Politik der langen Leitung
Die vollmundigen Versprechungen des CDU-SPD-Senats zur Ankurbelung des Neubaus haben sich längst als Luftblasen entpuppt
Von Andrej Holm
Die Regierungskoalition aus CDU und SPD hat im April 2023 für den Rest der Legislaturperiode bis 2026 einen Koalitionsvertrag unterzeichnet, der „Das Beste für Berlin“ verspricht. Die Halbzeitbilanz für den Bereich des Bauens und Wohnens fällt eher bescheiden aus. Die Neubauziele wurden verfehlt, das Wohnungsbaubündnis gilt als gescheitert und auch für die soziale Wohnversorgung gibt es keine überzeugende Strategie.
Mit CDU und SPD hat die Bauen-Bauen-Bauen-Fraktion der Berliner Politik die Regierungsverantwortung übernommen. Über viele Jahre hinweg überschlugen sich die Christ- und Sozialdemokraten mit ihrer Kritik an der Nicht-Wohnungsbau-Senatorin Katrin Lompscher (Die Linke) und der angeblichen Neubauverhinderungspolitik. Jede Zielverfehlung wurde auf den fehlenden Bauwillen der linken Amtsträger zurückgeführt. Und in der rot-grün-roten Übergangsregierung vor der Wiederholungswahl setzte die SPD eine quasi-religiöse Verpflichtung der Neubauziele durch. Gleich in mehreren Passagen des Koalitionsvertrages von 2021 war vom „Bekenntnis der Koalition zu den Neubauzielen“ die Rede. Warum und Wie sind für eine Politik der Bekenntnisse bekanntlich unbequeme Fragen, und schon unter Franziska Giffey (SPD) wurde das Ziel von 20.000 Fertigstellungen pro Jahr weder sachlich begründet noch auf die Umsetzungsbedingungen hin geprüft.
Diejenigen, die nach dem Regierungswechsel auf einen Bauboom hofften, wurden von CDU und SPD eher enttäuscht: Das Bekenntnis zu den 20.000 neuen Wohnungen und den 5.000 Sozialwohnungen wurde im Koalitionsvertrag 2023 um ein einschränkendes „bis zu“ ergänzt. Es sollen also durchschnittlich „bis zu 20.000 Wohnungen“ pro Jahr gebaut werden. Wie und von wem die vielen Wohnungen gebaut werden sollen, wird nicht weiter ausgeführt. Aber in völliger Überschätzung der eigenen Rolle für das Bauen in der Stadt wird in dem Dokument von CDU und SPD versprochen: „Den Neubau bezahlbarer Wohnungen treiben wir … mit sehr ambitionierten Zielzahlen voran.“ Das klingt ein wenig nach Ernteschlacht und Wohnungsbauprogramm in der Spätphase der DDR – aber damals war die Logik von ambitionierten Zielzahlen zumindest durch eine Planwirtschaft gedeckt. Unter den Bedingungen des Marktes haben politische Zielzahlen, insbesondere für private Wohnungsunternehmen, nur eine geringe Verbindlichkeit.
Im Jahr 2023 wurden knapp 14.700 Neubauwohnungen fertiggestellt – ein Wert, der nicht nur das Ziel deutlich verfehlte, sondern noch hinter den Schnitt der jährlichen Fertigstellungszahlen unter den rot-grün-roten Vorgängerregierungen zurückfiel.
Neubauziele nur noch Makulatur
Diese Stagnation der Bautätigkeit wird von einigen als Ballast der Vorgängerregierung angesehen, weil die viel zu zögerlich mit der Bearbeitung von Baugenehmigungen umgegangen sei. Doch auch hier sind die Zahlen deutlich. Unter CDU und SPD setzt sich die Verringerung der Genehmigungszahlen unvermindert fort. Auf der Basis der nur knapp über 6.750 Baugenehmigungen bis Ende September des Jahres droht die Genehmigungsstatistik 2024 die 10.000-Wohnungen-Grenze erstmals seit über 10 Jahren wieder zu unterschreiten. Baupolitisch ist das eine Zeitreise zurück ins Jahr 2013 – nur leider mit deutlich gestiegenen Mietpreisen und weniger Sozialwohnungen. Selbst die Analysten des Immobilienunternehmens JLL stellen resigniert fest, dass die Neubauleistung der eigentlich wirtschaftsfreundlichen Regierung im Vergleich zum Vorjahr um 7,8% gesunken ist: „Das politische Ziel von 20.000 neuen Wohnungen pro Jahr wurde damit wie in den Vorjahren deutlich verfehlt.“ (www.jll.de/de/trends-and-insights/research/wohnungsmarktueberblick)
Dass sich Wohnungsbauzahlen nicht durch Versprechungen und Bekenntnisse in Koalitionsvereinbarungen beeinflussen lassen, sollte nicht wundern – doch wie sieht es bei den Bauaktivitäten aus, die unmittelbar von einer Landesregierung verantwortet werden? Auch für den öffentlichen Wohnungsbau gibt es ambitionierte Ziele. In der Koalitionsvereinbarung heißt es dazu: „Von den neu zu errichtenden Wohnungen soll ein Anteil von rund 6.500 Wohnungen pro Jahr auf die Landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWU) entfallen.“
Mit knapp 4.600 fertiggestellten Wohnungen erreichte die Bautätigkeit der LWU im ersten Jahr der CDU/SPD-Koalition gerade einmal 71% des selbstgesteckten Ziels. Das entspricht in etwa dem Mittel der Zielerfüllung der Vorgängerregierung. Ebenfalls wie bei den Vorgängerregierungen werden die unzureichenden Wohnungsbauzahlen der LWU mit jeweils akuten Hindernissen und Herausforderungen begründet. Kriege, Krisen, Corona – irgendwas ist immer. Und wie die früheren Senator/innen verspricht auch Christian Gaebler (SPD) eine Verbesserung in den nächsten Jahren. Mit ausführlichen Zahlen zu begonnenen Planungs- und Bauprojekten werden hohe Fertigstellungszahlen in den nächsten Jahren versprochen. In einer Pressemitteilung des Senators von Anfang August 2024 heißt es etwas verwirrend: „Für den Zeitraum 2022 bis 2026 haben die LWU nach derzeitigem Planungsstand einen Zuwachs von 25.516 Neubauwohnungen angegeben. (…) Eine realistische Einschätzung der Baubeginne ist derzeit bis Ende 2024 möglich. Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzung sind Baubeginne für rund 28.834 Wohnungen und rund 25.516 Fertigstellungen von Anfang 2022 bis Ende 2026 möglich.“
Also: Die LWU haben einen „Planungsstand“. Ob der realistisch ist, kann eigentlich nicht gesagt werden, weil unklar ist, ob alle geplanten Projekte auch wirklich begonnen werden. Dennoch könnten, wenn alles gut läuft, am Ende viele neue Wohnungen gebaut werden. In den Gesprächen mit den Verantwortlichen für den öffentlichen Wohnungsbau wird seit vielen Jahren regelmäßig angekündigt, dass „eine ganze Reihe von Projekten in der Pipeline“ seien oder „aufs Gleis gesetzt“ wurden. Ganz unabhängig von Tunnelblicken und Bahnmetaphern – die versprochenen Umsetzungen der angeblich geplanten und begonnenen Projekte haben bisher noch nie zu einer nachträglichen Übererfüllung der Zielzahlen geführt. Die Pipeline der geplanten Bauprojekte scheint eine sehr lange Leitung mit erheblichen Leckagen zu sein.
Trotz der bisher geringen Bauleistung wurde die Neubauorientierung genutzt, um Auflagen der sozialen Wohnversorgung für die LWU zu lockern. In den sogenannten Kooperationsvereinbarungen zwischen dem Senat und den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften wurden unter anderem die Mieterhöhungsmöglichkeiten in den Beständen von bisher 1% auf 2,9% pro Jahr erhöht. Da sich diese Vorgaben auf die durchschnittlichen Erhöhungen der Mieten im Gesamtbestand beziehen, fallen die tatsächlichen Mieterhöhungen für die einzelnen Wohnungen oft deutlich höher aus. Nach Senatsangabe wurden im Jahr 2024 bereits über 150.000 Mieterhöhungen an Mieter/innen der LWU verschickt. Senator Gaebler rechtfertigt dies regelmäßig mit Verweisen auf die ambitionierten Neubauziele der LWU und gesetzliche Vorgaben der Klimaneutralität. Um die dafür notwendigen Investitionen zu tätigen, sei eine Stärkung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit notwendig. Im Kern sind es also die Mieter/innen in den öffentlichen Beständen, die die ehrgeizigen Neubaupläne der Regierung mitfinanzieren sollen.
Wohnraumförderung für Mittelschichten
Ein Koalitionsversprechen war die Neuausrichtung der Förderrichtlinien für den Wohnungsbau. Nicht etwa um mehr und günstigere Sozialwohnungen zu bauen, sondern um eine „angemessene Wirtschaftlichkeit der Immobilien zu erreichen“. Bereits in der Wohnungsbauförderrichtlinie 2022 (WBF 2022) wurde beschlossen, die steigenden Bodenpreise in der Förderung zu berücksichtigen, so dass sich das Volumen der Förderdarlehen nicht mehr an den Baukosten (1.800 Euro/qm) orientierte, sondern auch die hohen Grundstückskosten mit einbezieht. In der maximalen Variante der Förderkonstellationen betrug 2022 die Summe aus öffentlichen Darlehen und Baukostenzuschuss noch 3.350 Euro/qm.
In den aktualisierten Richtlinien WBF 2023 wird auf die eskalierenden Grundstückspreise mit einer Ausweitung der Fördervolumen auf bis zu 5.300 Euro/qm reagiert. Für eine 60 qm-Wohnung entspricht das einem maximalen Fördermitteleinsatz von über 300.000 Euro. Die großzügig scheinende Aufstockung der Gesamtfördervolumen von 500 Millionen (2021) und 750 Millionen (2022) auf 1,5 Milliarden Euro (2023) pro Jahr ist im Wesentlichen auf den höheren Fördermitteleinsatz je Projekt zurückzuführen. Die Zielzahlen für die geförderten Sozialwohnungen wurden jedenfalls trotz der Verdopplung der Bewilligungssummen nicht erhöht.
Zudem wurden die Förderwege ausgeweitet, so dass neben dem klassischen Sozialwohnungsbau für Haushalte mit einem WBS 140 und Einstiegsmieten von 7,00 Euro/qm (nettokalt) auch ein Fördermodell zur „Schaffung sozial stabiler Bewohnerstrukturen“ für die Einkommensgruppen bis zu einem WBS 180 und Einstiegsmieten von 9,50 Euro/qm sowie eine Förderstufe 3 „zur Berücksichtigung von mittleren Einkommen“ bis zu einem WBS 220 und Einstiegsmieten von 11,50 Euro/qm eingeführt wurden.
Abgesehen von der Unterstellung, nur Haushalte mit höheren Einkommen hätten einen stabilisierenden Einfluss auf die Bewohnerstrukturen, steht diese Ausweitung der Zielgruppen für die Tendenz der Mittelschichtsförderung. Gegen eine Versorgung möglichst breiter Bevölkerungsschichten wäre an sich nichts zu sagen, doch setzt ein universalistischer Versorgungsansatz auch ein umfassendes Versorgungsangebot voraus. Unter den Bedingungen auslaufender Sozialbindungen und geringer Förderquoten erhöht das Förderprogramm vor allem den Konkurrenzdruck für die Haushalte mit geringen Einkommen. Die Auflage, dass die dritte Förderstufe nur genutzt werden darf, wenn auch in der Förderstufe 1 Wohnungen gebaut werden, ändert nichts an dem Umstand, dass aus dem begrenzten Gesamtfördervolumen nun weniger Wohnungen für die Haushalte mit dem größten Versorgungsbedarf zur Verfügung stehen.
Mit einer deutlichen Ausweitung der Sozialwohnungsbestände ist nicht zu rechnen. Für das Jahr 2023 gibt die Investitionsbank Berlin (IBB) an, dass gerade einmal 1.074 Wohnungen in den Förderprogrammen bewilligt wurden. Auch 2024 wird das Ziel der 5.000 Sozialwohnungen nicht erreicht werden. Aus Stellungnahmen der Senatsverwaltung im September 2024 wurde bekannt, dass bis zu diesem Zeitpunkt nur zwei Bauprojekte mit insgesamt 32 Wohnungen bewilligt wurden. Ob die nachgeschobene Erklärung – „Der Schwerpunkt des Bewilligungsgeschehens liegt erfahrungsgemäß jeweils in den letzten Monaten eines Kalenderjahrs“ – die wirklich geringe Zahl der Bewilligungen sinnvoll erklären kann, werden die nächsten Monate zeigen.
Das Prinzip Hoffnung gilt auch in den Bereichen der rechtlichen Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau. Mit einem „Schneller-Bauen-Gesetz“ und einer Neufassung der „Bauordnung“ wurden zwei der prominenten Koalitionsversprechen eingelöst. Die verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen und Verordnungen sollen vor allem die Genehmigungsverfahren beschleunigen. Besonders umstritten waren dabei die erweiterten Kompetenzen der Senatsverwaltung in bisherigen Bezirksangelegenheiten und auch die Verkürzung von Einspruchsfristen für Naturbelange und Beteiligungsverfahren. Selbst der zuständige Senator glaubt nicht wirklich, dass sich mit dem Gesetz die Wohnungsfragen in Berlin lösen lassen. In einem Zeitungsartikel wird Gaebler mit der Aussage zitiert: „Niemand hat den Anspruch, dass dieses Gesetz alles löst, was es an Problemen gibt.“ (ND, 11.1.2024).
Der Markt soll es regeln
So richtig froh scheint nur die Bau-Lobby in Berlin zu sein. Ein Konsortium von Verbänden der Bauwirtschaft, der Wohnungswirtschaft sowie der IHK hatten zum Gesetzgebungsverfahren extra eine Webseite (schnellerbauen.berlin) eingerichtet, in der zu den wichtigsten Fragen kurze Antworten zu finden waren. Das Highlight ist sicher die Frage „Entspricht das Schneller-Bauen-Gesetz nur den Interessen der Bauwirtschaft?“. Antwort: „Wesentliches Ziel des Gesetzes ist es, den Berliner Mietwohnungsmarkt zu entspannen. Dazu setzt es auf die Beschleunigung und Vereinfachung von Bauen. Damit folgt es nicht den Interessen der Bau- und Wohnungswirtschaft, sondern derjenigen, die in Berlin eine bezahlbare Mietwohnung suchen.“
Der Satz bringt leider auch die politische Vorstellungskraft der CDU-SPD-Regierung auf den Punkt: Hauptsache schnell und viel bauen – dann wird sich schon irgendwann der Wohnungsmarkt entspannen und alle, die eine bezahlbare Mietwohnung suchen, fühlen sich in ihren Interessen ernst genommen. Dass eine Stadt vor allem aus Menschen besteht, die gerade keine Wohnung suchen, sondern sich um ihre bestehenden Wohnverhältnisse sorgen, gerät angesichts der vielen Bemühungen zum Bau von neuen Wohnungen gern ins Hintertreffen.
Der Einsatz für die Wiederanwendung der Vorkaufsrechte, für eine Stärkung der Wohnungsämter durch die Einführung eines Mietenkatasters und für die verschärfte Kontrolle der Mietpreisbremse wurde im Koalitionsvertrag zwar versprochen – ist aber bisher auf der Strecke geblieben. Zum Teil versteckt sich die Berliner Regierung hinter fehlenden Entscheidungen auf der Bundesebene, zum Teil wurden die Themen einfach aufgeschoben. So wie auch der versprochene Gesetzgebungsprozess für ein Vergesellschaftungsrahmengesetz. Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ hat bereits bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages argumentiert, dass ein solches Rahmengesetz für die Umsetzung der Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne gar nicht benötigt wird. Es ist zu befürchten, dass die bisherige Untätigkeit des Senats nicht auf eine heimliche Sympathie mit der Enteignungsidee zurückzuführen ist, sondern ganz schlicht für das Desinteresse an den sozialen Herausforderungen der Wohnungspolitik steht.
MieterEcho 446 / Dezember 2024