Es ginge anders
Eine Studie zu Bewirtschaftungsstrategien nicht-profitorientierter Wohnungsunternehmen in Wien und Berlin
Von Sebastian Gerhardt
Mieter/innen und ihre Vereine und Verbände betrachten Wohnungsunternehmen als die Gegenseite – und das zu Recht. Aber für die Organisation einer nicht-profitorientierten Wohnungswirtschaft muss man herausfinden, wie öffentliches oder genossenschaftliches Eigentum sinnvoll eingesetzt werden kann. Dafür braucht es einen Perspektivenwechsel. Es ist dabei wichtig, die Eigentumsfrage zu stellen. Nur reicht das nicht: Es geht darum, sie realistisch zu beantworten. Mitte Juli haben wir – Andrej Holm, Sebastian Gerhardt, David Scheller und Itziar Gastaminza Vacas, mit Unterstützung von Renate Berg – eine Studie zu den Strategien für eine bestandssichernde, nachhaltige und soziale Bewirtschaftung großer Wohnungsbestände vorgelegt.
Am Beispiel der Wiener Wohnen, der sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWU) in Berlin und einiger Berliner Wohnungsgenossenschaften haben wir die Möglichkeiten für eine soziale Wohnraumversorgung untersucht, die sich ergeben, wenn ein Vermieter keine Gewinne abführen muss. Die Studie wird hoffentlich einige neue Diskussionen anstoßen. Denn Wissen ist zwar noch nicht Macht – dazu gehört noch viel mehr – aber Unwissen ist Ohnmacht.
Die von uns untersuchten Unternehmen bewirtschaften etwa 600.000 Wohnungen. Ihre Aufgaben sind in verschiedenen rechtlich verbindlichen Dokumenten und politischen Absichtserklärungen festgeschrieben, für die LWU zum Beispiel in der Berliner Landeshaushaltsordnung und dem Wohnraumversorgungsgesetz. Schon dabei sind unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt: Während die Genossenschaften allein den Interessen ihrer Mitglieder verpflichtet sind und auch deshalb großen Wert auf eine hochwertige Instandhaltung legen, sollen die Berliner LWU vor allem im Neubau Aufgaben für die gesamtstädtische Entwicklung übernehmen. Die Wiener Wohnen konzentriert sich auf die soziale Wohnungsbewirtschaftung, ihre Neubauquote ist gering. Alle Unternehmen stehen vor der Herausforderung der energetischen Modernisierung. Sie streben dabei Warmmietenneutralität an, die jedoch ohne entsprechende Förderungen nicht realisierbar ist.
Gewinne sind nicht gleich Profit
Weder die Errichtung noch die Bewirtschaftung guter Wohnungen ist billig. Die Studie trägt Informationen zu Instandhaltungsaufwendungen, zu Personal- und Bewirtschaftungskosten zusammen und vergleicht sie mit den Mieteinnahmen – wobei bei den LWU noch der Anteil der Gewerbevermietung, etwa 5%, zu berücksichtigen ist. Alle Unternehmen verlangen Mieten, die sowohl im Bestand wie auch bei den Angebotsmieten deutlich unter dem Marktniveau liegen. Im Vergleich der einzelnen Kostengruppen zeigt sich, dass die LWU einen deutlich höheren Betrag für Zinsen und Finanzierungskosten aufbringen müssen, als die beiden anderen untersuchten Unternehmensgruppen. Hier schlägt sich die sehr verschiedene Eigenkapitalquote der Unternehmen nieder: Bei den LWU sind es 23,6%, bei den Genossenschaften 40% und bei Wiener Wohnen fast 65%. Je niedriger die Eigenkapitalquote und je größer der Druck, sich in den Bereichen Modernisierung, Ankauf und Neubau zu engagieren, desto höher ist der Bedarf, Fremdkapital aufzunehmen.
Deshalb müssen auch nicht-profitorientierte Unternehmen Gewinne machen. Im Verhältnis zu den Gesamterträgen machten die Jahresüberschüsse der LWU im Jahr 2012 etwa 8% aus – 2019 aber fast 23%. In den Folgejahren gingen sie auf 11 bis 12% der Gesamterträge zurück. Da die LWU seit 20 Jahren keine Gewinne mehr ausschütten, verbleiben tatsächlich alle erwirtschafteten Überschüsse in den Unternehmen. Was aber heißt das für die Miethöhen? Könnten die Mieten einfach um 8% (2012) oder 23% (2019) gesenkt werden, ohne die Existenz der LWU zu gefährden? Nein. Wie ein Blick auf den Geldfluss der Gesellschaften zeigt, gehören zum wohnungswirtschaftlichen Kern der LWU auch Investitionen und die Aufnahme wie die Tilgung von Krediten. Der Zusammenhang zwischen Wohnungsmieten, Betriebskosten, wohnungswirtschaftlichem Aufwand und Vermögen lässt sich nicht auf eine Faustformel herunterrechnen.
Für eine schöne Provokation ist eine Faustformel trotzdem gut. Rein theoretisch haben wir ein Szenarium entworfen, das einen Kompromiss aus den Vor- und Nachteilen der verschiedenen Bewirtschaftungsstrategien bildet. Das Ergebnis: Zu den Preisen des Jahres 2022 wäre eine kostendeckende Nettokaltmiete von etwa 5,50 Euro/qm machbar. Die Meldung kam in den Medien an. Angesichts der Kostensteigerungen wären es inzwischen allerdings eher 6 Euro. Und selbstverständlich reichen solche Mieten ohne zusätzliche massive Förderung weder für Bestandserweiterungen aus eigener Kraft noch für energetische Modernisierungen. Gute Wohnungen sind nicht billig. Nicht alle sozialen Fragen können über die Wohnungspolitik beantwortet werden. Aber es geht trotzdem anders, wenn Unternehmen anders wirtschaften.
Bisher hält sich die Kritik an der Studie in Grenzen. Nur die liberale Friedrich-Naumann-Stiftung hielt sofort dagegen: „Doch, Vermieten darf sich lohnen!“ Sie bescheinigte uns eine „Überschrift, die eher wie ein Schlachtruf klingt: ‚Keine Profite mit der Miete‘.“ Ein Schlachtruf? Wenn man einen Ruf aufschreibt, dann verwendet man in der deutschen Sprache am Ende des Satzes selbstverständlich ein Ausrufezeichen. Dieses Zeichen fehlt im Titel unserer Studie mit gutem Grund. Denn wir haben gar keine Forderung aufgestellt, die andere Leute erfüllen sollten, sondern eine Beschreibung abgeliefert: Weder die Wiener Wohnen noch die LWU oder Wohnungsgenossenschaften arbeiten dafür, ihren Eigentümern Profite abzuliefern. Die Studie zeigt, was sich dadurch ändert, welche Möglichkeiten sich daraus ergeben und wie sie genutzt werden.
Die liberale Fehlwahrnehmung hat einen Grund: Nichts fürchten diese Leute mehr, als dass die Opfer des Wohnungsmarktes von Verschwörungstheorien ablassen, sich über die wirtschaftlichen Zusammenhänge informieren und realistische Alternativen entwickeln. In einer sachlichen Debatte haben die Liberalen nichts zu gewinnen. Stattdessen warnen sie lieber vor den „katastrophalen Folgen“, falls die Profite aus der Vermietung ausbleiben sollten: „Der Wohnungsbau würde einbrechen.“
Es fehlt an Investitionen
Offenbar liest man bei der Naumann-Stiftung keine Zeitung: Der Wohnungsbau gerade von profitorientierten Wohnungsunternehmen ist nicht eingebrochen, sondern bis auf weiteres abgesagt. Die Spekulation auf das hochpreisige Segment funktioniert nicht mehr. Auch die obere Mittelschicht hat Schwierigkeiten, Wohnungen im privaten Neubau zu bezahlen. Im bezahlbaren Segment sind die öffentlichen Bauherren unter sich.
Und das ist Teil eines größeren Problems. Wie die Studie zeigt, können auch die öffentlichen Wohnungsunternehmen die nötigen Investitionen in den Neubau und in den Bestand nicht aus dem laufenden Geschäft finanzieren. Zwar hat der Berliner Senat den LWU Anfang 2024 weitgehend freie Hand für Mieterhöhungen gegeben. Nur geben die Einkommen der meisten Berliner/innen Mietpreise wie in München oder Hamburg einfach nicht her. Deshalb reagieren die LWU mit einem schleichenden Rückzug aus dem Neubau.
Anfang August berichtete der Senat stolz über den Stand des Neubaus der LWU: Im Jahr 2023 sind 4.348 Wohnungen errichtet worden. Im Vorjahr waren es allerdings noch fast 6.000 Wohnungen. Für die nächsten Jahre werden weitere Neubaubedarfe ausgewiesen und Projekte angekündigt. Aber eine koordinierte Neubauplanung, wie die noch laufende Roadmap der LWU, gibt es für die Jahre nach 2026 nicht. Hinzu kommt, dass die Belastung durch die nötige Klimaneutralität bis 2045 erhebliche Investitionen binden wird.
Ohne ein öffentliches Investitionsprogramm werden also weder der nötige Neubau noch die energetische Modernisierung sozialverträglich umgesetzt werden können. Es ist höchste Zeit, dass auch die Landespolitik einen Perspektivenwechsel vornimmt: weg von der reinen Begleitung der Unternehmen und hin zur Gestaltung der Wohnungspolitik durch öffentliche Investitionen. Die Ankündigungen einer neuen Sparpolitik im Landeshaushalt passen dazu nicht. Zudem bleibt es nicht bei Ankündigungen. Schon für das laufende Jahr sind die Zuführungen an das Sondervermögen Wohnraumförderfond komplett gestrichen.
Andrej Holm/Sebastian Gerhardt/David Scheller/Itziar Gastaminza Vacas:
Keine Profite mit der Miete
Studie für die Rosa-Luxemburg-Stiftung, Juli 2024
Alle Links und die Daten zur Studie: https://planwirtschaft.works/2024/07/15/studie-keine-profite-mit-der-miete
MieterEcho 444 / September 2024