Geplatzte Zeitbombe in der Europacity
Vereinbarter Bau von 215 Sozialwohnungen lässt sich möglicherweise nicht durchsetzen
Von Rainer Balcerowiak
Ende Juni platzte die Bombe. Was zuvor schon die Spatzen von den Dächern pfiffen, wurde nunmehr vom Berliner Senat offiziell bestätigt. Im zum Stadtentwicklungsprojekt Europacity gehörenden Stadtquartier an der Heidestraße in Moabit wird es keine mietpreis- und be-legungsgebundenen Sozialwohnungen geben. Denn der aktuelle Eigentümer des Areals, die Development 2 GmbH & Co KG, fühlt sich an entsprechende Festlegungen in einem 2016 mit dem damaligen Eigentümer abgeschlossenen städtebaulichen Vertrag nicht gebunden, da man für den Bau der 215 vorgesehenen Sozialwohnungen keine Fördermittel in Anspruch genommen habe. Stattdessen entstehen dort möblierte Mikroappartements, die entsprechend teuer vermarktet werden.
Schon das ist ein handfester Skandal, zumal der Senat den offensichtlich nicht „wasserdicht“ formulierten städtebaulichen Vertrag nach wie vor unter Verschluss hält. Aber zwei Wochen später wurde es noch skurriler. Denn ein Vertreter der Eigentümerin erklärte öffentlich, dass er die Wohnungsbauleitstelle in der Stadtentwicklungsverwaltung bereits am 11. Oktober 2023 über die Rechtsauffassung des Unternehmens informiert und Gespräche angeboten habe, wovon aber „kein Gebrauch gemacht wurde“. Beim Senat räumte man daraufhin kleinlaut ein, dass diese Mail tatsächlich bei der Wohnungsbauleitstelle eingegangen sei, dort aber „versandete“, also nicht an die für die weitere Bearbeitung zuständige Stelle weitergeleitet wurde.
Den aktuellen Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) hat das offenbar kalt erwischt. Nunmehr kündigte er an, dass man jetzt – also ein Dreivierteljahr, nachdem das Unternehmen den Senat über seine Pläne informiert hatte – rechtliche Schritte prüfen werde, um die Bereitstellung der seinerzeit vereinbarten 215 Sozialwohnungen doch noch durchsetzen zu können. Als Vehikel dazu sollen mögliche Formfehler bei den Übertragungen an die neuen Eigentümer genutzt werden. „Von zentraler Bedeutung ist, dass im Jahr 2021 das Eigentum an dem Grundstück entgegen den vertraglichen Vereinbarungen ohne Zustimmung des Landes Berlin übertragen wurde“, so ein Sprecher der Senatsverwaltung. Derzeit werde eine Klage gegen die aktuelle Grundstückseigentümerin sowie gegen die Vertragspartnerin von 2016 vorbereitet.
Schadensbegrenzung gefordert
Ob das mehr als eine verzweifelte Nebelkerze ist, wird sich noch zeigen. Denn letztendlich wird es wohl um die genauen Festlegungen in dem städtebaulichen Vertrag gehen. Etwa darum, ob die Verpflichtung zum Bau der Sozialwohnungen im Grundbuch abgesichert wurde. Mit diesem Vertrag hatte der Senat seinerzeit Neuland betreten. Und Gaebler deutete bei einer Parlamentsdebatte bereits an, dass dieser Vertrag noch nicht die juristischen Sicherheiten besaß, die erst ab 2018 im Rahmen der kooperativen Baulandentwicklung eingeführt wurden.
Die Oppositionsparteien halten es für unglaubwürdig, dass die E-Mail der Eigentümer in der Senatsverwaltung „untergegangen“ sein könnte. Die Leiterin der Wohnungsbauleitstelle sei doch unter anderem auch für Sozialwohnungen zuständig, so Julian Schwarze, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Es lasse sich kaum erklären, dass der Senat seit einem Dreivierteljahr informiert sei, aber nicht das Gespräch gesucht habe. „Selbst wenn der städtebauliche Vertrag fehlerhaft war, muss es doch das Ziel sein, in Verhandlungen noch etwas für bezahlbaren sozialen Wohnungsbau rauszuholen,“ so Schwarze.
Auch Tobias Schulze, Fraktionschef der Linken, will vom Senat wissen, warum er nicht schon im vergangenen Herbst reagiert habe. „Der Senat muss jetzt sofort rechtliche Schritte einleiten und Sanktionen gegen den aktuellen Eigentümer prüfen.“ Grüne und Linke fordern ferner die Offenlegung des städtebaulichen Vertrags von 2016. Darüber hinaus müssten alle anderen städtebaulichen Verträge darauf überprüft werden, ob die Verpflichtung zum Bau von Sozialwohnungen juristisch wasserdicht sei.
Wobei allerdings anzumerken ist: Von Dezember 2016 bis Dezember 2021 leitete die Linke in einer „rot-rot-grünen“ Landesregierung das Stadtentwicklungsressort. Also Zeit und Gelegenheit genug, um städtebauliche Verträge und Vorgänge bei Eigentümerwechseln in der Europacity genauer unter die Lupe zu nehmen. Was offenbar unterblieb.
MieterEcho 443 / August 2024