Auf Kosten des Kiezes
Lichtenberg: Das Großaquarium „Ocean Berlin“ und die Touristifizierung Berlins
Von Lukas Meyerhoff
Sie kommen mit klackernden Rollkoffern, bleiben oft nur wenige Tage in Berlin, fallen aber immer wieder durch negatives und rücksichtsloses Verhalten auf: Tourist/innen. Nach der pandemiebedingten Zwangsverschnaufpause sind der Tourismus und die damit verbundenen Probleme in den Kiezen wieder zurück, zu Teilen sogar schärfer als zuvor.
Vor allem in Kreuzberg, Friedrichshain, Mitte und Nord-Neukölln bekommen die Bewohner/innen die Auswirkungen der stetig steigenden Touristenzahlen in Berlin deutlich zu spüren. Die Verschmutzung von Parks und Plätzen sowie der Lärm überfüllter Kneipen und umherziehender Partytourist/innen sind dabei nur die offensichtlichsten Probleme. Dazu kommt der Wildwuchs von touristischen Unterkünften. Der anhaltende Tourismusboom kann ganze Kiezstrukturen nachhaltig verändern und die Bewohner/innen einem hohen Leidensdruck aussetzen. Den Bezirken fehlen die Instrumente zur Steuerung und Regulierung des Marktes, um bestehende Nutzungs- und Bewohnerstrukturen zu schützen. Investor/innen beweisen immer wieder ihre Macht in der Stadt.
Der Tourismus prägt seit vielen Jahren die Stadtentwicklungsprozesse in Berlin maßgeblich mit. Mit Begriffen wie Touristifizierung und Overtourism werden diese negativen Entwicklungen zusammengefasst: Sie beschreiben die komplexen Prozesse, bei denen das Eingreifen verschiedener Akteur/innen und vor allem eine hohe Zahl von Tourist/innen dazu führen, dass sich ein Gebiet so verändert, dass es insbesondere den Bedürfnissen der Tourist/innen und weniger denen der Bewohner/innen entspricht. Nach dem Motto: Mehr Happy-Hour und weniger Buchladen. Das führt zur Verschlechterung der Lebensqualität für die Bewohner/innen.
Senat ebnete „Ocean Berlin“ den Weg
So auch an der Rummelsburger Bucht in Lichtenberg: Auf dem letzten unbebauten Ufergrundstück am nordwestlichen Ende der Bucht hat sich dieses Machtgefälle erneut gezeigt – zwischen den Bedürfnissen der Anwohner/innen und den Investitions- und Entwicklungsabsichten des weltweit agierenden Unternehmens für maritime Vergnügungsparks „Coral World International“. Geplant sind ein Großaquarium mit verschiedenen Schau- und Erlebnisbereichen, ein 3D-Kuppelkino, in dem ein Tauchgang im Ozean simuliert werden soll, ein Tauchbereich, eine Bootsplattform sowie ein Zuchtbereich.
Um sich die gewaltigen Dimensionen dieser Attraktion zu verdeutlichen, hilft folgender Vergleich: Die Becken des Aquariums am Berliner Zoo fassen zusammen etwa 700.000 Liter, während die „Ocean World“ auf rund 9 Millionen Liter kommen wird. Dazu kommt ein siebenstöckiges Hotel mit 169 Doppelzimmern, Fitnessraum und Restaurant auf der Dachterrasse. Dem gigantischen Projekt mussten unter Protesten ein Obdachlosencamp, ein Techno-Club und zwei Bauwagenplätze weichen – ein weiteres Stück alternativer Szene begraben unter dem angestrebten Investitionsvolumen von 90 Millionen Euro. Auch die Chance, dringend benötigte Schulen, Kitas und Wohnungen zu bauen sowie Freiräume zu erhalten, blieb ungenutzt. Doch wie konnte es so weit kommen?
Im Sommer 2016 verkaufte der Senat das Grundstück für 4,15 Millionen Euro – deutlich unter Marktwert – an „Coral World International“, die seit den 70er Jahren weltweit Schauaquarien entwickelt und betreibt. Bestandteil des Grundstückskaufvertrages war ein Grobkonzept, das die Planungsabsichten skizzierte. Von einer soziokulturellen Einrichtung mit dem Fokus auf Bildung, Naturschutz und Forschung war die Rede. Kein Wort von einem Hotel. Am Rande wurde lediglich von „ergänzenden Dienstleistungs- und Gewerbeflächen, solange es sich um untergeordnete Nutzungen handelt“ gesprochen.
Von einer Hotelnutzung war erstmals im Zusammenhang mit der erteilten Baugenehmigung für das „Ocean Berlin“ im März 2022 die Rede. Zwei Jahre zuvor hatte die BVV Lichtenberg den entsprechenden Bebauungsplan beschlossen, begleitet von vergeblichen Protesten und Demonstrationen der Initiative „Bucht für Alle“. „Für ein Hotel hat das Abgeordnetenhaus nicht den Grund und Boden verkauft, dafür hat die BVV nicht das Baurecht gegeben“, kommentierte die Linken-Politikerin Hendrikje Klein, die in Lichtenberg mit einem Direktmandat in das Abgeordnetenhaus gewählt wurde, die Geschehnisse. Die Senatsverwaltung sah erstaunlicherweise keine Widersprüche zwischen der Baugenehmigung und dem Grobkonzept.
Mit dem Verkauf des Grundstücks aus öffentlicher Hand, dem Beschluss des Bebauungsplans durch die BVV und der auf dieser Grundlage erteilten Baugenehmigung wurden somit Fakten geschaffen. Eine politische Mehrheit zur Verhinderung des „Ocean Berlin“ fand sich nicht. Auch der lokale Protest der Initiative „Bucht für Alle“ konnte die Entwicklung nicht stoppen. Sie hat den Kampf gegen die Profitinteressen einzelner verloren, das „Ocean Berlin“ wird kommen. Weder die zahlreichen Demonstrationen, Anträge auf Bezirksebene, eine Petition, eine Volksinitiative, noch eine Klage konnten etwas bewirken. Die Interessen der Menschen an der Rummelsburger Bucht und in dieser Stadt sind wieder einmal auf der Strecke geblieben.
Welche Auswirkungen dieser erneute Ausverkauf der Stadt auf die umliegenden Kieze und ihre Bewohner/innen haben wird, ist noch nicht abzusehen. Sicher ist, dass die Touristifizierungs- und Gentrifizierungsprozesse in der Grenzlage zu Friedrichshain-Kreuzberg dadurch eher verschärft werden.
Aber es gibt auch positive Beispiele für erfolgreichen Protest gegen den touristischen Wildwuchs. Wie z. B. in der Neuköllner Partymeile Weserstraße. Dort eröffnete 2017 in einem Hinterhof das „Fantastic Foxhole Hostel“. Ehemalige Gewerberäume wurden ohne Baugenehmigung zu einem Hostel mit 33 Betten, einer Bar im Vorderhaus und einer Sonnenterrasse im Innenhof umgebaut. Die Mieter/innen des Hauses konnten ab diesem Zeitpunkt nicht mehr bei offenem Fenster schlafen – im Hof machten sich die Gäste rund um die Uhr lautstark durch Partylärm, zuschlagende Türen und rollende Koffer bemerkbar. Beschwerden beim Vermieter blieben erfolglos, da dieser mit dem Hostelbetreiber geschäftlich verbunden war.
In Einzelfällen erfolgreiche Proteste
Doch die Anwohner/innen und der Bezirk Neukölln wehrten sich und konnten schließlich erfolgreich gegen den vorsätzlichen Rechtsbruch vorgehen, denn Hostels sind vom Störungsgrad einem Hotel gleichzusetzen. Und die sind in Hinterhöfen von Wohngebäuden unzulässig. Auf dieser baurechtlichen Grundlage konnte der Bezirk eine Nutzungsuntersagung für das Hostel aussprechen, die sowohl vom Verwaltungsgericht als auch vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg bestätigt wurden. Damit wurde der illegale Hostelbetrieb im Hinterhof beendet und das Hostel sieben Monate nach der illegalen Eröffnung geschlossen und versiegelt. „Die Strategie, darauf zu hoffen, dass der Bezirk einen vorsätzlichen und fortgesetzten Rechtsbruch einfach toleriert, geht in Neukölln nicht auf“, erklärte der zuständige Bezirksstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) dazu.
Ein anderer Fall aus Kreuzberg zeigt die Begrenztheit der Eingriffsmöglichkeiten. 2019 rettete an der Skalitzer Straße nur die Gutmütigkeit des Investors „IDEAL-Versicherung“ den Kiez vor einem zehngeschossigen Hotel- und Hostelkomplex mit 750 Betten und 3-geschossiger Shoppingmall. Der Initiativkreis „NoHostel36“ protestierte zwar heftig gegen die Entwicklung, entscheidend für die Planänderung hin zu einem Bürogebäude mit kleineren Ladeneinheiten im Erdgeschoss war jedoch, dass die IDEAL-Versicherung nicht auf der Entwicklung des Hotel- und Hostelkomplexes bestand. Planungsrechtlich wäre der Bau möglich gewesen, die Baugenehmigung wurde bereits 2014 erteilt. Der gute Wille des Investors hat Kreuzberg also vor einer weiteren Massenunterkunft bewahrt, nicht etwa funktionierende politische und planerische Regelungen.
30 Millionen Übernachtungen. Platz drei in Europa nach London und Paris. Das stetige Wachstum der Berliner Tourismusbranche und die damit verbundenen Probleme in den Kiezen sind unübersehbar. Die Touristifizierung Berlins auf Kosten der Kieze scheint unaufhaltsam zu sein. Dabei ist der lokale Protest oft nur ein Symptom von Entscheidungen, die weit in der Vergangenheit getroffen wurden und er kann meist nichts mehr an Entwicklungen verändern. Es braucht offensichtlich sowohl auf gesamtstädtischer als auch auf bezirklicher Ebene neue, durchgreifende und verbindliche Instrumente zur Regulierung des Tourismus. Nur so kann diese bedrohliche Entwicklung noch eingedämmt werden.
Lukas Meyerhoff studiert Stadt- und Regionalplanung (Master) an der TU Berlin und arbeitet als studentischer Mitarbeiter bei der S.T.E.R.N. Gesellschaft der behutsamen Stadterneuerung.
MieterEcho 444 / September 2024