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MieterEcho 429 / Januar 2023

Schon wieder Ärger wegen der Markthalle Neun

Kleingewerbetreibende wehren sich gegen Straßensperrung und zusätzliche Marktstände

Von Elisabeth Voß

Mit einem Brandbrief unter dem Betreff „Kreuzbergs Bezirksstadträtin Annika Gerold zerstört Kiezgewerbe“ forderte eine Initiative „Eisenbahnstraße lebt“ am 8. November 2022 vom Bezirksamt Kreuzberg-Friedrichshain, ihre Interessen zu schützen „und keinen regelmäßigen erweiterten Markt auf der Eisenbahnstraße mit Straßensperrung“ zu genehmigen. Unterschrieben ist er von 12 Gewerbetreibenden, die in der Kreuzberger Eisenbahnstraße zwischen Muskauer und Wrangelstraße ansässig sind.

Samstags von 10 bis 18 Uhr stellt die Markthalle Neun zwei Marktstände auf den Fußweg. Mit einem Aushang hatte das Bezirksamt darüber informiert, dass die Betreiber eine Erweiterung der Marktflächen beantragt hätten. Die Gewerbetreibenden fürchten Umsatzeinbußen, wenn zusätzliche Marktstände ihre Geschäfte verdecken, Lieferungen erschwert oder unmöglich werden, sowie Lärm und Müll zunehmen. Bei einer öffentlichen Unterschriftensammlung gegen die Ausweitung des Straßenmarktes haben weitere 31 Gewerbetreibende unterzeichnet. Es ist nicht der erste Streit um die Markthalle Neun, die mit ihrem hochpreisigen Sortiment zum Symbol einer Zweiklassengesellschaft in diesem Kiez geworden ist. Vielfache Proteste gab es beispielsweise gegen die Kündigung des Aldi-Supermarktes in der Halle (siehe MieterEcho 407/Januar 2020). 

Im Aushang des Bezirksamts stand, die bisher zwei Stände seien „im 2012 in Kraft getretenen Kaufvertrag für die Markthalle Neun festgeschrieben. Dieser Vertrag sieht auch eine Erweiterung der Flächen vor, sofern dies machbar ist." Damit wird suggeriert, das Bezirksamt sei an die Vereinbarungen im Kaufvertrag gebunden. Auch die Antwort von Stadträtin Annika Gerold (Grüne) auf eine Anfrage des Bezirksverordneten Ahmet Iyidirli (SPD) in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) vom 19. Oktober 2022 legte einen solchen Zusammenhang nahe: „Ein wöchentlicher Straßenmarkt auf der Eisenbahnstraße ist Bestandteil des Kaufvertrages der Käufer und Betreiber der Markthalle Neun mit dem Land Berlin, hier: Berliner Großmarkt GmbH. Bestandteil des Nutzungskonzeptes als Anlage zum Kaufvertrag ist zudem eine sukzessive Erweiterung dieser Flächen.“

Bezirksamt wirft Nebelkerzen

Als Iyidirli in der BVV am 30. November 2022 nach den kaufvertraglichen Formulierungen fragte, verwies Gerold auf Zitate aus dem Konzept, das Bestandteil des Kaufvertrages geworden sei. Iyidirli entgegnete, dass sich zu einem Straßenmarkt und dessen Ausdehnung nichts in dem Konzept fände, das auf der Website der Markthalle verlinkt ist.

Hinzu kommt, dass das Bezirksamt in keiner Weise an diesen Kaufvertrag gebunden ist, denn der wurde nicht mit dem Land Berlin abgeschlossen, sondern mit einer GmbH, die zwar dem Land gehört, aber in einer privatwirtschaftlichen Rechtsform verfasst ist. Schon der damalige Stadtrat Knut Mildner-Spindler (Die Linke) hatte in der BVV vom 14. August 2019 auf eine Einwohneranfrage geantwortet, der zivilrechtliche Kaufvertrag entfalte keine Rechtswirkung gegenüber Dritten und ausdrücklich betont, das Bezirksamt müsse „sämtliche Fragen (...) der Inhalte des Kaufvertrages außer Acht lassen, da ein Einfließen dieser Hintergründe in die Bescheidungen als sachfremde Erwägungen unzulässig wäre.“

Eine Sondergenehmigung zur Straßennutzung erfolgt nach dem Berliner Straßengesetz. Sie „soll in der Regel erteilt werden, wenn überwiegende öffentliche Interessen der Sondernutzung nicht entgegenstehen“ (§11). In der BVV erweckte Gerold den Eindruck, sie sei demnach gezwungen, die Sondernutzung zu genehmigen. Die Bezirksverordnete Gaby Gottwald (Die Linke) bezeichnete das als neue Nebelkerze, dabei gehe es darum, dass ein wirtschaftlich potenter Akteur seine Position ausbauen wolle, während viele kleine Gewerbetreibende dadurch Nachteile für sich befürchten. Dieser Konflikt müsse vernünftig moderiert werden.

Es scheint, als wolle das Bezirksamt um jeden Preis die Ausweitung des Straßenmarktes genehmigen und dabei auch auf unzulässige Erwägungen zurückgreifen, während es die Anliegen der Gewerbetreibenden mit immer neuen (Schein-)Argumenten abwehrt.  


MieterEcho 429 / Januar 2023