Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 446 / Dezember 2024

Sperrtrupps on tour

Tausende Berliner Haushalte sind jährlich von Strom-, Gas- und Warmwassersperren betroffen

Von Oliver Rast

Es ist rasch gemacht: Ein, zwei Handgriffe, Plombe ran, Klebezettel drüber: Energiesperre! Strom, Gas, Warmwasser – alles gekappt, schlimmstenfalls. Für Betroffene hat das ernste Folgen, gefühlt eine kalte Entmietung. Besonders, wenn der Herbst hereinbricht, es böig und schummrig wird; bald frostig und zappenduster. Wohnzimmer im Kerzenschein, Schlafraum mit Akku-Baustellenleuchte, Toilettengang dank Taschenlampe. Wer von Energiearmut betroffen ist, lebt in menschenunwürdigen Zuständen.   

Für den Status „Energiearmut“ gibt es eine Art Richtwert. Müssen Privathaushalte mehr als 10% ihres Nettoeinkommens für Strom, Gas und  Warmwasser aufwenden, fallen sie in diese Kategorie. Drei weitere Kriterien hat das „Ecological Research Network“ (Ecornet Berlin) während der „Berliner Energietage“ im April 2021 definiert. Wenn Haushalte nicht in der Lage sind, Heiz- und Stromkosten zu begleichen, Wohnraum angemessen zu heizen oder Energieverbrauch für Grundbedürfnisse einschränken müssen.

Die schärfste Sanktion dabei ist das (temporäre) Kappen der Energieversorgung. Und das läuft so ab: Grundversorgerin für Strom in der Hauptstadt ist die Vattenfall Europe Sales GmbH, Betreiberin des Verteilnetzes die Stromnetz Berlin GmbH. Sperraufträge werden durch den Stromlieferanten an die Netzbetreiberin überreicht. Eine Terminplanung der „Sperrgänge“ folgt. Die Netzbetreiberin setzt die Sperrung gemäß des bundeseinheitlichen, von der Bundesnetzagentur vorgegebenen Lieferantenrahmenvertrags durch. Binnen sechs Werktagen. Ausnahme: „Weihnachtsfrieden“. Zwischen Heiligabend und Neujahr gibt es keine Energiesperren. 

Unklar ist, wie viele Miethaushalte in Berlin von Energiearmut betroffen sind. Die Leiterin der Landesarbeitsgemeinschaft Schuldner- und Insolvenzberatung Berlin, Anne Wistuba, kann auf MieterEcho-Nachfrage „keine belastbaren Angaben machen.“ Das gilt auch für die Berliner Verbraucherzentrale

Berlin.

Unzureichende Hilfsangebote

Eines ist aber bekannt: In Berlin wurden 2023 exakt 5.569 Haushalte von Sperrtrupps heimgesucht. Das geht aus einer Antwort der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe auf eine Anfrage des energiepolitischen Sprechers der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Sebastian Scheel, hervor. Auffallend ist die zeitliche und räumliche Verteilung. Rund zwei Drittel der Sperrungen erfolgten von September bis November. In Mitte (788) und Friedrichshain-Kreuzberg (600) kamen die „Abklemmer“ am häufigsten, in Steglitz-Zehlendorf (201) am seltensten. 

In einer dunkelkalten Bude zu hocken, kann schnell passieren. Bereits bei einem Zahlungsverzug von 100 Euro können Versorger oder Lieferanten eine Unterbrechung der Elektrizität einleiten. Aufgeschlüsselt werden die Gründe für gesperrte Leitungen indes nicht, die Betreiberin Stromnetz Berlin „arbeitet alleinig im Auftrag des jeweiligen Lieferanten“, steht in der Senatsantwort.

Aber wie kann den Betroffenen geholfen werden? 2023 hatte der Berliner Senat einen Härtefallfonds Energieschulden aufgelegt. Anfangs millionenschwer, später auf einen Etat von 400.000 Euro zusammengestrichen. Leicht ist es nicht, als „Härtefall“ amtlich zu gelten. Vom 1. Januar bis zum 14. November 2024 wurden nur 85 Haushalte finanziell mittels des Fonds unterstützt, um Energiesperren aufzuheben oder zu verhindern, sagte eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung gegenüber MieterEcho. Hingegen hat die Behörde im selben Zeitraum 325 Anträge abgelehnt. Offen ist, welche Finanzmittel dafür  im Doppelhaushalt 2025/26 eingeplant werden. Die Beratungen seien wegen der „pauschalen Minderausgaben“ noch nicht abgeschlossen, so die Sprecherin. 

Vom Tauziehen der „schwarz-roten“ Koalitionäre um Haushaltsposten abgesehen: „Es braucht ein grundsätzliches Verbot von Strom- und Gassperren aus sozialen Gründen“, heißt es aus dem Büro von Ferat Kocak, dem im Abgeordnetenhaus für Energiearmut zuständigen Linken-Politiker, auf MieterEcho-Nachfrage. Erst recht, wenn man bedenke, dass Personen mit geringen Einkommen weitaus weniger Energie verbrauchen, als die mit hohen.  


MieterEcho 446 / Dezember 2024

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