Finanzierung aus trüben Quellen
Rechte Spendennetzwerke spielten eine wichtige Rolle bei der Errichtung der Schlossfassade
Von Philipp Oswalt
Im Jahr 2008 schrieben Unbekannte auf das letzte Betonmauerstück des abgerissenen Palasts der Republik mit weißer Farbe das Graffiti: „Die DDR hat es nie gegeben“ . 12 Jahre später wurde an dieser Stelle das Humboldt Forum eröffnet, eingehüllt in den Nachbau der Barockfassaden des Berliner Schlosses. Und der Geschäftsführer des Fördervereins Berliner Schloss, Wilhelm von Boddien, frohlockte, dass die Besucher lobten: „Es sieht alles so normal aus, als ob hier nie etwas anderes gestanden hätte. “ In seinen Augen war dies das schönste Kompliment, welches sie dem Neubau machen konnten.
Im Namen von Geschichte wurde Geschichte ausgelöscht. Alle Spuren von Revolution, Weltkrieg, Deutscher Teilung, DDR und demokratischer Aneignung des Ortes nach 1990 wurden getilgt. Warum? Selten wurde ein Projekt so lange diskutiert, selten mit einer solch großer Mehrheit fraktionsübergreifend vom Deutschen Bundestag beschlossen. Zudem lag dem Beschluss das Ergebnis einer internationalen Expertenkommission zugrunde, dem sich die Politik anschloss.
Und doch trägt das, was im Berliner Stadtzentrum im Jahr 2020 eröffnet wurde, merklich die Spuren des Einflusses rechtsradikaler Kreise. Bereits 2021 wurde bekannt, dass einer der Großspender der Fassaden, der Privatbanker Ehrhardt Bödecker, rechtsradikale und antisemitische Auffassungen vertreten hat und auch in rechtsextremen Kreisen aufgetreten ist.
Zwei Jahre später zeigten weitere Recherchen, dass es sich bei Bödecker nicht um einen Ausnahmefall handelt, sondern dass er Beispiel für ein strukturelles Problem ist. Schon seit seiner Gründung war und ist der Förderverein Berliner Schloss, auf dessen Lobbyarbeit die Realisierung der Fassadenrekonstruktion maßgeblich zurückzuführen ist, mit rechtsradikalen Kreisen verbunden. Mitglied im Gründungsvorstand und stellvertretender Vorsitzer war der rechtsradikale Politiker Dieter Lieberwirth. Einst Anhänger der NPD, war er ab Ende der 1980er Jahre mehr als zehn Jahre lang bei der Partei Die Republikaner in Baden-Württemberg tätig, später schloss er sich der AfD an.
Den Freundeskreis Baden-Württemberg des Fördervereins Berliner Schloss leitet seit über zehn Jahren der Mediziner Karl-Klaus Dittel, der auch rechtlich fragwürdige Werbegroßkampagnen für die AfD organisiert. Der Jurist Thomas Sambuc, ein weiterer Großspender für die Berliner Schlossfassaden, kandidierte für die AfD in Stuttgart.
Völkisch-nationalistische Kampagne
Dieser Zuspruch ist nicht ungewollt; hat der Förderverein doch von Anfang an auch in rechtsradikalen Kreisen um Unterstützung geworben. So schaltete er im Sommer 1993 eine große Werbeanzeige in der Zeitung „Junge Freiheit“, später trat Wilhelm von Boddien bei der vom Verfassungsschutz inzwischen als gesichert rechtsextrem eingestuften Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft in Hamburg auf und publizierte in deren Jahrbuch. In einer früheren Ausgabe des Jahrbuchs hatte der ehemalige NS-Kulturfunktionär Niels von Holst bereits für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses geworben.
Worum es den rechtsradikalen Unterstützern des Schlossprojektes geht, spricht Dieter Stein aus, Herausgeber der Jungen Freiheit und ebenfalls Unterstützer des Schlossprojektes. Stein gehörte einst zeitgleich mit Vorstandsmitglied Dieter Lieberwirth dem baden-württembergischen Landesverband der Republikaner an. Er forderte die „Gesundung der deutschen Identität“, die „Widerstände der deutschen Neurose sind zu brechen“. Stein wünschte sich, dass endlich einmal Schluss ist „mit dem ‚Gebrochenen‘, ‚Verfremdeten‘, ‚irgendwie Anderen und Neuen‘“. Das Schloss sei „das Herz des preußisch geprägten Deutschland. Es wird wieder zu schlagen beginnen.“ Architektur sei „Gestalt gewordener Wille zum Staat. In ihr ließe sich das Selbstbewusstsein einer Nation ablesen.“ Mit dem Wiederaufbau des Schlosses gewännen „wir Deutschen unsere Mitte wieder.“
Erschütternd ist aber nicht nur das Maß der Einbindung rechtsradikaler Akteure, zu denen eine Reihe weiterer Spender gehören. Bestürzend ist vor allem, dass es dem Förderverein gelungen ist, mit einer Salamitaktik das Projekt schrittweise zu radikalisieren. So sahen die Empfehlungen der Expertenkommission ursprünglich keine Kuppelrekonstruktion vor und sprachen sich dafür aus, die Einbeziehung von Teilen des ehemaligen Palastes der Republik in den Neubau zu prüfen.
Sechs Jahre später wurde der Palast aber restlos abgerissen, während Schritt für Schritt die Rekonstruktion weiterer Bauteile des historischen Schlosses durchgesetzt wurde: Kuppel, Portaldurchgänge, Innenportale, Eckrondell und schließlich zuletzt die Ballustradenfiguren. Dies verschärfte die politische Symbolik des Schlosses. Während anfangs nur von Barockfassaden die Rede war, wurden nun auch Bauteile rekonstruiert, die aus der Zeit der Niederschlagung der Revolution von 1848 und dem Deutschen Kaiserreich stammen. Damit wurde der imperiale und antidemokratische Herrschaftsanspruch unterstrichen und national-protestantisches Ideengut transportiert, welches die Basis für das völkisch-rassistische Denken des Kaiserreichs unter Wilhelm II. bildete.
Wenig überraschte die Reaktion des Fördervereins Berliner Schloss auf die Offenlegung der Problematik bei der Finanzierung. Er bekannte sich ohne Ausnahme zu allen seinen Spendern und behauptete, die antisemitische Haltung von Ehrhardt Bödecker sei durch eine Fälschung von Zitaten überhaupt erst erfunden worden. Diese dreiste Lüge wurde dem Verein zwar durch Gerichtsurteil verboten, so dass er seine Publikation aus dem Verkehr ziehen musste. Aber an seiner engen Zusammenarbeit mit der Stiftung Humboldt Forum änderte dies nichts.
Stiftung Humboldt Forum blockt alles ab
Während bei der 15. documenta in Kassel im Juni 2022 mehrere antisemitische Kunstwerke einen riesigen Skandal verursachten und die Institution und die Kulturpolitik erschütterten, ist Antisemitismus und Rechtsradikalismus beim Wiederaufbau eines Preußenschlosses offensichtlich nicht wirklich ein Problem. Seit Jahren leugnet, verschweigt oder beschönigt die Stiftung Humboldt Forum die Probleme. Ein wirklicher Wunsch nach Aufklärung und Abhilfe ist nicht zu erkennen. Mit fehlerhaften Aussagen versucht sie sich und andere zu entlasten, mit monatelanger Verschleppung von Auskünften die öffentliche Debatte auszubremsen. Der Stiftung geht es nicht um Aufklärung, sondern um Gesichtswahrung, auch mittels Vertuschung. Sie hat keine Brandmauer gegen Rechtsradikalismus errichtet, sondern eine gegen die Aufklärung von und Kritik an Rechtsradikalismus und Antisemitismus.
Wie oftmals üblich wird die Kritik als linke Ideologie abgetan. Schließlich habe der Bau gar keine Symbolbedeutung, ginge es doch allein um Fragen von architektonischer Schönheit und Stadtreparatur, heißt es. Es seien die Kritiker, welche das unpolitische Vorhaben mit politischer Bedeutung aufladen. Doch diese vermeintliche Harmlosigkeit offenbart ihre Verlogenheit nicht nur angesichts der identitätspolitischen Zuschreibungen, die das Projekt bei seinen Befürwortern immer wieder erfährt. Offenkundig wird dies auch durch die Kompromisslosigkeit, mit der jeder Vorschlag für künstlerische Eingriffe an der Fassade abgewehrt wird. Diese gilt als sakrosankt, also als unberührbar und hochheilig.
Vorschläge, die problematische Bibelspruchcollage an der Kuppel mit einem LED-Schriftband nachts zu überblenden, oder die Zweifel-Skulptur des norwegischen Künstlers Lars Ramberg, welche die Endphase des Palastes der Republik gekrönt hatte, auf dem Humboldt Forum temporär zu installieren, wurden konsequent abgewehrt, ebenso die Ideen für eine Begrünung der Fassade. Nichts soll das Nationalsymbol kommentieren, brechen, modifizieren. Ungebrochen soll der Symbolbau Preußens und des Deutschen Kaiserreichs in der Mitte der deutschen Hauptstadt erstrahlen. Wer hier Hand anlegen will, gilt als geisteskrank. „Jetzt drehen die Schlosskritiker wirklich durch“, schrieb die Zeitung Die Welt zur Initiative Schlossaneignung. Die fordert, die einseitige Preußenverherrlichung aufzubrechen, indem die ausgelöschten Spuren der Geschichte des Ortes aus der Zeit nach dem Ende des Kaiserreichs bis heute veranschaulicht werden.
Philipp Oswalt, Architekt und Publizist, unterrichtet seit 2006 an der Universität Kassel Architekturtheorie und Entwerfen. Von 2009 bis 2014 war er Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau.
MieterEcho 443 / August 2024