Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 436 / Oktober 2023

Kapitalrendite bestimmt Verdrängungsgeschehen

Umwandlung und Eigenbedarfskündigungen gefährden die Mieterstadt Berlin

Von Andrej Holm

Hausgemeinschaften und auch Mietrechtsanwält/innen berichten immer häufiger von Eigenbedarfskündigungen. Im Mietrecht bietet ein angekündigter Eigenbedarf der Eigentümer/innen einen der wenigen Kündigungsgründe überhaupt. Doch Daten zur Zahl des selbstgenutzten Eigentums deuten darauf hin, dass viele Eigenbedarfskündigungen gar nicht mit der Absicht ausgesprochen werden, die Wohnung selbst zu nutzen.    


Der Verkauf von Eigentumswohnungen begleitet den Berliner Wohnungsmarkt seit drei Dekaden. Allein im Zeitraum zwischen 1992 und 2021 dokumentierte der Gutachterausschuss für Immobilien insgesamt fast 540.000 Verkaufsfälle. Rein rechnerisch entspricht das mehr als einem Viertel des gesamten Wohnungsbestandes in der Stadt. Im selben Zeitraum wurden fast 340.000 Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt, sodass sie im Verkaufsfall zum Gegenstand von Eigenbedarfskündigungen werden können. Die Daten geben keinen Aufschluss darüber, wie viele der umgewandelten Wohnungen bereits verkauft wurden. Das intensive Verkaufsgeschehen der vergangenen Jahre legt jedoch nahe, dass ein Großteil der umgewandelten Wohnungen auch verkauft wird. Mit Ausnahme der zweiten Hälfte der 1990er Jahre lag die Zahl der Verkaufsfälle immer über der Zahl der Umwandlungen. Auch wenn der Erwerb von Eigentumswohnungen auch im Neubau stattfinden kann und in den Summen der Verkaufsfälle Mehrfachverkäufe enthalten sind, stellen Umwandlungen auf Vorrat – also ohne anschließenden Verkauf – eher die Ausnahme als den Regelfall dar.

Für den Zeitraum ab dem Jahr 2000 liegen auch Daten zur Anzahl der Haushalte vor, die im selbstgenutzten Eigentum wohnen. Diese Zahl ist von 192.000 im Jahr 2000 auf fast 320.000 im Jahr 2021 um über 125.000 Wohnungen (+ 65%) gestiegen. Die Zahl der Mietwohnungen ist im selben Zeitraum lediglich um knapp 10.000 (+ 0,6%) angewachsen. Berlin bleibt mit über 1,6 Millionen Mietwohnungen auch weiterhin eine Stadt des Mietwohnens, doch der Anteil der selbstgenutzten Eigentumswohnungen hat sich in den letzten 20 Jahren von gerade mal 10% auf 16% erhöht.

Über 200.000 Haushalten droht Kündigung 

Die Entwicklung des selbstgenutzten Eigentums zeigt dabei deutlich, dass nicht jede verkaufte Eigentumswohnung durch die Erwerber/innen auch tatsächlich selbst genutzt wird. Trotz des umfangreichen Verkaufsgeschehens in den vergangenen zwei Dekaden ist die Zahl der selbstnutzenden Eigentümer/innen um lediglich 126.000 gestiegen. Rein rechnerisch entspricht das einem Anteil von 29%. Selbst wenn Mehrfachverkäufe von Wohnungen berücksichtigt werden, zeigen die Daten, dass ein erheblicher Anteil von Wohnungen gekauft wird, um sie zunächst weiter zu vermieten. Auch unter der Annahme, dass alle zusätzlichen Selbstnutzer/innen seit dem Jahr 2000 in vorher umgewandelten Wohnungen leben, bleibt eine Lücke von mindestens 125.000 umgewandelten Mietwohnungen, die noch nicht als Eigenbedarf genutzt werden. Zuzüglich der nicht aktivierten Umwandlungen aus den 1990er Jahren dürfte über mindestens 200.000 Mieter/innen das Damoklesschwert einer möglichen Eigenbedarfskündigung schweben.

Der Gesamtumsatz der verkauften Eigentumswohnungen beträgt in der Summe seit 1992 über 90 Milliarden Euro. Der mittlere Preis der dokumentierten Verkaufsfälle lag bei etwa 175.000 Euro je Wohnung bzw. 2.400 Euro/qm.

Ein Blick auf den Zeitverlauf zeigt eine enorme Preiseskalation in der letzten Dekade. Bis zum Jahr 2011 lagen die Kaufpreise für Eigentumswohnungen im Durchschnitt bei 115.000 Euro je Verkaufsfall und hatten einen durchschnittlichen Quadratmeterpreis von etwa 1.500 Euro. In den Jahren 2012 bis 2016 stieg der durchschnittliche Preis auf über 180.000 Euro je Verkaufsfall und 3.565 Euro/qm. Im Zeitraum von 2017 bis 2021 kosteten die verkauften Eigentumswohnungen im Durchschnitt über 300.000 Euro und die Quadratmeterpreise waren im Mittel auf 4.595 Euro/qm gestiegen. Für das Jahr 2022 ergeben die Daten aus Umsatz und Verkaufsfällen einen durchschnittlichen Verkaufspreis von knapp 390.000 Euro je Wohnung, das entspricht mehr als 5.000 Euro/qm.

Während die hohen Umwandlungszahlen Ende der 1990er Jahre als Effekt einer politisch unterstützen Eigentumsoffensive zu erklären sind, verweisen die Daten der letzten Jahre auf einen ökonomischen Zusammenhang: je deutlicher der Preisanstieg von Eigentumswohnungen, desto intensiver das Umwandlungsgeschehen.

Ob der Kauf einer Eigentumswohnung als Kapitalanlage dient, auf eine Selbstnutzung zielt oder auf einen Weiterverkauf zu höheren Preisen, hängt in erster Linie von den zu erwartenden Erträgen aus der Vermietung ab. Vor allem, wenn hohe Mieteinnahmen eine hohe Verzinsung des eingesetzten Kapitals ermöglichen, hat die Vermietung der Wohnungen eine höhere ökonomische Attraktivität als die Selbstnutzung oder der Verkauf. Aus der ökonomischen Perspektive kann die Mietzahlung als Verzinsung des in der Immobilie gebundenen Kapitals angesehen werden. In historischen Beschreibungen der Wohnsituation ist deshalb oft von „Zinshäusern“ die Rede, wenn über den Mietwohnsektor geschrieben wird. Die rechnerische Mietverzinsung als Relation zwischen den Immobilienwerten und den Mietpreisen kann dabei zeigen, ob und wie stark sich das Geschäft mit der Miete lohnt. 

Im Jahr 2000 lag der Verkaufswert für Eigentumswohnungen in Berlin bei durchschnittlich 1.432 Euro/qm – die durchschnittliche Bestandsmiete wurde mit einer Nettokaltmiete von 4,28 Euro/qm angegeben. Da aus diesen Nettokaltmieten auch verschiedene Ausgaben (Verwaltungspauschale, Instandhaltungsrücklage, Mietausfallwagnis etc.) getragen werden müssen, werden 1,83 Euro/qm als Bewirtschaftungskosten abgezogen, sodass zur Berechnung der Mietverzinsung monatliche Einnahmen von 2,46 Euro/qm  berücksichtigt werden. Der Jahreseinnahme pro qm beträgt im vorliegenden Beispiel 29,56 Euro/qm pro Jahr. Die jährliche Verzinsung des Kaufpreises durch die Bestandsmiete lag demnach bei 2,06%. Eine Verdrängung der Altmieter/innen hätte sich also nicht gelohnt, da die mittleren Angebotsmieten mit 4,09 Euro/qm knapp unter den Bestandsmieten lagen. Die rechnerische Mietverzinsung bei einer Neuvermietung lag damals bei 1,90% pro Jahr.

Weniger Kapitalrendite bei Vermietung 

Doch schon im Jahr 2005 lagen die Neuvermietungsmieten mit 5,00 Euro/qm über den mittleren Bestandsmieten von 4,40 Euro/qm. Unter Berücksichtigung der Bewirtschaftungskosten (2005: 1,96 Euro/qm) lag die Mietverzinsung bei einem durchschnittlichen Verkaufspreis von 1.270 Euro/qm bei 2,30%  (Bestandsmieten) und 2,87% (Neuvermietung) pro Jahr. Den größeren Ertrag hätte es in diesen Jahren also bei einer Neuvermietung gegeben.

Auch im Jahr 2010 zeigt ein Vergleich von Kaufpreisen und Mieten ein ähnliches Bild. Mit Neuvermietungsmieten (6,79 Euro/qm) deutlich über den Bestandsmieten (5,02 Euro/qm) gingen bei den durchschnittlichen Kaufpreisen von 1.765 Euro/qm im Falle einer Neuvermietung eine höhere Mietverzinsung (3,17% pro Jahr) als bei der Fortsetzung des Bestandsmietverhältnisses (1,97% pro Jahr) einher. Die Neuvermietungsverzinsung erreichte im Jahr 2011 mit 3,22% einen Höhepunkt. 

Weil ab diesem Zeitpunkt die Kaufpreise deutlich schneller und stärker stiegen als die Mieten, verschlechterte sich auch die Mietverzinsung. Im Jahr 2015 lagen die Neuvermietungsmieten mit 8,74 Euro/qm deutlich über den Bestandsmieten (5,84 Euro/qm). Abzüglich der geschätzten Bewirtschaftungskosten (2015: 2,28 Euro/qm) betrug die jährliche Mietverzinsung nur noch 2,57% im Falle einer Neuvermietung und lediglich 1,42% bei der Beibehaltung der bestehenden Mietverhältnisse. 

Durch die Eskalation der Kaufpreise auf 5.416 Euro/qm im Jahr 2021 hat sich trotz ebenfalls steigender Mieten die Mietverzinsung weiter verschlechtert. Bei einer mittleren Neuvermietungsmiete von 10,55 Euro/qm betrug die Mietverzinsung (nach Abzug von 2,50 Euro/qm Bewirtschaftungskosten) nur noch 1,78% pro Jahr. Die Verzinsung der durchschnittlichen Bestandsmiete (6,79 Euro/qm) lag mit 0,95% sogar noch deutlich darunter. Aus einer rein wirtschaftlichen Perspektive lohnte sich im Jahr 2021 eine Vermietung einer Wohnung deutlich weniger als in den Vorjahren und steigerte so die ökonomischen Anreize für den Verkauf zu sehr hohen Preisen oder auch eine Selbstnutzung. 

Deutlich wird im Zeitverlauf, dass sich die ökonomischen Bedingungen für das Geschäft mit den Immobilien verändern und damit Einfluss auf die Entscheidungen von Eigentümer/innen nehmen, ob Wohnungen eher vermietet, selbst genutzt oder weiterverkauft werden sollen. Besonders in den Jahren, in denen die Kaufpreisentwicklung hinter dem schnellen Anstieg der Neuvermietungsmieten zurückblieb, waren Mieterwechsel mit dem Ziel der Neuvermietung der schnellste Weg zur Steigerung des Gewinns. In den letzten Jahren sind die Kaufpreise aber so stark gestiegen, dass selbst eine Neuvermietung nur einen beschränkten Ertrag verspricht. Die beste Option für ökonomisch rationale Eigentümer/innen wäre es demnach, die Wohnungen zu noch höheren Preisen weiterzuverkaufen oder selbst in die Wohnung einzuziehen.     

Kündigungsschutz vor Eigenbedarf notwendig

Durchgehend – und das ist die dramatische Botschaft der Umwandlungs- und Verkaufsdaten – stehen aus der Perspektive derjenigen, die Geld mit Wohnungen verdienen wollen, die Bestandsmieter/innen mit ihren oft günstigen Mieten einem höheren Profit im Wege. Im Falle einer Aufteilung und Umwandlung in Einzeleigentum werden die Eigentümer/innen fast immer Druck auf die Bestandsmieter/innen ausüben, um entweder eine Neuvermietung zu höheren Kosten oder den Verkauf als Eigentumswohnung durchzusetzen. Die steigende Zahl der Eigenbedarfskündigungen ist aus dieser Perspektive weniger die Folge von veränderten Wohnpräferenzen solventer Immobilienbesitzer/innen, sondern vor allem ein Instrument der Verdrängung zur Sicherung höherer Erträge. 

Die Berliner Politik ist mal wieder zu spät dran. 2021 wurde eine stadtweite Beschränkung von Umwandlungen durch die Umwandlungsverordnung nach § 250 des Baugesetzbuchs im Windschatten des Baulandmobilisierungsgesetzes beschlossen. Demnach stehen Umwandlungen in Einzeleigentum unter einem Genehmigungsvorbehalt und werden nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Als Ausnahmen zählen die Zustimmung von zwei Dritteln der Mieterschaft, die Teilung des Nachlasses und ein Eigenbedarf innerhalb der Familie. Ganz unabhängig von der noch nicht einschätzbaren Wirksamkeit der Verordnung kommt die Regelung für die mindestens 200.000 Mieter/innen in bereits umgewandelten Wohnungen zu spät. Helfen würde hier nicht eine stadtweite Umwandlungsverordnung, sondern ein umfassender Kündigungsschutz, der auch Eigenbedarfsklagen ausschließt.


MieterEcho 436 / Oktober 2023

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