Editorial
Editorial MieterEcho
Liebe Leserinnen und Leser,
Berlin ist eine Touristenmetropole. Mit knapp 13 Millionen registrierten Gästen und fast 30 Millionen Übernachtungen wurde 2023 das Vor-Corona-Niveau fast wieder erreicht und der Aufwärtstrend setzt sich in diesem Jahr fort. Sie kommen aus aller Herren Länder und haben ganz unterschiedliche Erwartungen und Bedürfnisse. Die einen wollen vor allem Sightseeing oder genießen das umfangreiche Kulturangebot mit zahlreichen Ausstellungen, Konzerten, Theater- und Opernaufführungen. Andere strömen vor allem wegen bestimmter Events in die Stadt, wie etwa eine Fußball-EM oder der mehrtägige Karneval der Kulturen – und derartige Events gibt es hier reichlich.
Eine weitere, stetig wachsende Gruppe vor allem jüngerer Besucher/innen kommt in die Stadt, um schlicht ausgiebig zu feiern, denn Berlin ist auch eine Club- und Techno-Metropole. Das verteilt sich nicht auf ganz Berlin, sondern konzentriert sich in wenigen Stadtteilen in Berlin-Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Nord-Neukölln und bei „gehobenen“ Tourist/innen noch auf Teile der westlichen Innenstadt. Vor allem in den Außenbezirken bekommt man von diesem Tourismusboom wenig mit. Kaum eine japanische Kulturtouristin, aber auch kaum ein Party-Jünger wird jemals einen Fuß in Bezirke wie Reinickendorf oder Marzahn-Hellersdorf setzen.
Für die offizielle Politik ist das alles ein Segen und ein Pfund, mit dem man weiter wuchern will. Beschworen werden die vielen Milliarden Euro Wertschöpfung, die durch den Tourismusboom in die Stadt fließen, und die vielen Arbeitsplätze in der Kultur- und Eventbranche, der Gastronomie, dem Beherbergungsgewerbe und damit verbundenen Dienstleistungen.
Doch viele Menschen, vor allem in den touristischen Hotspots, erleben das ganz anders. Für sie bedeutet die „Touristifizierung“ vor allem Lärm, Dreck und die Verdrängung bestehender Kiezstrukturen. Hostels und andere Beherbergungsstätten schießen wie Pilze aus dem Boden und zahlreiche Wohnungen werden als Ferienunterkünfte genutzt, statt Wohnungssuchenden zur Verfügung zu stehen. Und auch das mit den vielen Arbeitsplätzen der Tourismusbranchen ist bei weitem nicht so rosig, wie es Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey gerne malt. Denn ein Großteil dieser Jobs basiert auf prekären Arbeitsverhältnissen im Niedriglohnsektor. Wie so oft stellt sich die Frage: Wem gehört die Stadt? Die Konflikte rund um die Touristifizierung mehren sich, aber der Senat macht bislang wenig Anstalten regulierend einzugreifen, und seien es auch nur ein Hotelentwicklungsplan und gewisse Restriktionen in touristischen Ballungsgebieten. Welche Ansätze es da gibt, zeigen andere Städte, wie etwa Amsterdam und Barcelona. In Berlin bisher Fehlanzeige. Es wird höchste Zeit, dass sich das ändert. Eine Metropole wie Berlin wird und soll immer Anziehungspunkt für Besucher/innen sein. Aber nicht auf Kosten der Lebensqualität der Bewohner/innen.
Ihr MieterEcho
MieterEcho 444 / September 2024