Kommunisten auf der Überholspur
Politischer Fortschritt ist mit engagierter Wohnungspolitik auch heute noch möglich – Österreich blickt dabei auf eine lange Tradition
Von Hermann Werle
Das Ergebnis war so spektakulär, dass sogar die Washington Post darüber berichtete. Vor zwei Jahren, im September 2021, gewann die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) die Wahlen in Graz und stellt seither mit Elke Kahr die Bürgermeisterin. Doch das war nicht die letzte Überraschung aus dem Alpenland. Auch im konservativen Salzburg gelang der KPÖ bei den Landtagswahlen im April 2023 ein nicht zu erwartender Wahlerfolg. Gemein ist den Kommunist/innen in Graz und Salzburg, dass sie die Wohnungsfrage ins Zentrum ihres Engagements stellen und dass sie mit konsequent sozial ausgerichteter Politik den Aufstieg der FPÖ zu bremsen vermochten.
Vor hundert Jahren waren es nicht die Kommunist/innen, sondern die austromarxistische Sozialdemokratie, die es vorgemacht hat. Im September 1923 beschloss der Wiener Gemeinderat das erste Wohnungsbauprogramm mit dem Ziel, 25.000 Wohnungen für die proletarische Bevölkerung zu errichten. Bereits 1926 wurde dieses Ziel erreicht und ein Folgeprogramm für weitere 30.000 Wohnungen aufgelegt. Bis die Austrofaschisten das „Rote Wien“ 1934 zerschlugen, waren knapp 64.000 Gemeindewohnungen entstanden, die bis heute ihre Wirkung für leistbaren Wohnraum entfalten. Auch wenn sich die wenig ambitionierte Wiener Sozialdemokratie nicht mehr mit jener der 1920er Jahre vergleichen lässt, hat sie sich doch bis heute nicht dazu verleiten lassen, das kostbare Erbe der privatwirtschaftlichen Profitlogik auszuliefern, ganz im Gegensatz zu den umfangreichen Wohnungsprivatisierungen etwa in Berlin. Voraussetzung der historischen Errungenschaften war die 1922 errungene Unabhängigkeit Wiens als selbständiges Bundesland und damit die Möglichkeit einer eigenen Steuergesetzgebung. Die eingeführten Wohnbau- und Luxussteuern bildeten die Grundlage für den Bau von 382 Gemeindebauten für über 250.000 Menschen.
Alternative zum Wirtshausbesuch
Bis heute beeindruckend sind die sogenannten „Superblöcke“ mit bis zu 1.500 Wohnungen oder die an Paläste erinnernden „Volkswohnpaläste“. Zu ersteren gehört der ikonische Karl-Marx-Hof, zu den Palästen zählt der nach dem ersten sozialdemokratischen Bürgermeister benannte Reumannhof. Wie auch der Goethehof gehörten diese Wohnanlagen zu den Hochburgen des Arbeiter/innen-Widerstands gegen die Austrofaschisten im Februar 1934. Weniger bekannt als der Gemeindewohnungsbau, aber deshalb nicht weniger beeindruckend, ist die Vielzahl von Arbeiter- und Freiluftbädern, die parallel zu den Wohnblöcken entstanden. Hervorzuheben ist das bis heute betriebene Amalienbad im proletarischen 10. Bezirk „Favoriten“. Zwischen 1923 und 1926 errichtet, verfügte das aufwendig mit Jugendstilelementen und Mosaiken gestaltete Bad über einen Sprungturm, Kinderbecken sowie Dampf-, Heißluft- und medizinische Bäder. Wie auf der Internetseite „dasrotewien.at“ beschrieben, war dieses Bad „europaweit richtungsweisend und sollte der Arbeiterschaft die Möglichkeit zu regelmäßiger Körperpflege und sportlicher Betätigung geben – Schwimmen als Alternative zu Wirtshausbesuch und Alkoholkonsum.“
Für eine Bäder- und Wohnungsbaupolitik nach dem Vorbild Wiens fehlen in Graz und Salzburg die steuerlichen Hoheitsrechte, womit der finanzielle Spielraum begrenzt ist. Dass dieser Umstand aber nicht bedeutet, keinen Einfluss auf die sozialen Verhältnisse und das Wohnungsmarktgeschehen nehmen zu können, beweisen die Grazer Kommunist/innen, die sich seit den 90er Jahren dem Thema angenommen haben. Dieses Engagement verbindet sich zunächst mit der Person Ernest Kaltenegger und später mit Elke Kahr.
Zu den Markenzeichen der KPÖ in der zweitgrößten Stadt Österreichs gehört die Nähe zu den Problemen des Alltags der Menschen, die 1992 zur Einrichtung des Mieternotrufs führten. Hinzu kam ein Sozialfonds, der sich aus den Bezügen der Mandatsträger/innen speist. Sowohl die Bürgermeisterin Elke Kahr als auch Stadträte wie Robert Krotzer behalten von ihren Bezügen von jeweils über 11.000 Euro lediglich ein durchschnittliches Facharbeiter-Nettoeinkommen von rund 2.000 Euro. Der Rest fließt in den Fonds und dient der unmittelbaren Unterstützung von Menschen in Notlagen oder ermöglicht die umfangreichen Beratungsangebote. Über die letzten 15 Jahre sind auf diese Weise schon über 1 Million Euro umverteilt worden.
Ähnlich agiert die KPÖ mit den Fördergeldern, die der Fraktion zukommen. Was nicht unbedingt für die Fraktions- und Öffentlichkeitsarbeit benötigt wird, geht an Familien in Not, Vereine, Initiativen und Schulen, auch das summiert sich auf über eine Million Euro seit 2014. Die Glaubwürdigkeit der KPÖ in Graz steht somit außer Frage, zumal sie auch in Regierungsverantwortung in einer Koalition mit den Grünen und der SPÖ positionsfest an ihren klima-, wohnungs- und sozialpolitischen Zielen festhält. Unter anderem steht das Jahresticket für den Öffentlichen Nahverkehr für 50 Euro jetzt noch mehr Menschen zur Verfügung und die finanzielle Ausstattung der Stadtteilarbeit wurde erhöht. Der Kreis der Zugangsberechtigten für die Gemeindewohnungen wurde erweitert, die Mietpreis- und Betriebskostenerhöhungen in den Gemeindewohnungen gebremst, bzw. eingefroren und in der aktuellen Legislaturperiode konnten schon 301 neue Gemeindewohnungen von 500 geplanten fertig gestellt werden.
Fortschritte auch in Salzburg
Für die sozial-ökologische Umgestaltung der mit 300.000 Menschen bevölkerten Stadt wird der Ausbau von Fahrradwegen und Tramlinien massiv vorangetrieben, wie an vielen Baustellen in der Stadt sichtbar wird. Es geht uns nicht um „Leuchtturmprojekte“ und „um den Showeffekt“, sagt Elke Kahr, sondern „um den langfristigen Ausbau der sozialen Infrastruktur unserer Stadt.“
In Salzburg ticken die Uhren zwar noch etwas langsamer, aber bei den diesjährigen Landtagswahlen gelang es der KPÖ, von 0,4% im Jahr 2018 auf 11,7% im April 2023 zuzulegen. In der Stadt Salzburg war der Erfolg noch deutlicher, hier gab es einen Sprung von 1,2 auf 21,5%. Der politischen Linie der Grazer Genoss/innen folgend, verdienen auch die vier Salzburger Landtagsabgeordneten der KPÖ nur einen Durchschnittslohn. „Abgehobene Gehälter führen zu abgehobener Politik“, wie es der Fraktionsvorsitzende Kai-Michael Dankl ausdrückt. Der Rest der Gehälter fließt auch hier in einen Sozialfonds. Daraus resultieren annähernd 80.000 Euro pro Jahr, mit denen Menschen in Not geholfen wird.
Die Unterstützung reicht vom Bereitstellen von Informationen, der Ausfüllhilfe von Formularen bis zu finanzieller Unterstützung bei Mietrückständen oder offenen Stromrechnungen. Eingerichtet wurde zudem ein „Rotes Bürgertelefon“ für das gesamte Bundesland Salzburg. Dieses wird wohl selten stillstehen angesichts der Inflation, steigenden Mieten und Betriebskosten und der damit einhergehenden sozialen Lasten. In gleicher Weise wie hierzulande leiden die Menschen in Österreich unter der massiven Inflation. In den 15 Monaten bis zum August 2023 konnten die Mieten viermal erhöht werden, was auf das Indexmietensystem zurückzuführen ist. Und wie in Deutschland, ist es auch in Österreich an erster Stelle die Bundespolitik, die sich um die sozialen Verwerfungen nicht schert, und mit Placebomittelchen eine neoliberal-abgehobene Politik in Reinform betreibt.
MieterEcho 436 / Oktober 2023