Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 446 / Dezember 2024

Neue Stadtquartiere versinken im Planungschaos

Fehlende Verkehrserschließung verzögert den Baubeginn für über 50.000 Wohnungen

Von Nicolas Šustr

„Und wieder ist eine Chance vergeben worden, eine vergleichsweise einfach zu aktivierende Wohnungsbaufläche zu nutzen“, sagt Matthias Grünzig zum MieterEcho. Der Bauforscher spricht vom Entwicklungsgebiet Buchholz Nord, das etwas östlich vom Autobahndreieck von A10 und A114 im Norden Pankows liegt. Anfang November hat der Senat in Einvernehmen mit dem Bezirk die Planungshoheit dafür an sich gezogen.

Doch die 170 Hektar nutzbare Fläche sollen zu einem reinen Gewerbegebiet werden. Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) schwärmte in der Pressekonferenz nach der Senatssitzung von den riesigen Flächen, „die zur Verfügung stehen, um eben Wirtschaft anzusiedeln, um zu verhindern, dass unsere Unternehmen abwandern nach Brandenburg“.

Ein so großes „monofunktionales Gewerbegebiet ist angesichts aktueller Forderungen nach nutzungsgemischten Städten nicht mehr zeitgemäß“, sagt Grünzig. Naheliegend wäre die Nutzung von Teilflächen für den Wohnungsbau. Denn direkt entlang dieser Fläche führt die S8 auf dem Weg von Karow gen Birkenwerder entlang, ein neuer Bahnsteig an der Bucher Straße ist bereits seit DDR-Zeiten halb fertiggestellt. Mit dem S-Bahn-Anschluss und den nahen Autobahnabfahrten wäre bereits die nötige Verkehrserschließung für Tausende neue Bewohnerinnen und Bewohner großteils gelöst.

Denn die Verkehrserschließung ist bei vielen der derzeit offiziell 24 Stadtquartiere, die der Senat plant, um nach aktuellem Stand 62.000 neue Wohnungen bauen zu können, ein gewichtiger Schwachpunkt. Nur einige von ihnen sind bereits ganz oder nahezu fertig – wie das Stadtgut Hellersdorf, die Europacity am Hauptbahnhof oder die Buckower Felder. 8.000 Wohnungen sind in den letzten Jahren hier nach Angaben des Senats entstanden.

Zeitpläne nur noch Makulatur 

Doch die Realisierung vieler Stadtquartiere hängt schon Jahre hinter dem Zeitplan – und das hat System. „Die Stadtquartiere sind eine politische Parole, aber nicht wirklich ein gemeinsames politisches Projekt des Senats“, sagt Katrin Lompscher zum MieterEcho. Von Dezember 2016 bis August 2020 war die Linke-Politikerin Berliner Stadtentwicklungssenatorin, inzwischen ist sie Vorstandsvorsitzende der Hermann-Henselmann-Stiftung, die sich mit Baugeschichte, Architektur und Stadtplanung beschäftigt. Intensiv hatte sie das selber erlebt beim Blankenburger Süden. Ursprünglich war der Baubeginn für 2025 angekündigt. Jetzt wird es wohl frühestens 2030 sein.

Besonders misslich sei die „eigene Agenda der Verkehrsverwaltung“, so Lompscher. Die nötige leistungsfähige Verkehrserschließung sei nicht nur dort nicht mit der nötigen Priorität vorangetrieben worden. Im Blankenburger Süden geht es konkret um die Verlängerung der Straßenbahnlinie M2 von Heinersdorf in das Gebiet sowie um einige Straßenausbauten.

„Wir haben immer noch die Verkehrsinfrastruktur aus der Weimarer Republik. Das betrifft im Wesentlichen die S-Bahn, die Bahn und die Straßenbahn, aber auch den Straßenverkehr“, formulierte es der Pankower Stadtentwicklungsstadtrat Cornelius Bechtler (Grüne) im Sommer in einer Anhörung des Stadtentwicklungsausschusses im Abgeordnetenhaus. Um Bebauungspläne auch rechtssicher festsetzen zu können, sei eine Erschließung von außen nötig. „Die muss bei dem Straßenverkehrssystem, das jetzt schon an der Kapazitätsgrenze ist, durch den öffentlichen Verkehr erfolgen“, so Bechtler.

Zwingend sei aber auch der Bau zusätzlicher Hauptstraßen im Gebiet. Es sei das „Scharnier“ in einem „langen Siedlungsband, das entsteht, wo möglicherweise dann 60.000, 70.000 oder 80.000 zusätzliche Menschen wohnen werden“. Ohne diese Verkehrslösung, „können auch alle anderen großen Stadtquartiere nicht kommen“, unterstreicht Bechtler.

„Angesichts der Ressourcenknappheit fehlt es auch an der Priorisierung einzelner Vorhaben“, sagt Lompscher. Ein Punkt, den auch der Pankower Stadtrat Bechtler im Ausschuss deutlich hervorhob. „Wir brauchen die Arbeitsfähigkeit der planenden Ämter.“ Viele Personalstellen seien nicht besetzt. Im Umwelt- und Naturschutzamt gebe es nur eine für die Landschaftsplanung zuständige Mitarbeiterin. „Wenn die weg ist, ist da niemand, der irgendwas genehmigen kann.“

In der aktuellen Ausgabe des Journals der Henselmann-Stiftung hat sich Matthias Grünzig intensiv mit den Problemen bei der Realisierung der neuen Stadtquartiere beschäftigt. Kern des Übels ist demnach der Berliner Zick-Zack-Kurs. Ende der 90er Jahre wurden die Planungsaktivitäten für weiteren Wohnungsbau praktisch eingestellt – und erst 2011 langsam wieder aufgenommen. Die Landespolitik hatte sich da schon vier Jahre Zeit gelassen, nachdem 2007 erstmals nach Jahren wieder ein Bevölkerungszuwachs registriert worden war. „Stadtplanung ist ein langfristiger Prozess, die Planung und Realisierung neuer Stadtquartiere dauert oft Jahrzehnte. Folgerichtig muss der Wohnungsbau über lange Zeit kontinuierlich geplant werden“, unterstreicht Grünzig.

Gleichzeitig traf der neue Planungseifer auf eine komplett ausgelutschte Verwaltung. Die Abteilung Tiefbau der Verkehrsverwaltung hatte 2002 noch über 494 Beschäftigte. 2015 waren es nur noch 237. Doch während die Bauverwaltung allein von 2017 bis 2020 ihren Personalbestand um über ein Fünftel auf 912 Köpfe ausweiten konnte, stagnierte die Tiefbau-Abteilung bei rund 250 Beschäftigten. Dramatisch ist auch die Personallage in den Bezirken. In Spandau waren sechs Beschäftigte im Jahr 2022 für die Bearbeitung von 140 Bebauungsplänen zuständig.

Grünzig kritisiert auch, dass in so einer Situation erhebliche Ressourcen in Projekte gesteckt worden sind, deren Erfolg von Anfang an fragwürdig war. So wie die Neue Mitte Tempelhof, in dem die vergleichsweise überschaubare Anzahl von 500 neuen Wohnungen entstehen soll. „Dieses Quartier wäre nur dann realisierbar, wenn zuvor ein Stadtbad, eine Bibliothek und ein Polizeirevier abgerissen und anschließend neu gebaut werden“, so Grünzig. In Pankow gehört das von aufwändigen Straßenumbauten abhängige Stadtquartier Michelangelostraße in diese Reihe. Dafür fehlten jedoch „schlicht die Planungs-kapazitäten“.           

Verkehrserschließung oftmals „vergessen“ 

Das Problem der Berliner Landespolitik für die nächsten Jahre: Bis jetzt sind nur die Stadtquartiere realisiert worden, die wegen vorhandener Verkehrserschließung leicht zu realisieren waren. Ob, wie derzeit von Bausenator Christian Gaebler (SPD) angekündigt, zum Beispiel für die Elisabeth-Aue, das Quartier Buch – Am Sandhaus, das Schumacher-Quartier auf dem ehemaligen Flughafen Tegel oder den Georg-Knorr-Park in Marzahn tatsächlich 2026 erste Baurechte vorliegen werden, ist eine spannende Frage.

Auch der Koalitionswechsel der SPD zur CDU hat die Realisierung nicht einfacher gemacht. Die Planungen für die Straßenbahn in den Blankenburger Süden wurden zunächst von der CDU-Senatorin Manja Schreiner eingefroren, dann wurde die Strecke verkürzt, was weitere Untersuchungen nach sich zog. Baubeginn soll jetzt 2030 sein. Die Straßenplanungen stehen aber  noch aus. Stattdessen verplempert die CDU Ressourcen für immer neue U-Bahn-Planungen mit äußerst vagen Realisierungsaussichten und extrem langen Realisierungshorizonten. Dass auch die Planung für den Radschnellweg Richtung Pankow von der nun amtierenden Senatorin Ute Bonde (CDU) eingefroren worden ist, könnte sich ebenfalls als Bumerang für den Wohnungsbau erweisen.

Regelmäßg unterschätzt werden auch die Arten- und Naturschutzanforderungen bei den Planungen, da sie nicht gleich in frühen Phasen berücksichtigt werden, sondern erst nachträglich versucht wird, sie irgendwie unter einen Hut mit dem Bauvorhaben zu bringen. Paradebeispiel ist hier das Pankower Tor, dessen Kreuzkrötenpopulation lange bekannt war, die Tragweite aber offensichtlich ignoriert worden ist. Da hilft es auch nur bedingt, wenn Senat und Bezirk in diesem Fall gut zusammenarbeiten. „Gleichzeitig werden Fehler der Vergangenheit wiederholt“, konstatiert Matthias Grünzig. Zum Beispiel mit der äußerst komplexen Gemengelage für das neue Stadtquartier Stadteingang West, das sich vom Westkreuz bis zum S-Bahnhof Grunewald ziehen soll. „Auch die 2023 begonnene Planung für eine Teilbebauung des Tempelhofer Feldes dürfte zu erheblichen Konflikten führen“, konstatiert er. Die Koalition aus CDU und SPD verzettelt sich mit weiteren Projekten, die die Verwaltung überfordern und wertvolle Planungs- und Finanzkapazitäten von jenen Vorhaben abziehen, in die schon viel investiert worden ist.  


MieterEcho 446 / Dezember 2024

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