Marktbegleitung statt Gestaltung
Das Agieren der Landeswohnungsunternehmen hängt von den politischen Kräfteverhältnissen ab
Von Sebastian Gerhardt
Vor gut einem Jahr, im Herbst 2023, erfüllte der Senat aus CDU und SPD den Vorständen der Berliner Landeswohnungsunternehmen (LWU) einen lang gehegten Wunsch: Eine Neufassung der Kooperationsvereinbarung Wohnen hob eine ganze Reihe von Beschränkungen auf, die ihnen zwischen 2016 und 2022 von den Landesregierungen unter Beteiligung von Grünen und Linken aufgedrängt worden waren. Insbesondere wurden ihnen wieder Möglichkeiten für Mieterhöhungen eingeräumt. Davon machten sie seit dem 1. Januar 2024 reichlich Gebrauch. Bis Mitte des Jahres haben sie etwa 150.000 Mieterhöhungen verschickt, zum Jahresende sollen noch einmal etwa 90.000 dazu kommen: das sind zusammen etwa Zwei Drittel ihres Wohnungsbestandes von – Stand Ende 2023 – 362.221 Wohnungen.
Private Bereicherung ist nicht das Ziel der Mieterhöhungen, auch Ausschüttungen an das Land sind nicht vorgesehen. Es geht darum, in einer Zeit gestiegener Kosten und enger Haushalte weitere Investitionen sicherzustellen. Statt öffentlicher Investitionen in Neubau und Wärmewende sollen irgendwie die Mieter/innen der LWU die Finanzierung sicherstellen. Doch die Ermöglichung der Mieterhöhungen ist nicht an konkrete Bedingungen, an Vorgaben oder Zielgrößen geknüpft. Fünf der Gesellschaften gehören zu 100% dem Land Berlin, die Gewobag zu 96,69%. Der Eigentümer ist aber der Überzeugung, dass Wirtschaft eben in der Wirtschaft stattfindet. Da sollte man nicht zu sehr reinreden, nicht einmal, wenn einem ein Unternehmen gehört. Gestaltung ist so unmöglich.
Die sechs LWU und die Strukturen zu ihrer Steuerung sind in einem langen und konfliktreichen Prozess entstanden, der erst nach der Berliner Bankenkrise zum Abschluss kam. Im Verlauf dieser Konflikte zwischen 1991 und 2006 wurden große Teile der Bestände und ganze Gesellschaften privatisiert (Gruppe Nord, Gehag, GSW) und die Fortführung weiterer LWU im öffentlichen Eigentum mehrfach in Frage gestellt. Man konnte damals lernen: Die Existenz der Unternehmen ist keine Selbstverständlichkeit. Bei anderen politischen Kräfteverhältnissen hätte es auch anders kommen können.
LWU sind wirtschaftlich stabil
Die Aufgaben der LWU waren lange umstritten. Während der Bankenkrise setzte das Land die Gewinnabführungen aus. Auch nach der wirtschaftlichen Stabilisierung der Unternehmen verzichtete das Land auf Gewinnabführungen, da mit der Verengung des Wohnungsmarktes ab 2012 ein neuer Kurs auf Bestandserweiterung durch Neubau und Ankauf verkündet wurde – 10 Jahre zuvor hatten die Unternehmen ihre Bau- und Planungskapazitäten streichen müssen. Vor dem Hintergrund der Geschichte der LWU wird die Sicherung von deren wirtschaftlicher Existenz als zentraler Aspekt der Bestandssicherung angesehen. Darunter verstehen die Geschäftsführungen der LWU vor allem die Vermeidung einer übermäßigen Kreditaufnahme, das Erreichen ausreichender Mieteinnahmen, sowie die Instandhaltung und Modernisierung der Wohnungsbestände. Die wirtschaftliche Lage der LWU ist stabil. Seit 2009 agieren sie – wie alle Berliner Vermieter – auf einem angespannten Wohnungsmarkt mit geringen Leerstandsquoten und einer rückläufigen Zahl von Auszügen und Wiedervermietungen. Die durchschnittliche Eigenkapitalquote der sechs LWU lag 2023 bei 23,2%. Nur die Gewobag machte im letzten Jahr einen Verlust, weil sie außerplanmäßige Abschreibungen auf teure Ankäufe machen musste.
Die LWU sind Beteiligungen des Landes Berlin im Sinne des § 65 der Landeshaushaltsordnung (LHO). Die entsprechenden Beteiligungsvoraussetzungen werden regelmäßig zu Beginn einer Legislaturperiode geprüft. Seit 2015 ist das in der LHO geforderte „wichtige Interesse Berlins“ in Artikel 2 des Wohnraumversorgungsgesetzes konkretisiert: „Aufgabe der landeseigenen Wohnungsunternehmen ist die Sicherung und Erweiterung preisgünstigen Mietwohnraums in allen Bezirken für breite Schichten der Bevölkerung (Wohnungsmarktaufgabe) als auch die Hilfestellung zu einer nachhaltigen und bedarfsgerechten Wohnraumversorgung für Haushalte in Berlin, die auf dem Wohnungsmarkt besonders benachteiligt sind und sich nicht selbst mit angemessenem Wohnraum versorgen können (Versorgungsaufgabe).“
Das Wohnraumversorgungsgesetz macht auch konkrete Vorgaben für die Wohnungsvergabe und die Mietentwicklung. Dazu gehört eine WBS-Quote bei der Wiedervermietung von 55%, wovon 20% (= 11% der gesamten Wiedervermietung) für besondere Bedarfsgruppen („Obdachlose, Flüchtlinge, Personen im betreuten Wohnen, von häuslicher Gewalt betroffene und bedrohte Frauen, Alleinerziehende oder vergleichbare Bedarfsgruppen“) vorgesehen sind. Weiterhin werden im Landesgesetz für die landeseigenen Wohnungsunternehmen die Mieterhöhungen nach § 558 BGB (Vergleichsmiete) und § 559 (Modernisierung) beschränkt und Härtefälle für Ausnahmen bestimmt (WoVG, Art. 2, §3). Kündigungen und Zwangsvollstreckungen sollen dem Gesetz nach „so weit wie möglich vermieden“ werden.
Die Orientierung an einer sozialen Wohnversorgung schlägt sich in den durchschnittlichen Bestandsmieten der LWU nieder. Diese lagen 2022 mit 6,40 Euro/qm deutlich unter der durchschnittlichen Berliner Nettokaltmiete von 7,67 Euro/qm. Auch die Wiedervermietungsmieten liegen deutlich unter dem marktüblichen Preisen des angespannten Wohnungsmarktes in Berlin: Im Jahr 2018 erreichten sie durchschnittlich 7,43 Euro/qm und lagen damit deutlich unter den mittleren Angebotsmieten von 10,32 Euro/qm. In den Jahren 2019 bis 2021 blieben die Neuvertragsmieten stabil (2019) oder sanken sogar. Erst 2022 wurde mit 7,44 Euro/qm das Niveau von 2018 überschritten.
Die mittlere Angebotsmiete in Berlin hatte inzwischen 11,54 Euro/qm erreicht, 2023 waren es schon 13,99 Euro/qm. Auch nach den aktuellen Erhöhungen werden die Mieten der LWU unter dem Marktdurchschnitt liegen, dem sie gleichwohl, wenn auch verzögert, folgen. Im Einzelfall soll das Leistbarkeitsversprechen für Entlastung sorgen. Bei Einhaltung von Einkommens- und Wohnflächengrenzen durch die Mieter/innen soll die Nettokaltmiete bei den LWU die Grenze von 27% des Haushaltseinkommens nicht überschreiten. Wie jede derartige Regelung ist auch diese praktisch unwirksam.
Möglichkeiten werden nicht ausgeschöpft
Die Einhaltung von Vorgaben kann auf vielfältigen Wegen durch den Eigentümer, das Land Berlin, kontrolliert werden: durch Vertreter in den Aufsichtsgremien, durch jährliche Zielbilder und Zielvereinbarungen sowie durch die Berichterstattung der LWU gegenüber der Verwaltung und dem Landesparlament. Einen groben Überblick über die Arbeit der LWU geben die Angaben im jährlichen Beteiligungsbericht des Landes. Für die wirtschaftlichen Verhältnisse der LWU ist parlamentarisch der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses verantwortlich. Für die wohnungspolitischen Fragen der LWU ist der Ausschuss für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen zuständig. Entscheidend ist das Beteiligungsmanagement durch die Senatsverwaltung für Finanzen und die fachlich zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen. Man könnte viel erreichen. Nur müsste dazu der Gesellschafter, das Land, auch tatsächlich etwas erreichen wollen.
Genau daran fehlt es. Der Wohnungsneubau der LWU wird laut der Roadmap in den nächsten Jahren, also ab 2027, einbrechen. Die energetische Sanierung der Bestände soll einen Weg zur Klimaneutralität bis 2045 bahnen. Bereits jetzt sind größere Bestände in der Fernwärmeversorgung, wobei die Steinkohle weitgehend und die Braunkohle bis 2017 vollständig als Energieträger abgelöst wurden. In Bezug auf die Energieeffizienzklasse ist die Situation deutlich besser als im Gesamtmarkt. Trotzdem hieß es schon 2017 in Bezug auf die sozialen Konsequenzen eher vorsichtig: „Es wird angestrebt, Modernisierungsvorhaben weitestgehend warmmietenneutral umzusetzen.“ Wie die energetische Sanierung effektiv und sozial nachhaltig umgesetzt werden kann, ist unklar.
Das Wohnraumversorgungsgesetz war das Ergebnis der Initiative für einen Mietenvolksentscheid. Es sollte einen Strukturwandel der öffentlichen Wohnungsunternehmen in Berlin einleiten. Diese Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Angesichts der Herausforderungen in der sozialen Wohnraumversorgung und der nötigen Wärmewende könnten die LWU ein wichtiges Instrument für eine soziale Stadtentwicklung sein. Wenn denn das Land von diesem Instrument Gebrauch machen will. Solange sich die Politik auf fallweise Korrekturen der Marktentwicklung beschränkt, behält der Markt das letzte Wort.
MieterEcho 446 / Dezember 2024