Die Grenzen der Tragfähigkeit
Wie Barcelona und Amsterdam den Massentourismus eindämmen wollen
Von Nils Grube
In Berlin wird wenig über eine Begrenzung des Tourismuswachstums gesprochen. In Tourismushochburgen wie Barcelona und Amsterdam hingegen werden die Schrauben bei der Regulierung immer fester angezogen – nicht zuletzt aufgrund des Drucks aus der Bevölkerung. Der Weg zu einer erfolgreichen Eindämmung des Besucheransturms ist allerdings ein weiter.
Wann wird aus viel zu viel? Diese Frage stellt sich notgedrungen bei der Betrachtung der Tourismusentwicklung der letzten 20 Jahre. Nicht nur in Berlin, sondern auch in vielen anderen Städten Europas. Nach dem kurzzeitigen Tourismuseinbruch durch die Corona-Pandemie befinden sich die Besucherzahlen längst wieder auf Rekordniveau. Gleichzeitig gehen an immer mehr Orten Menschen auf die Straße, um gegen steigende Wohnkosten und Immobilienpreise, Ausbeutung von Ressourcen oder den Ausverkauf der Städte zu demonstrieren. Richtet man den Blick auf die Städte, in denen die Belastungsindikatoren Tourismusdichte und Tourismusintensität bereits über denen von Berlin liegen, zeigt sich, dass hier bereits ein anderes Bewusstsein bei den politisch Verantwortlichen zu der Notwendigkeit der Regulierung des Tourismuswachstums besteht – mit unterschiedlichen Erfolgsaussichten.
In diesem Sommer haben vor allem die Proteste in Barcelona für zahlreiche Schlagzeilen und internationales Aufsehen gesorgt. Dabei hatte die Stadt bereits seit Mitte der 2010er Jahre Bemühungen intensiviert, um den immer stärker zunehmenden Besucheransturm einzudämmen. Die damalige von Ada Colau, Bürgermeisterin und Aktivistin der links-alternativen Plattform Barcelona en Comú, geführte Stadtregierung entwickelte ein umfassendes Konzept zur politischen Steuerung einer nachhaltigen Tourismusentwicklung und erließ auf dieser Grundlage in den Folgejahren immer wieder neue Formen der Regulierung.
Viele der Maßnahmen erscheinen eher als Linderung der negativen (Wachstums-) Symptome, wenn es beispielsweise darum geht, im Zuge eines crowd managements die Größe von Touristengruppen bei Führungen im Stadtzentrum zu reduzieren, die Ankünfte von Kreuzfahrtschiffen zu beschränken, einzelne Straßenzüge temporär für Besucher/innen zu sperren oder das Ordnungspersonal aufzustocken.
Kapazitäten sind der Schlüssel
Um jedoch die schiere Masse der Tourist/innen wirksam einzuschränken, müssen vor allem Kapazitäten limitiert werden. Im Bereich der Beherbergung sollte dies durch eine 2015 erlassene Obergrenze von 170.000 Touristenbetten erfolgen, worunter neben Hotels und Herbergen auch die 58.000 Betten in Ferienwohnungen einbezogen wurden. Zeitgleich wurde ein Genehmigungsstopp für Hotels im Stadtzentrum erlassen. Was durch die Kappung jedoch erst mal folgte, war ein rapider Preisanstieg bei den Übernachtungsbetrieben.
Jüngster Vorstoß von Colaus Nachfolger Jaume Collboni von den katalanischen Sozialisten ist das im Juni 2024 verkündete Verbot von Ferienwohnungen bis Ende 2028. Hierdurch sollen alle der über 10.000 lizenzierten Ferienwohnungen untersagt und bis spätestens 2029 dem Wohnungsmarkt zurückgeführt werden. Ermöglicht wurde es durch eine Gesetzesänderung, die Kommunen die Hoheit zur Regulierung von Ferienwohnungen nach Änderung des Flächennutzungsplans überlässt.
Richtig effektiv erscheinen beide Maßnahmen hinsichtlich der Begrenzung des Massentourismus jedoch nicht. Zum einen, weil die Regulierung an den Stadtgrenzen endet und in unmittelbar angrenzenden Nachbarkommunen weitere Beherbergungsstätten entstehen. Zum anderen stehen sie auch für eine Umverteilung im Tourismussektor, wie Julia Macher in ihrem jüngsten Artikel in Die Zeit hervorhob: Neben explodierenden Hotelpreisen werden durch das Ferienwohnungsverbot neue Kapazitäten im Rahmen der Obergrenzen frei, was neben den Hoteliers auch Investor/innen und Projektentwickler/innen von Neubauprojekten jubeln lässt.
Auch in Amsterdam hat die Stadtregierung weit vor dem Ausbruch der Pandemie begonnen, Maßnahmen zur Steuerung des Tourismus zu ergreifen. Der 2016 verabschiedete Ansatz des „city in balance“ sollte für einen besseren Ausgleich der Interessen zwischen Einheimischen und Besucher/innen sorgen. Die niederländische Metropole hat vor allem mit Konflikten durch ausufernden Partytourismus und einer allgemeinen Überlastung der kleinflächigen und engen Innenstadt zu kämpfen. Ähnlich wie in Barcelona wurden Maßnahmen wie eine gezielte Besucheransprache, Alkoholverbotszonen und ein crowd management umgesetzt. Um den ebenfalls strapazierten Wohnungsmarkt zu entlasten, hat die Stadt Bemühungen zum Verbot von Ferienwohnungen im Stadtzentrum sowie einen fast flächendeckenden Hotelstopp erlassen (s. MieterEcho 395). Diese Maßnahmen konnten punktuell besonders schwerwiegende Konflikte minimieren, die Besucherzahlen stiegen in den Folgejahren allerdings weiter an.
Eine temporäre Entspannung der Konflikte kam dann mit der Corona-Pandemie und durch einen zeitgleichen Vorstoß der Bürgerinitiative „Amsterdam hat die Wahl“. Ausgangspunkt waren die positiven Erlebnisse der Bevölkerung während der „Tourismuspause“ der Lockdowns, als es vielen Bewohner/innen des entleerten Stadtzentrums erstmals wieder möglich war, sich mit Nachbar/innen auf der Straße zu treffen und vor den Hauseingängen ins Gespräch zu kommen. Die Initiative stellt nun die Forderung auf, diese erfahrene Lebensqualität für die Bewohner/innen des Stadtzentrums zu erhalten, bevor der „Normalzustand“ wieder eintritt. Erreicht werden sollte es über eine Begrenzung der jährlichen Übernachtungen auf 14 Millionen – die Referenz für diese Zahl bildet das Jahr 2014, als die touristische Überfüllung offiziell durch die Stadtverwaltung anerkannt wurde.
Der Initiative gelang es, nach einer erfolgreichen Petition eine Anhörung im Stadtrat zu erwirken. Nach mehreren Nachverhandlungen wurde im Juni 2021 die endgültige Verordnung verabschiedet, die von allen Fraktionen gebilligt wurde. Demnach muss die Stadt fortan wachstumseinschränkende Maßnahmen ergreifen, wenn ein Signalwert von 18 Millionen touristischen Übernachtungen erreicht wird. Der Maximalwert liegt bei 20 Millionen. Um dies zu überprüfen, wurden Besucherprognosen erstellt.
Es gibt keine einfachen Lösungen
Die im April 2022 veröffentlichte Prognose für den Zeitraum 2022-2024 zeigte, dass Amsterdam den Signalwert bereits im Jahr 2023 erreicht haben wird. Infolgedessen wurde im November 2022 ein umfassendes Maßnahmenpaket verabschiedet, das zahlreiche strenge Regulierungsmaßnahmen beinhaltet wie eine striktere Sperrstunde im Rotlichtviertel, Verbot von Cannabiskonsum im öffentlichen Raum und von Junggesellenabschieden sowie erstmals eine De-Marketing-Kampagne („Stay Away“) für Partytourist/innen. Im Sommer 2023 kamen weitere Maßnahmen hinzu, darunter ein Verbot für Reisebusse und schrittweise auch für Kreuzfahrtschiffe im Stadtzentrum. Trotz dieser Maßnahmen scheint es schwer, die Grenze einzuhalten: 2023 verbuchte Amsterdam einen neuen Rekordwert von 23 Millionen Übernachtungen.
Die Beispiele Barcelona und Amsterdam zeigen die letztendlich gescheiterten Versuche progressiv-linker Stadtregierungen, Tourismuswachstum qualitativ wie quantitativ einzudämmen. Die Lösungswege erweisen sich als komplex, und nicht jede der umgesetzten Maßnahmen hatte den erwünschten Effekt. Vielmehr wird deutlich, dass es noch radikalere Schritte bräuchte, um schneller zu spürbaren Ergebnissen zu gelangen.
Dennoch stimmt die breite Anerkennung von Wachstumsgrenzen hoffnungsvoll, dass die Zukunft des Stadttourismus nicht in der Fortführung eines „Immer-Mehr“ liegt. Wichtig wäre es, rechtzeitig und vorausschauend zu handeln. In Berlin fehlt der politische Wille hierzu. Aber auch auf Seiten der Bevölkerung ist noch wenig zu spüren von einer nötigen politischen Mobilisierung und Diskussion über Grenzen des Tourismuswachstums. Es wäre an der Zeit, dass diese Debatte auch in der Mietenbewegung an Fahrt aufnimmt.
Nils Grube ist Geograf und promoviert zur tourismuspolitischen Steuerung in Berlin und Amsterdam. An der TU Berlin forscht und lehrt er am Fachgebiet Planungstheorie und Analyse städtischer und regionaler Politik.
MieterEcho 444 / September 2024