Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 436 / Oktober 2023

Marxismus als Werkzeug und Kompass

 

Interview mit Eveline Würger und Robert Krotzer

Seit zwei Jahren stellt die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) mit Elke Kahr die Bürgermeisterin der Stadt Graz sowie mit Manfred Eber den Finanzstadtrat und mit Robert Krotzer den Stadtrat für Gesundheit und Pflege. Im Amt der Bürgermeisterin ist Eveline Würger, ohne Mitglied der KPÖ zu sein, zuständig für das Referat für Wohnungsangelegenheiten.


MieterEcho: Bekanntermaßen steht die KPÖ in Graz seit Jahrzehnten für ein starkes Engagement in der Wohnungspolitik. Robert, kannst du uns etwas über diese Geschichte erzählen?

Robert Krotzer: Anfang der 90er Jahre, nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten in Osteuropa, hat die KPÖ einen neuen Weg beschritten unter dem Motto „Eine nützliche Partei für das tägliche Leben und die großen Ziele der Arbeiterbewegung". Es ging darum, mit unserer Politik im Alltag der Menschen zu beginnen. Nach dem Vorbild der Kommunistischen Partei Frankreichs in Lille haben wir 1992 den Mieternotruf sowie einen Rechtshilfefonds für Opfer der Wohnungsspekulation eingerichtet. Das war in der Zeit von Ernest Kaltenegger, der von 1981 bis 1998 für die KPÖ Grazer Gemeinderat und dann bis 2005 Wohnungsstadtrat war. Es heißt, er habe im Rahmen seiner Hausbesuche sogar Reparaturen in Wohnungen vorgenommen, vor allem aber trieb er die Sanierung von Altbauwohnungen mit Substandard voran, die daraufhin Innentoiletten und Bäder erhielten. Als die damalige Stadtregierung Gemeindewohnungen verkaufen wollte, initiierte die KPÖ 2003 eine Volksbefragung zu dem Thema. Über 90% stimmten 2004 gegen die Privatisierung, ein riesiger Erfolg für uns und vor allem für die Stadt. Seit den 2000er Jahren wurden weit mehr als 1.000 Gemeindewohnungen auf Initiative der KPÖ neu gebaut. In der Bundes-KPÖ war diese politische Neuorientierung damals nicht unumstritten, so dass es unter anderem hieß, lieber kein Mandat, als eines mit dieser Politik.

Das hat sich offensichtlich inzwischen geändert. Hat die Grazer KPÖ den Salzburger Genoss/innen den Weg gewiesen?

Robert Krotzer: Die Situation hat sich geändert, seit 2021 haben wir einen neuen Bundesvorstand und auch in verschiedenen Bundesländern gibt es erfreuliche Tendenzen, die in Graz gesammelten Erfahrungen anzunehmen. So wie in Salzburg, wo mit dem Spitzenkandidaten Kay Dankl ein großartiges Wahlergebnis erreicht wurde. Dankl kam von der Grünen Jugend, die 2017 aus der Grünen Partei ausgeschlossen wurde und sich der KPÖ annäherte, deshalb KPÖplus. Dankl hat uns in Graz besucht und natürlich haben wir die Salzburger bei ihrem diesjährigen Wahlkampf unterstützt.

In 2024 stehen die Nationalratswahlen in Österreich an, was rechnet sich die KPÖ dabei aus?

Robert Krotzer: Ja, es stehen einige Wahlen an, Gemeinderatswahlen in Salzburg und Innsbruck, Landtagswahlen in der Steiermark und auch die Nationalratswahlen. Wir machen selber keine Umfragen, aber es gibt welche, die uns bei den Nationalratswahlen sogar bei 4 bis 5% sehen. Wir hüten uns aber davor, allzu hohe Erwartungen zu wecken.

Es sind jetzt zwei Jahre seit dem Wahlerfolg der KPÖ in Graz vergangen, wie sieht die Zwischenbilanz aus?

Robert Krotzer: Unser Anspruch ist die soziale und ökologische Umgestaltung der Stadt, und wir können hier eine positive Bilanz ziehen, was uns auch so von der Bevölkerung rückgemeldet wird. Grundsätzlich ist die Stadtpolitik menschlicher geworden, Prestigeprojekte und das investorengetriebene Bauen sind gebremst worden. Hierzu war es nötig, Bauvorhaben, die von der Vorgängerregierung aus ÖVP und FPÖ geplant waren, rückgängig zu machen bzw. mit sozialen und ökologischen Auflagen zu belegen. Auf der anderen Seite wurden seit November 2021 350 Gemeindewohnungen fertiggestellt und weitere sind im Bau. Für künftige Gemeindebauten werden entsprechende Grundstücke gesichtet.

Eveline Würger: Es wurden auch die Richtlinien für die rund 5.000 Gemeindewohnungen und über 6.800 Übertragungswohnungen mit Zuweisungsrecht der Stadt Graz überarbeitet. Unter der Vorgängerregierung waren die Zugangsregelungen sehr restriktiv. Wir haben dafür gesorgt, dass es ausreicht, ein Jahr den Hauptwohnsitz in Graz zu haben oder hier zu arbeiten, um eine Gemeindewohnung zu beantragen, zuvor waren es fünf Jahre. Im vergangenen Jahr wurden die Müll- und Abwasserkosten sowie die Mieten in den Gemeindewohnungen trotz der allgemeinen Preissteigerungen eingefroren, und in diesem Jahr lediglich um 2% erhöht, während die bundesgesetzliche Anpassung seit dem 1. April 2023 8,6% vorsieht. 

Die KPÖ steht neben dem Engagement im Bereich der Gemeindewohnungen auch für andere sozialpolitische Akzente und strukturelle Veränderungen, welche Fortschritte gibt es in diesen Bereichen?

Robert Krotzer: Eine Liste der von uns realisierten Versprechen findet sich auf der Seite der KPÖ-Graz. Unter anderem wurde die von der FPÖ gestrichene Finanzierung von Stadtteilzentren und Nachbarschaftsläden wieder aufgenommen, um Nachhilfeunterricht, Deutschkurse und andere nachbarschaftliche Aktivitäten zu ermöglichen. In meinem Zuständigkeitsbereich Pflege und Gesundheit haben wir z.B. die Gehälter in den städtischen Pflegeheimen angehoben, und wir stellen mehr Mittel für Notfallstellen unter anderem für psychisch kranke oder suchterkrankte Menschen bereit. Nach dem Vorbild des Gesundheitskiosks in Hamburg bauen wir eine Gesundheitsdrehscheibe auf, wo seit September allen Menschen unabhängig von sprachlichen oder sozialen Hürden der Zugang ins Gesundheitswesen ermöglicht werden soll. Grundsätzlich wollen wir städtische Strukturen aufbauen und nicht mit Steuergeldern private Träger fördern.

Eveline Würger: Zu diesen städtischen Strukturen gehört auch das neu geschaffene Referat für Wohnungsangelegenheiten, für das ich zuständig bin. Zu meinem Arbeitsfeld gehört die Vermittlung von Wohnungen, eine Unterstützung, die grundsätzlich für alle offen steht, aber überwiegend von Menschen mit niedrigem Einkommen genutzt wird. Wir prüfen zunächst, ob die Zugangsbedingungen für eine Gemeindewohnung bestehen, vermitteln aber auch in den privaten Wohnungssektor. Im letzten Jahr ist es so gelungen, 500 Leute in Wohnungen zu bringen. Um Obdachlosigkeit zu verhindern, verfügt die Stadt über Frauen- und Männerwohnheime. Während der Aufenthaltszeit von ein bis eineinhalb Jahren ist es den dort Untergebrachten möglich, Geld anzusparen, um dann eine eigene Wohnung zu beziehen. 

Welche Rolle spielt dabei der Kautionsfonds, der von der Stadt Graz eingerichtet wurde?

Eveline Würger: Der Kautionsfonds wurde 2010 von Elke Kahr eingeführt und der Personenkreis zuletzt auf subsidiär Schutzberechtigte ausgeweitet. Mit diesem Fonds werden zahlreiche Familien entlastet, die sonst keine Möglichkeit hätten, an eine Wohnung auf dem privaten Wohnungsmarkt zu kommen.

Die Stadt sei menschlicher geworden, sagt Robert, spiegelt sich das in den Ämtern wider?

Eveline Würger: Die Beschäftigten in den Ämtern, vor allem im Sozialamt, sollen empathisch auf die Menschen zugehen. Dafür bieten wir Seminare und Supervisionen an. In dem Bereich könnte mehr passieren. Es ist wichtig, den Menschen zuzuhören und sich dafür Zeit zu nehmen. Meine Beratungen dauern mindestens eine Stunde, können aber auch zwei bis drei Stunden dauern.

Eine letzte Frage, mit der Bitte um eine kurze Antwort: Bürgerliche Klatschblätter schreiben, die KPÖ wäre eine „Service-Partei, also ohne Kommunismus“. Wie kommunistisch ist die Grazer KPÖ?

Robert Krotzer: Wenn wir uns Gehälter auf Facharbeiter/innenniveau auszahlen, geht es neben der Bildung des Sozialfonds primär darum, ein Prinzip der Pariser Kommune zu übernehmen, also keine Privilegien für Mandatsträger/innen zuzulassen. Und auch die Wahlergebnisse in den Stimmbezirken sprechen eine deutliche Sprache. Während wir in den eher bürgerlichen Vierteln durchaus gute Ergebnisse erzielen konnten, liegt der Stimmenanteil in den Arbeiter/innenvierteln signifikant höher, bei teilweise über 40%. Wir werden also als politische Kraft mit Klassenorientierung wahrgenommen und der Marxismus dient dabei als Werkzeug und ist weiterhin unser Kompass. 

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führten Paula Maether und Hermann Werle.

 

Robert Krotzer ist Stadtrat für Gesundheit, Pflege, Integration und Beschäftigung der Stadt Graz.    
Eveline Würger ist Referentin für Wohnungsangelegenheiten der Stadt Graz.


MieterEcho 436 / Oktober 2023

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