Editorial
Editorial MieterEcho
Liebe Leserinnen und Leser,
Frau Giffey, von der sich vieles sagen lässt, nur nicht, dass sie irgend einer wie auch immer gearteten Linken zuzurechnen ist, hat ihren politischen Wunschpartner gefunden: den konservativen CDUler Kai Wegner. "Es wächst zusammen, was zusammen gehört", soll Willy Brandt mal gesagt haben. In Hinsicht auf Frau Giffey und Herrn Wegner hat er prophetische Weitsicht bewiesen.
Für das soziale Berlin und besonders für die Berliner Mitte bedeutet die Entscheidung der SPD-Mitglieder für die Koalition mit der CDU allerdings nichts Gutes. Es scheint, als seien die Weichen für eine weitere Kommerzialisierung der Historischen Mitte gestellt. In ihrem Wahlprogramm hatte die CDU verkündet: „Wir werden einen städtebaulichen Ideenwettbewerb zur künftigen Gestaltung der namenlosen Stadtbrache zwischen Alexanderplatz und Humboldtforum ausloben. Es bleibt unser Ziel, an diesem Ort die historische Stadtstruktur der Berliner Mitte wieder sichtbar zu machen und eine lebendige Nutzungsmischung zu etablieren.“
Das, was die CDU eine „namenlose Stadtbrache“ nennt, ist das Rathausforum, das wie eine kleinere Version des New Yorker Central Park wirkt. 2015 hatte ein umfangreiches Partizipationsverfahren stattgefunden, das zu zehn „Bürgerleitlinien für die Berliner Mitte“ führte. Die klare Mehrheit der Beteiligten wünschte sich demnach einen nicht kommerziellen, grüngeprägten, öffentlichen Freiraum und votierte gegen eine weitere Bebauung. Berlins Mitte soll ein Ort für alle sein, eine „grüne Oase“, ein Hort für Kultur und Kreativität.
Eine sich gerne „Zivilgesellschaft“ nennende Szene mit starkem Einfluss in den Parteien versucht dagegen unverdrossen und mit großem Engagement, das weitere Vordringen der Immobilienwirtschaft mit ihrer „Portfolioarchitektur“ zu betreiben. Das Vorhaben tarnt sich gern als Sorge um eine Vergangenheit, die als preußisch-klassizistische Idylle dargestellt wird und in krassem Widerspruch zur geschichtlichen Wirklichkeit steht.
Die Schlossattrappe schaffte bereits einen Kontext für die Vermarktung von Immobilien mit der Bezeichnung „Königs-Quartier“, „Kronprinzengärten“ usw. und der Freiraum zwischen Fernsehturm und Marx-Engels-Forum erscheint als ideales Bauland für das weitere Vordringen dieser Art „lebendiger Nutzungsmischung“.
Der Architekt Bruno Flierl hatte bezogen auf die Auseinandersetzung um die Gestaltung des Innenstadtraumes zwischen Alexanderplatz und Spree – und explizit auf die Errichtung des Disney-Schlosses, deren entschiedener Gegner er war – gesagt: „Nicht Rückbau in die Vergangenheit vor der DDR, sondern Weiterbau in die Zukunft nach der DDR sollte das Ziel sein.“
Der Entwurf der Kölner Landschaftsarchitekten RMP Stephan Lenzen für die Gestaltung des Rathausforums könnte in diesem Sinne sein.
Ihr MieterEcho
MieterEcho 432 / Mai 2023