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MieterEcho 432 / Mai 2023

„Das Beteiligungsverfahren war und ist eine Farce“

 

Interview mit Johannes Zerger, Mitbegründer der Bürgerinitiative „Gasometer retten!“ in Schöneberg   

MieterEcho: Wie kam es zu Ihrem Engagement gegen die Gasometer-Bebaung?

Johannes Zerger: Ich lebe seit 2003 auf der Roten Insel und fand den Gasometer von Anfang an ein ganz besonders eindrucksvolles Industriedenkmal, das mich mit seiner filigranen Schönheit fasziniert hat. Die Bebauung des EUREF-Geländes habe ich zunächst eher aus der Distanz verfolgt. Selbst aktiv geworden bin ich erst im Sommer 2020, als die Pläne des Investors Reinhard Müller und seiner EUREF AG bekannt wurden, den Gasometer höher zu bebauen, als im Bebauungsplanentwurf aus dem Jahr 2010 vom Denkmalschutz zugestanden worden war. Daraufhin habe ich gemeinsam mit anderen Anwohner/innen der Roten Insel die Bürgerinitiative „Gasometer retten!“ gegründet, die sich gegen diese Pläne gewendet hat.

Was denkt jemand, der sich in der Bürgerinitiative „Gasometer retten!“ für den Denkmalschutz und gegen den Ausbau stark gemacht hat, wenn er heute auf den Gasometer blickt?

Es ist schon erschreckend, wie dieses einzigartige Industriedenkmal durch den Bau eines profanen Büroturms in seinem Inneren zerstört worden ist. Im Moment wird ein Teil des Gasometers ja noch durch ein Baugerüst und Planen verdeckt. Deutlich wird aber jetzt schon, dass es noch schlimmer gekommen ist, als befürchtet, da bei der Bebauung keinerlei Rücksicht auf die Erkennbarkeit der Stahlkonstruktion des Gasometers genommen wurde. So orientieren sich die Zwischengeschosse des Büroturms nicht an den strukturgebenden Stahlringen. Und durch die Kleinteiligkeit und Farbgebung der Glasfassade hebt sich das Gasometergerüst nicht mehr von dem im Inneren gebauten Büroturm ab. Damit ist sowohl aus der Nähe als auch aus der Ferne die bisher weithin sichtbare stadtbildprägende Wirkung des denkmalgeschützten Gasometers verloren gegangen. Übrig geblieben ist nur noch eine dunkle Tonne. 

Wie bewerten Sie im Nachhinein die „öffentliche Beteiligung“, die nach Ansicht des Bezirksamts rechtmäßig verlief?

Das Beteiligungsverfahren war und ist eine Farce. Das Bezirksamt hat sich vom Investor über den Tisch ziehen lassen. Es hat seine wirtschaftlichen Interessen ungeprüft übernommen und zum bezirklichen Interesse erklärt. Alle Einwendungen wurden mit vorgefertigten Antworten abgebügelt. Es war zu keinem Zeitpunkt erkennbar, dass eine ernsthafte Abwägung der unterschiedlichen Interessen stattgefunden hat. Der Denkmalschutz und die Belange der Anwohner/innen wurden einfach „weggewogen“. Dass im Berliner Denkmalschutzgesetz festgelegt ist, dass ein Denkmal in seinem Erscheinungsbild nicht wesentlich beeinträchtigt werden darf, wurde dabei völlig ignoriert.

Welche unterstützenden Stimmen gab es an Ihrer Seite?

Neben der großen Mehrheit der Anwohner/innen und rund 11.000 Unterstützer/innen unserer Online-Petition haben sich so gut wie alle relevanten Institutionen des Denkmalschutzes in Berlin und Deutschland bis hin zur europäischen Ebene gegen eine höhere Bebauung des Gasometers ausgesprochen. Das Landesdenkmalamt hat auch lange Widerstand gegen die geplante Bebauungshöhe geleistet und wurde schließlich massiv unter Druck gesetzt, einzulenken. Ich kann nur Vermutungen anstellen, aber soweit ich es einschätzen kann, haben SPD und Grüne im Zusammenhang mit den Koalitionsverhandlungen für Rot-Grün-Rot auf Landesebene im Herbst 2021 hier stark darauf gedrungen, dass der Widerstand gegen die Gasometer-Bebauung aufgegeben wird.

Der Naturschutzverband BUND hat Klage gegen den Ausbau des Gasometers eingelegt. Mit welcher Begründung?

Der Berliner Landesverband des BUND hat vor einigen Jahren den Denkmalschutz als Vereinszweck in seine Satzung aufgenommen und hatte schon im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens eine ausführliche kritische Stellungnahme abgegeben. Vor diesem Hintergrund hat er gegen die Erteilung der Baugenehmigung Widerspruch eingelegt. Nachdem der Widerspruch erwartungsgemäß abgelehnt wurde, hat der BUND am 9. Dezember 2022 beim Verwaltungsgericht Klage gegen die Baugenehmigung eingereicht.

Neben der mangelnden verkehrlichen Erschließung und fehlender Prüfungen zur ausreichenden Belichtung des Gebäudes wird die Klage vor allem mit den erheblichen Abwägungsfehlern begründet, da die Belange des Denkmalschutzes bei der Entscheidung zur Planreife und dem späteren Beschluss des Bebauungsplans nicht hinreichend berücksichtigt wurden. Dabei wird darauf hingewiesen, dass ein öffentliches Interesse an der Höherbebauung nicht nachgewiesen wurde, weil sich der Bezirk allein auf die Behauptungen des Investors stützt, dass diese zum Erhalt des Denkmals wirtschaftlich notwendig sei, ohne hierzu eigene Überprüfungen durchgeführt zu haben.

Wie ist der aktuelle Stand des Verfahrens?

Die Mühlen der Justiz mahlen bekanntlich ja langsam. Zunächst hat der Bezirk nun Gelegenheit, auf die Klage seine Erwiderung einzureichen. Bis zu einer Entscheidung kann es also noch einige Zeit dauern.

Sollte die Klage erfolgreich sein, was bedeutet das für das Bauprojekt, das bereits fortgeschritten ist?

Der Investor setzt natürlich auch ein Stück weit darauf, mit der schnellen Fertigstellung seines Büroturms Fakten zu schaffen. Aber wenn das Gericht feststellen sollte, dass die Baugenehmigung zu Unrecht erteilt wurde, müsste das Bürogebäude auf die vorher vorgesehene Bebauungshöhe zurückgebaut werden.

Inwieweit ist der Gasometer für Sie ein Mahnmal geworden?

Das Durchpeitschen der Gasometer-Bebauung zeigt einmal mehr, wie Beteiligungsverfahren ausgehebelt werden können und einseitig mächtige Wirtschaftsinteressen über die Belange der Anwohner/innen und des Gemeinwohls in Form des Denkmalschutzes gestellt werden. Besonders bedauerlich ist die Kehrtwende der Grünen im Bezirk Tempelhof-Schöneberg, die sich in ihrem Wahlprogramm für die Legislaturperiode 2017-2021 noch sehr kritisch zu den Plänen gestellt hatten. Als sie dann mit Jörn Oltmann den Bezirksstadtrat für Bauen und Stadtentwicklung gestellt haben, der kurz davor noch zu den Hauptkritikern gehört hatte, war davon plötzlich nichts mehr zu spüren. Dass die EUREF AG das Ganze unter dem Deckmantel des Klimaschutzes verkauft, halte ich übrigens für einen ziemlichen Etikettenschwindel.

Welche Stadtentwicklung wünschen Sie für sich und Ihre Nachbarn?

Die großen Herausforderungen der Stadtentwicklung sind sicherlich der Erhalt und die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, Umsetzung des Klimaschutzes, einschließlich Maßnahmen gegen den Klimawandel wie das Schwammstadt-Konzept, und die Bewahrung lebenswerter Innenstädte mit einem guten sozialen Miteinander. In Bezug auf die Stadtentwicklung wünsche ich mir nicht nur für so einen tollen Kiez wie die Rote Insel, dass Beteiligungsverfahren mit der nötigen Ernsthaftigkeit durchgeführt und nicht nur einseitig die Interessen eines gut vernetzten und einflussreichen Investors durchgedrückt werden, während die Belange der Anwohner/innen auf der Strecke bleiben.

Mit Sorge blicke ich dabei auch auf die neuerlichen Überlegungen zur Bebauung des Tempelhofer Feldes. Auf die Tatsache, dass die gesamtstädtische Wohnungsproblematik durch eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes nicht gelöst und die Mietpreisentwicklung in der Umgebung dadurch noch weiter angeheizt würde, wurde schon in der Vergangenheit ausführlich hingewiesen. Wenn man die begrenzte Anzahl an Grün- und Erholungsflächen und die besondere Atmosphäre auf dem ehemaligen Flughafengelände in Betracht zieht, sollte das Ergebnis des Volksentscheids von 2014 nicht immer wieder in Zweifel gezogen werden. Ähnlich wie beim Gasometer handelt es sich beim Tempelhofer Feld um ein ganz besonderes Stück von Berlin, das nicht verloren gehen sollte.

Wir danken für das Gespräch.

Das Interview führte Christine Scherzinger, stadtpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke in der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg.

 

Johannes Zerger ist Politikwissenschaftler und Geschäftsführer einer NGO. 2020 war er Mitbegründer der Bürgerinitiative „Gasometer retten!“, die sich für die Einhaltung des Denkmalschutzes und die Berücksichtigung der Belange der Anwohner/innen bei der Gasometer-Bebauung auf der Roten Insel in Berlin-Schöneberg eingesetzt hat.
www.gasometer-retten.de


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