Endgültige Entsorgung eines Volksbegehrens
Der 2016 gegründeten AöR Wohnraumversorgung Berlin werden vom Senat die ohnehin kargen Kompetenzen entzogen
Von Rainer Balcerowiak
Lange bevor die Initiative „Deutsche Wohnen&Co enteignen“ (DWE) mit ihrem Volksbegehren auf den Plan trat, das schließlich im September 2021 in einen erfolgreichen Volksentscheid mündete, gab es in Berlin bereits einen Versuch, mit einem Plebiszit in die Berliner Wohnungspolitik einzugreifen. Im März 2015 stellte die „Initiative Mietenvolksentscheid“ ihren Entwurf für ein Volksbegehren für eine umfassende Neuordnung der kommunalen Wohnraumversorgung und deren Überführung in eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) vor. Die erste Hürde wurde nahezu spielend genommen, Ende Mai konnten dem Senat fast 50.000 gültige Unterschriften übergeben werden.
Doch die Euphorie hatte bald ein Ende. Der Senat verwies auf verfassungs- und europarechtliche Bedenken und bot statt- dessen eine Bonsai-Version an, die den materiellen Gehalt der Initiative, zu der auch ein öffentlicher Wohnraumförderfonds gehörte, komplett ausblendete. Der den Initiatoren angebotene „Kompromiss“ sah lediglich vor, eine neue „AöR Wohnraumversorgung Berlin“ (WVB) zu schaffen, die aber über keinerlei investive Mittel und keine Rechtsfähigkeit verfügen sollte. Sie sollte vielmehr „politische Leitlinien zur Wahrnehmung des Versorgungs- und Wohnungsmarktauftrags der landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWU) entwickeln, evaluieren und fortschreiben sowie durch jährliche Berichte die Geschäftspolitik der LWU transparent machen“. Auch blieb die Struktur der LWU als Aktiengesellschaften und GmbHs unangetastet. Man könnte es auch in einem Satz zusammenfassen: Die AöR kann zu allen möglichen Themen ihren Senf dazugeben, zu entscheiden hat sie aber nichts.
Die Führungsetage der Initiative ließ sich nach mehreren „Geheimverhandlungen“ darauf ein und blies die 2. Stufe des Volksbegehrens, mit der dann im Erfolgsfall ein Volksentscheid möglich geworden wäre, trotz heftiger Kritik in vielen Aktivengruppen ab. Und einige Protagonist/innen konnten sich über die teilweise auch materiell interessante Einbindung in die Strukturen der neuen AöR freuen.
Wohnungspolitischer Auftrag entfällt
Zwar war das eigentliche Ziel des Volksbegehrens damit mehr oder weniger komplett entsorgt worden, aber ihre Aufgabe in Bezug auf die Formulierung von sozialen Leitbildern für die LWU und die recht detaillierte Untersuchung von deren Geschäftsgebaren nahm die AöR seit 2017 durchaus wahr, vor allem in Form von jährlichen Berichten, die für wohnungspolitisch Aktive eine wichtige Datenquelle darstellten.
Doch derlei „Beteiligungsklimbim“ wird vom neuen Senat offenbar als überflüssig erachtet. Neben einer Umbenennung der AöR WVB in AöR „Sicheres Wohnen – Beteiligung, Beratung, Prüfung“ wird ihr laut einem Senatsbeschluss nun explizit die Aufgabe entzogen, Orientierungshilfen für politische Entscheidungen die LWU betreffend zu erarbeiten. Auch der jährliche Bericht über die LWU fällt weg, er erschien letztmalig 2022.
Laut einer Senatsmitteilung soll die neu ausgerichtete AöR „auf den Bereich der Beratung und Unterstützung der Mietergremien der landeseigenen Wohnungsunternehmen sowie die Errichtung einer Ombudsstelle für Angelegenheiten zwischen Mieterinnen und Mietern und den landeseigenen Wohnungsunternehmen gerichtet“ sein. Ferner könne die Anstalt darüber hinaus nunmehr auch „mit Aufgaben zur Beratung in Themen des Mieterschutzes wie der Prüfung zulässiger Miethöhen bei Neuvermietungen beauftragt werden“. Dafür „sollen die Strukturen und Gremien verschlankt sowie Arbeitsabläufe entbürokratisiert werden“.
Größere Proteste wird diese Entscheidung wohl nicht auslösen. Schließlich war schon die ursprüngliche AöR Wohnraumversorgung Berlin eine traurige Karikatur der eigentlichen Ziele der Initiative Mietenvolksentscheid. Viele der damaligen Protagonist/innen haben dann später ihr neues Aktionsfeld bei DWE gefunden. Doch viel gelernt hat man aus der damaligen Schlappe offenbar nicht. Zwar gab es den erfolgreichen Enteignungsvolksentscheid, der aber vom Senat eher achselzuckend zur Kenntnis genommen und mit allerlei Winkelzügen ausgesessen wurde und wird. Denn er hatte eben kein verbindliches Gesetz zum Inhalt – was nach einem erfolgreichen Volksentscheid unmittelbar in Kraft getreten wäre. Sondern eine unverbindliche Bitte an den Senat, doch bitte ein Vergesellschaftungsgesetz auf den Weg zu bringen.
MieterEcho 446 / Dezember 2024