ja viele alteingesessene Läden rausgegangen, weil einfach die Miete so raufging“, heißt es. Als konkretes Beispiel wird ein Laden genannt, bei dem die Miete schlagartig von 4.000 auf 7.000 Euro fast verdoppelt worden ist. Gefordert wird eine Mietpreisbremse für Gewerbe. Es dürfe nicht sein, dass „es lukrativer ist, einen Laden leerstehen zu lassen, als ihn günstig zu vermieten“, wird gesagt.

Auch eine Kuratierung der Geschäftsstruktur wird als wünschenswerte Maßnahme gesehen, um mehr Qualität und Attraktivität in den Gewerbemix zu bekommen. In der Elberfelder Straße, einer Seitenstraße der Turmstraße, hätten sich inzwischen mehrere Schneidereien angesiedelt, wodurch ein Anziehungspunkt entstanden sei, wird berichtet. Allerdings ein gutes Stück entfernt von der Turmstraße. „Das wäre eine Chance, wenn ausgefallene Sachen angeboten werden, die nicht so leicht im Internet beschafft werden können“, sagt eine Teilnehmerin der Runde. Solche Konzepte stehen und fallen mit der Bereitschaft der Immobilieneigentümer, öffentliche Steuerungsmöglichkeiten gibt es aber nicht. Dazu kommt noch die fehlende Gewerbemietenregulierung.

Einig ist man sich, dass der Turmstraße vor allem die Verkehrsberuhigung geholfen hat. „Früher sind die Autos hier auf vier Spuren mit teilweise 70, 80 Sachen durchgerast“, wird berichtet. Der private Autoverkehr habe mit der Reduzierung auf eine Spur pro Richtung und der Ausweitung von Schankvorgärten massiv abgenommen. 

Die Aufenthaltsqualität wurde deutlich gesteigert. Der vor etwas über einem Jahr eröffneten Straßenbahnverlängerung vom Hauptbahnhof zum U-Bahnhof Turmstraße wird ein wesentlicher Einfluss zugesprochen. Dadurch blieb im Ostteil der Turmstraße nur eine Autospur pro Richtung übrig, außerdem spülen die meist gut gefüllten Züge viel neues und junges Publikum in die Straße, heißt es.                       

Hoffnung auf Tramverlängerung

Mehrheitlich wird auch die anstehende Verlängerung der Tram M10 bis zum Bahnhof Jungfernheide grundsätzlich begrüßt. Auf rund 3,5 Kilometern Streckenlänge soll die Strecke durch die Turm- und Huttenstraße weiter nach Charlottenburg geführt werden. Damit würde Moabit nach vielen Jahrzehnten wieder über eine attraktive Ost-West-Nahverkehrsachse verfügen. Sorgen bereitet aber die geplante Gleisführung in der Mitte der Turmstraße auf separatem Gleiskörper. Die Querbarkeit der Straße für Fußgänger würde leiden, so die Befürchtung.

„Die Stadtteilvertretung Turmstraße plädiert dafür, im Zuge der Tramverlängerung zum U- und S-Bahnhof Jungfernheide die Turmstraße zwischen Stromstraße und Beusselstraße für den motorisierten individuellen Durchfahrtverkehr zu sperren“, heißt es in einem Beschluss aus dem Jahr 2020. „Die Tram würde an den Abschnitten, an denen sie auf Straßenniveau zusammen mit dem motorisierten Verkehr fährt, nicht durch den alltäglichen Stau behindert. Gleichzeitig bedeutet es eine Entlastung der durch die Tram weiter zunehmenden Lärmemissionen für Anwohner/innen, Nutzer/innen, Erwerbstätige und die Gäste der Straßenrestaurationen der Turmstraße“, so die Begründung.

Laut Senat soll das Planfeststellungsverfahren für die Strecke noch dieses Jahr eingeleitet werden. Mit Widerstand, nicht gegen die Strecke an sich, sondern die konkret geplante Aufteilung des Straßenraums, ist zu rechnen. Das zarte Pflänzchen der Stabilisierung der Turmstraße wollen die Anwohnenden nicht zerstört sehen. Ein steigendes Niveau des gastronomischen Angebots ist eine der Hoffnungen, auf die sie setzen. Mit der Qualität und der Auswahl der Nahver-sorgung ist man bei der Stadtteilvertretung eigentlich zufrieden. „Wenn ich mehr Auswahl will, muss ich halt drei Stationen mit der U-Bahn zum Ku'damm fahren.“ Das sei in Ordnung.


MieterEcho 445 / November 2024

Teaserspalte

Berliner MieterGemeinschaft e.V.
Möckernstraße 92
10963 Berlin

Tel.: 030 - 21 00 25 84
Fax: 030 - 216 85 15

Email: me(at)bmgev.de

Ferienwohnungen

Unsere Umfrage

Falls sich eine oder mehrere Ferienwohnung(en) in Ihrem Haus befinden, berichten Sie uns davon und schildern Sie Ihre Erfahrungen in unserer Online-Umfrage.