Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 444 / September 2024

„Raus aufs Land“ ist auch keine Lösung

Brandenburg: Großer Handlungsbedarf bei der sozialen Wohnraumversorgung

Von Rosa Schick und Kaspar Metzkow

Für Berliner/innen ist Brandenburg vor allem Ausflugsziel und Sehnsuchtsort mit viel Natur und leistbaren Preisen. Homeoffice macht es möglich, in Brandenburg vergleichsweise günstig zu wohnen und in Berlin oder anderswo zu arbeiten. Nicht zuletzt so vorgeschlagen von Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD).

Doch wie steht es wirklich um leistbare Mieten und verfügbaren Wohnraum in Brandenburg? Dazu haben wir im Auftrag der Linksfraktion des Brandenburger Landtags die Studie „Mieten und Wohnen in Brandenburg” erarbeitet, in der wir uns von der Mietentwicklung über das Angebot an Sozialwohnungen bis hin zu Flächenkonsum und Bautätigkeit zahlreichen Fragen der sozialen Wohnraumversorgung widmen.

Deutlich wird dabei, dass die Mieten nicht nur in Berlin, sondern auch in Brandenburg, und zwar weit über den „Speckgürtel” hinaus, steigen.  Die Steigerungen fallen zwar im Berliner Umland und in den großen Städten Brandenburgs stärker aus, sind aber auch in der Fläche spürbar.

Davor schützt auch der viel beschworene Leerstand nicht, wie die Mietenentwicklung in Frankfurt (Oder) zeigt. Dort beziffern die Unternehmen des BBU (Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V.) ihren Leerstand auf über 8%, während die Angebotsmieten von 2013 bis 2022 um über 40% stiegen und jetzt mehr als 2 Euro/qm über den Bestandsmieten liegen, die ihrerseits um 20% gestiegen sind.

Hinzu kommt, dass im ganzen Bundesland ein erheblicher Bedarf an Wohnraum herrscht, der auch für kleine Einkommen und Menschen im Transferleistungsbezug bezahlbar ist. Denen hilft eine im Vergleich mit Berlin günstige Miete wenig, wenn sie dennoch nicht leistbar ist. Nimmt man an, dass Menschen höchstens 30% ihres Einkommens für ihre Warmmiete aufbringen sollten, sind fast 290.000 Haushalte in Brandenburg, ein knappes Viertel der Bevölkerung, auf Mieten von maximal 10 Euro/qm bruttowarm (6,82 Euro bruttokalt) angewiesen.

Immer weniger Sozialwohnungen

Das Wohngeld ist hier kaum behilflich, wie die Bezugszahlen zeigen: In wenigen Landkreisen beziehen mehr als 3% der Haushalte Wohngeld, obwohl der Anteil der Berechtigten deutlich höher ist. Das mit großem Tamtam überarbeitete Instrument ist nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, woran sich auch durch die Ausweitung des Wohngelds 2024 nicht viel geändert hat.

Dazu kommt, dass der Bestand an Sozialwohnungen in den letzten Jahren deutlich gesunken ist. Der Hoffnung, der Anteil an sozial gebundenen Wohnungen könnte durch geförderten Neubau stabil gehalten werden, stehen Kostensteigerungen gegenüber. Zudem ist stets nur ein Teil der geförderten Wohnungen letztendlich als Sozialwohnung gebunden. Von den 2022 geförderten 941 Wohnungen wurden nur für 667 Wohnungen eine Mietpreis- und Belegungsbindung festgelegt. Selbst wenn das aktuell niedrige Niveau gehalten würde, also genug neue Sozialwohnungen hinzukämen, um den stetigen Rückgang durch auslaufende Bindungen auszugleichen, wäre die Versorgung unzureichend: Für 260.000 sozialwohnungsberechtige Haushalte gibt es aktuell nur ca. 20.000 gebundene Wohnungen.

Im Vergleich zu Berlin ist der Kreis der Berechtigten in Brandenburg eng gezogen. Nur ein Fünftel der Brandenburger Haushalte kann aufgrund des geringen Einkommens einen Wohnberechtigungsschein beantragen. In Berlin ist das mehr als die Hälfte. Die im Brandenburger Wohnraumfördergesetz festgelegten Einkommensgrenzen sind vergleichsweise restriktiv und liegen unter denen des Berliner „WBS140” (140% der vom Bund festgelegten Grenze), der den ärmeren Berliner Haushalten vorbehalten ist.

Erweitert man die Betrachtung auf alle, die Einkommen von maximal 2.000 Euro pro Monat zur Verfügung haben, dann beträfe das über ein Drittel aller Brandenburger Haushalte, rund 430.000. Vor dem Hintergrund, dass mehr als ein Drittel der Brandenburger Haushalte mit ihrer Mietzahlung bereits die Grenzen der Leistbarkeit überschreitet, wäre dies eine eher geringe Anpassung, die aber den Mangel an geförderten Wohnungen noch drastischer aufzeigt.

Eine Chance stellen die Bestände kommunaler und genossenschaftlicher Akteure dar. Gemeinsam kommen sie auf ca. 270.000 Wohnungen (155.000 kommunal, 115.000 genossenschaftlich). Doch diese bieten bei weitem nicht nur günstige Wohnungen an, auch wenn der BBU dies mit der regelmäßigen Veröffentlichung von geringen Durchschnittsmieten suggeriert. Stellen wir den sozialen Versorgungsbedarf für die 430.000 Haushalte mit geringen Einkommen dem Bestand an Sozialwohnungen (20.000) sowie den kommunalen und genossenschaftliche Beständen (270.000) gegenüber, besteht immer noch eine soziale Wohnversorgungslücke von 164.000 Wohnungen.

Kommunale und genossenschaftlichen Akteure bergen in Brandenburg großes Potenzial für die soziale Wohnungsversorgung, das aber bislang nicht ausgeschöpft wurde. Das zeigt auch der Fall des Potsdamer „Mietendeckels”, bei dem die Potsdamer/innen per Volksbegehren ihrem kommunalen Unternehmen einen sozialen Kurs abtrotzen mussten.

Auf der anderen Seite stehen Wohnungs- und Flächenverkäufe sowie der Verzicht auf eine vorausschauende Bodenpolitik dafür, dass sich viele kommunale Unternehmen und Lokalpolitiker/innen in der Liegenschaftspolitk von kurzfristigen Überlegungen leiten lassen. Doch die Erfahrung in anderen Städten zeigt: Die langfristigen Kosten von Privatisierung und fehlender Flächensicherung übersteigen stets den kurzfristigen Nutzen der Verkaufserlöse.

Die Bedarfe in Brandenburg sind – wenig überraschend – von großen regionalen Unterschieden geprägt. Während in manchen Gemeinden die Bodenpreisspirale fortgeschritten ist und über Milieuschutz und Zweckentfremdung gestritten wird, müssen in anderen Gemeinden Leerstände und Sanierungsrückstände nachhaltig beseitigt werden. Parameter wie die Nähe zu Berlin, der Zuzug oder die Neubauquote können zwar Indikatoren sein, aber die Analyse zeigt, dass sie nicht ausreichen, um die lokalen Herausforderungen zu erfassen. Entsprechend schwer fällt es, einheitliche Empfehlungen auszusprechen. Auf folgende vier Vorschläge konnten wir uns in der Studie einigen.

Vorschläge für einen Kurswechsel

  1. Bodenpolitik muss vorausschauend, aufbauend und antizyklisch erfolgen. Gerade in Zeiten entspannter Märkte müssen kommunale Grundstücke gesichert und durch strategischen Ankauf gemehrt werden, sonst fehlen in Zeiten angespannter Märkte und großer Aufgaben (z. B. energetische Sanierung) die Möglichkeiten zur Steuerung. Im schlimmsten Fall kauft man teuer zurück, was man einst günstig verkaufte. Da Flächenbevorratung für Kommunen mit klammen Kassen eine finanzielle Herausforderung ist, braucht es kreative Lösungen, wie Baulandmodelle, die privaten Investoren neben Anteilen für geförderten Wohnungsbau und Abgaben für soziale Infrastruktur auch den Abtritt von Flächen an die Kommune auferlegen.
  2. Vorausschauend muss auch die dauerhafte Bereitstellung von Sozialwohnungen sein. Die weitere Förderung von Wohnungen mit nur zeitlich begrenzter Sozialbindung ist dabei nicht zielführend. Brandenburg könnte sein Potenzial der großen kommunalen und genossenschaftlichen Bestände heben und Möglichkeiten zur Förderung dauerhaft gebundener Wohnungen schaffen. Etwa durch die rechtliche Absicherung der Gemeinwohlorientierung per Satzung und Gesetz.
  3. Wohngeld ist keine nachhaltige Lösung, kann aber kurzfristig Mieter/innen mit geringem Einkommen unterstützen und jenen helfen, für die selbst Sozialwohnungen zu teuer sind. Bisher ist die Beantragung des Wohngeldes kompliziert, langwierig und voller Hürden. Anträge müssen erleichtert, Wohngeldstellen personell ausgebaut und parallel zum konventionellen Antrag auch digitale Beantragungen ermöglicht werden.
  4. Die Möglichkeiten für zusätzlichen Mieterschutz, wie Mietpreisbremse, herabgesetzte Kappungsgrenze, Umwandlungsverbot und verlängerte Schutzfrist vor Eigenbedarfskündigungen, müssen flächendeckend geprüft werden. Obgleich klar ist, dass angespannte Märkte nicht in allen Gemeinden vorliegen, muss die Prüfung gründlich erfolgen und darf nicht systematisch jene ausschließen, die weiter weg von Berlin liegen oder viel Leerstand haben.

 

Zum Weiterlesen:
Rosa Schick, Kaspar Metzkow, Andrej Holm, Valentin Regnault 2024: Mieten und Wohnen in Brandenburg. Studie im Auftrag der Fraktion Die Linke im Landtag Brandenburg

Rosa Schick studierte Urban Design an der TU Berlin und arbeitet als Fachreferentin für Stadtentwicklung, Wohnen und Klima bei der Linksfraktion in der BVV in Berlin-Mitte.
Kaspar Metzkow studierte Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist als Wohnungsexperte in einem Berliner Büro für angewandte Stadt- und Sozialforschung tätig.


MieterEcho 444 / September 2024

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