Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 446 / Dezember 2024

Denn sie wissen, was sie tun

Das Wohnungsproblem als grelles Symbol antagonistischer Widersprüche

Von Karin Baumert

Die Klagen sind groß, die Zahlen erdrückend. Solange man selbst keine neue Wohnung sucht, hängen einem die Berichterstattungen von chancenlosem Wohnungsbesichtigungsevents mit erwartbarem Ausgang nur zum Halse raus. Aber nur einen Augenblick davon entfernt lauert die Angst vor der Eigenbedarfsklage oder der Kündigung aus heiterem Himmel. Dann diese Geschichten mit der Miete.   

So verneinte vor Kurzem eine Richterin das Recht auf Mietminderung – nach einem erheblichen Wasserschaden und der daraus folgenden Unbewohnbarkeit eines Berliner Zimmers – weil der Abtrocknungsgrad nicht einberechnet worden war. Sie schloss ihren Richterspruch mit der Bemerkung: „Also wirklich, für ihre geringe Miete können sie nun wirklich keine intakte Wohnung erwarten.“ Es kam zur Zwangsräumung.  

Wenn Politiker mit Investoren verhandeln, dann lächeln sie siegessicher. Was hat der damalige stellvertretende Bürgermeister Berlins, Klaus Lederer (Die Linke), gestrahlt, als er mit dem Immobilienunternehmer René Benko einen Deal zum Erhalt der Arbeitsplätze bei Karstadt unterschrieb. Das Baurecht am Hermannplatz war gegen die Zusicherung des Erhalts von Arbeitsplätzen gegeben worden. Es war abzusehen und wenig überraschend, dass sich das Baurecht in den Bilanzen von Herrn Benko materialisierte, aber das Versprechen zum Erhalt von Arbeitsplätzen keine materielle Gewalt entwickeln würde.

Der tendenzielle Fall der Profitrate überraschte Herrn Benko und hinterließ  Lücken in der Stadt und Ratlosigkeit bei den Politiker/innen. Es wäre jetzt interessant, ob daraus Lehren gezogen werden. Denn ganz offensichtlich war das Kräfteverhältnis asymmetrisch. Herr Benko hatte für sich und die nächsten Generationen seiner Familie ausgesorgt, Klaus Lederer hatte aber keine Sanktionsmöglichkeiten vereinbart. Oder hätte er wirklich keine gehabt?

Man überlege nur einen kurzen Moment was passieren würde, wenn sich die Sanktionswut des Staates weg von den Bürgergeldempfänger/innen hin zu den Investoren verschieben würde. Also nehmen wir mal an, Politiker/innen – wenigstens die, die „sozial und gerecht“ immer in ihre Wahlwerbung schreiben – würden den Armutsbericht der Bundesregierung lesen und danach handeln, statt materielle Vorteile über Baubescheide zu vergeben. Wir würden gern den Politiker/innen eine Chance geben, damit sie gemeinsam mit der Richterin ihre Interessen überdenken.

Eigentumswohnung als „Krisenvorsorge“

Immer mehr Menschen versuchen ihre Miete in eine Kreditzahlung für die eigene Eigentumswohnung umzuwandeln. Dazu braucht es einen Eigenkapitalanteil, also 10% des Kaufpreises. 50.000 Euro gespart oder geerbt oder erarbeitet, das ist nun wirklich nicht zu viel verlangt, oder? Gern macht man auch ein Schnäppchen, denn bewohnt ist die Wohnung wesentlich preiswerter. In der Verkaufsanzeige wird heutzutage auch gern mit dem Hinweis „... derzeit vermietet, Eigenbedarfskündigung möglich ...“, geworben.

Kein Wunder, dass die Angst umgeht. Denn was den einen ihre Zukunftssicherheit ist, ist für Mieter/innen ihre Zukunftsangst. Genau hier liegt das tiefe Geheimnis, das die kapitalistische Stadt am Laufen hält: Wo es Gewinner gibt, muss es auch zwangsläufig Verlierer geben. Aber hey, dein Selbst-Empowerment hat sich ausgezahlt, deine teuren Kurse, dein „glaub fest an deine Kraft, schicke einen Wunsch an das Universum“ haben sich schon rentiert. Denn nun siehst du es als dein legitimes Glück an, die Wohnung bald frei zu haben und dann auch zu der Miete zu vermieten, die deine Kreditrate abdeckt.

Die Angst aber gilt nicht für die Eigentümer und Investoren. Sie gründen für jede neue Investition eine neue juristische Person. Sehr beliebt ist die sogenannte Limited Gesellschaft. Niemand haftet bei Verlust und muss in das persönliche Risiko gehen. Verluste werden nach „unten“ umverteilt – im Regen stehen bleiben die Bauarbeiter. Wie damals bei der  „Mall of Berlin“. Um tausende Euro Lohn geprellt und mittellos in Berlin gestrandet, der Verantwortliche aber war im unentwirrbaren Dickicht der Zuständigkeiten und Insolvenzen verschwunden.  Leer ging die Arbeit aus, nicht der Investor. Darum hängen die Übergewinne, der Leerstand und die Investitionsruinen mit den bezahlbaren Mieten zusammen. Denn unterbezahlte Arbeit und risikoreiche Investitionen stehen einander gegenüber und werden keinen zivilgesellschaftlichen Kompromiss finden. „Wäre ich nicht arm, wärst du nicht reich.“ (Bertolt Brecht) Die Stadt wird von den hegemonialen Interessen der Investoren, der Politiker und der Rechtsprechung am Laufen gehalten.

Im Sommer wurde in Pankow der Grundstein gelegt, der das „Schneller-Bauen Gesetz“ bereits vorweggenommen hat. Denn hier wurde nach dem §34 BauGB genehmigt. Das bedeutet, dass keine langen Abstimmungsprozesse im Bebauungsplanverfahren mehr notwendig sind. Der „Ankerinvestor“, wie es im politischen Planungsdeutsch gern heißt, hat Vorrang vor den Abwägungen mit den Belangen der Natur, der Nachbarschaft und den Verkehrslösungen. Denn bauen, bauen und nochmals bauen ist die Devise. Investitionen dienen in der kapitalistischen Stadt nur noch der Rendite. Und alle arbeiten genau daran mit. 

Es gibt kein anderes verbindendes Element, als in der allgemeinen und zyklischen Krise des Kapitalismus die Stadt als Renditeobjekt zu sehen. Das Prinzip der Verwertung von Geld als Kapital wird wie ein großer Ball über den Köpfen der Akteure am Laufen gehalten. Das Kapital erscheint als Subjekt der Stadtentwicklung, Investoren werden als Menschen mit Visionen abgefeiert. Die individuelle Tatkraft und Kreativität, das Empowerment und die Zivilgesellschaft sollen Klassenunterschiede und soziale Widersprüche verschleiern. Aber Verlierer/innen sind nicht nur kleinteilige städtische Strukturen der Nachbarschaft, bezahlbare Wohnungen und Orte des Gemeinwesens, sondern auch die Ökologie und unsere Zukunft als Ganzes. Das Kapital wird niemals vorausschauend und nachhaltig sein.

Es wäre zu einfach, den Besitzer/innen von Eigentumswohnungen dafür die Schuld zu geben, denn der steigende Bodenwert resultiert aus der Verwertung des Bodens als Kapital. Für die Eigentumswohnungsbesitzer/innen sind die Mieter/innen eine lästige Kostenfalle, denn die Wohnung finanziert sich nicht aus deren Miete, sondern aus dem scheinbar realen Wert. Der aber ist getrieben von der Verwertung des Bodens und der Wohnung als Kapitalanlage. Wie das Wetter scheinbar unumstößlich und nicht zu beeinflussen, oder?

Es braucht radikale Lösungen

Wir sind scheinbar Konkurrent/innen auf dem Wohnungsmarkt. Das soll uns antreiben, damit wir uns strecken, empowern, um uns mit anderen um die kreativsten Ideen zu messen. In Wahrheit aber befindet sich der größte Teil der Stadtbewohner/innen in abhängigen ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen oder ist von unzureichenden staatlichen Almosen abhängig. Dann kann man keine Wohnung mehr bezahlen.  Zwischen der Käuferin der Eigentumswohnung und der von Zwangsräumung bedrohten Mieterin steht die Angst um die persönliche Zukunft. Hier liegt das wirkliche Drama des Kapitalismus, aus Nachbar/innen werden Feinde und Konkurrent/innen.

Wir haben in Berlin ein Wohnungsproblem. Dazu gehört auch ein spezielles Verteilungsproblem. Der Wohnflächenverbrauch steigt und steigt, d.h. in immer größeren Wohnungen leben immer weniger Menschen, aber eben nur im Durchschnitt. Menschen, die keine Wohnung finden, leben mit bis zu 3 Generationen in zwei Zimmern. Menschen, die es sich leisten können, haben in Berlin eine Zweitwohnung mit 100 qm. Zwangsräumungen bei vermeintlichem Eigenbedarf nehmen zu, die Wohnungslosigkeit auch.

Wir gehen durch Berlin, holen uns ein Bier beim Späti und können es gar nicht glauben. Neben ganzen Straßenzügen in Mitte, die abends dunkel sind, weil hier die Zweitwohnungsbesitzer/innen am Wochenende nach Hause gefahren sind, hausen wohnungslose Menschen auf Matratzen und hinter selbst gebauten kleinen Verschlägen. Tourist/innen holen sich den Code ihrer Ferienwohnung an einem Fahrradständer von einem kleinen Gerät. Wohnungen in der Belle Etage wurden umgewandelt in Anwaltsbüros und Ärztepraxen. Gleichzeitig stehen ganze Büroetagen leer. Hinten stehen Kräne still, Investruinen am Horizont.

Die Zukunft liegt in der Enteignung, nicht über eine Unterschrift, sondern über aktive Aneignung und mit Formen des zivilen Ungehorsams. Aus dieser Krise kommen wir nur gemeinsam und international heraus. Es gibt kein kleines Glück in dieser Stadt, denn die Natur, das Klima und die Zukunft der Gesellschaft kann nur noch als Ganzes und von unten gedacht werden.


MieterEcho 446 / Dezember 2024

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