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MieterEcho 443 / August 2024

Feldzug gegen soziale Wohnraumversorgung

Der Film „Sold City“ dokumentiert eindringlich die Vertreibung von Mieter/innen und den Widerstand dagegen

Von Carsten Fuchs

Das Duo Leslie Frank und Herdolor Lorenz ist seit Jahren für sozialkritische Filme bekannt, in denen die Menschen zu Wort kommen, die nicht in die kapitalgerechte Stadt passen. Das ist auch in ihrem neuesten Film Sold City so. Er besteht aus zwei Teilen von jeweils 102 Minuten, die getrennt geschaut werden können. Vor allem der erste Teil eignet sich auch gut zur Mobilisierung von Mieter/innen. Dokumentiert wird, wie sich bei Demonstrationen oder Protestkundgebungen gegen Zwangsräumungen Wut in Widerstand verwandelt.

Immer wieder führt der Film zu Orten der Verdrängung und des Widerstands. Die Torstraße 225-227 ist ein solcher Ort der kapitalistische Landnahme. Dort ist es eine „Accentro Real Estate“, die das Haus 2017 gekauft hat. „Für mich ist das etwas bedrohlich“, erklärt Mieterin Doris Koch, die schon in den Jahren 2005/2006 die erste Sanierungswelle des Hauses überstanden hat und 15 Jahre später erneut um ihre Wohnung fürchten muss. Mittlerweile melden sich Kaufinteressent/innen für die Wohnungen sogar aus London. Als freischaffende Künstlerin würde sie in Berlin auf dem freien Wohnungsmarkt keine Wohnung finden. 

Dieses Wissen teilt Koch mit vielen Mieter/innen in Berlin. Es ist eine Stärke des Films, dass Kurzinterviews mit Wissenschaftler/innen wie dem Stadtsoziologen Andrej Holm immer mit Porträts von aktiven Mieter/innen gekoppelt werden. Wir sehen Mieter/innen allen Alters aus den unterschiedlichsten Stadtteilen, die sich nicht verdrängen lassen wollen und mit phantasievollen Aktionen dagegenhalten. Besonders eindringlich ist die Szene, wo Mieter/innen auf einem Hoffest die Hymne von Ton Steine Scherben „Der Traum ist aus“ intonieren. Dann wird eine Menschenkette von Mieter/innen aller Generationen eingeblendet, die besonders laut mitsingen.

Die Vertreibung hat System

Der Film zeigt uns auch den langen Kampf der Bewohner/innen der Habersaathstraße 40-44 gegen ihre Verdrängung aus einem sanierten Häuserblock in Berlin-Mitte. Es ist eine Stärke des Films, dass auch die Akteure der Verdrängung in Bild und Text genannt werden, ohne dass platte Ressentiments über „böse Investoren“ geschürt werden. Denn es wird immer deutlich, dass sie Akteure in einem Spiel namens Kapitalismus sind. 

So erfahren wir noch einmal – unterfüttert mit Statistiken – wie der Soziale Wohnungsbau seit Jahren in Deutschland bewusst heruntergefahren wird. „Die Umwandlung in Eigentumswohnungen hat sich als eines der stärksten Instrumente der Verdrängung der Mieter/innen etabliert“, erklärt Andrej Holm. In dem Film werden dann die Mieter/innen gezeigt, die davon betroffen sind. 

Am Beispiel von Hamburg-Altona und London zeigt der Film, wie die Zerstörung des sozialen Wohnungsbaus von einer Politik im Interesse des Kapitals, die für einkommensarme Menschen nur Verachtung übrig hat, in vielen Ländern vorangetrieben wird. Die Mieter/innen berichten, wie bestimmte Stadtteile, wo sie viele Jahre gelebt haben, in Medien und von der Politik zu Orten der Unsicherheit und des Verbrechens erklärt wurden. Damit wurde eine gesellschaftliche Stimmung dafür geschaffen, dass der Stadtteil „aufgewertet“ werden muss. Das Ergebnis können wir im Film sehen. Sozialwohnungen wurden abgerissen, in die teuren Apartments, die dort entstanden sind, konnte nur ein Bruchteil der Mieter/innen zurückziehen.

Dieser Exkurs in verschiedene Städte zeigt, dass die Zerstörung von Sozialwohnungen eben nicht an der Unfähigkeit bestimmter Politiker/innen liegt. Sie liegt vielmehr in der Logik einer Politik, in der dem Kapital rote Teppiche ausgerollt werden, auf Kosten der Mehrheit der Menschen. Das wird in dem Film sehr gut an praktischen Beispielen deutlich. Und „Sold City“ zeigt, dass es auch heute in Berlin noch viele Menschen gibt, für die bezahlbare Wohnungen kein Traum sondern ein Menschenrecht ist, für das sie zu kämpfen bereit sind.    

 

SOLD CITY
Leslie Franke, Herdolor Lorenz, Deutschland 2024
Wer Veranstaltungen mit dem Film machen will findet hier weitere Informationen: https://sold-city.org


MieterEcho 443 / August 2024