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MieterEcho 428 / November 2022

Vom „Doppel-Wumms“ zum Vielfach-Murks

Die Gas- und Strompreisbremse wird vielen Menschen eine gewisse Entlastung bringen, löst aber nicht die strukturellen Probleme der Energiepreisexplosion

Von Heiko Lindmüller

Manchmal ist der eigentlich eher spröde Olaf Scholz ein Freund martialischer Worte. Im März 2020 kündigte der damalige Bundesfinanzminister an, man werde jetzt „die Bazooka auspacken“ , um soziale und wirtschaftliche Verwerfungen im Zuge der Corona-Pandemie mit vielen Milliarden Euro abzufedern. Im Februar 2022 rief der inzwischen zum Bundeskanzler avancierte SPD-Politiker eine „Zeitenwende“ aus, mit einem 100 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögen, um die Bundeswehr aufzurüsten und umfassend kriegsfähig zu machen.    

Mit sogar 200 Milliarden Euro ist sein Ende September 2022 angekündigter „Doppel-Wumms“ bepreist, ein weiteres Sondervermögen zur Sicherung der Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit von Energie für Privathaushalte und Wirtschaft, vor allem im kommenden Winter. Damit schien zumindest das Chaos beendet, das sein irrlichternder Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mit seiner geplanten „Gasumlage“, die sogar zu Mehrbelastungen geführt hätte, angerichtet hatte. Flugs wurde eine hochrangig besetzte Gas-Kommission eingerichtet, die nach ein paar unausgegorenen Schnellschüssen, die auf entsprechend heftige Kritik stießen, inzwischen eine abschließende Empfehlung vorgelegt hat, die nach einigem Gezerre zwischen Bund, Ländern und Spitzenverbänden nunmehr in konkretes Handeln umgesetzt werden soll.

Allerdings stellt sich der „Doppel-Wumms“, nachdem sich seine ersten Rauchschwaden verzogen haben, eher als eine Schrotflinten-Kanonade dar, mit großer Streuwirkung, wenig Zielgenauigkeit und sehr kompliziert. Für Privathaushalte, die Gas- oder Fernwärme nutzen, wird für den Monat Dezember die komplette Abschlagszahlung vom Bund übernommen. Ab März greift dann – auch rückwirkend für den Februar, aber nicht für den Januar – die „Gaspreisbremse“. Für 80% des vorherigen durchschnittlichen Gasverbrauchs gilt dann ein subventionierter Preis von 12 Cent pro Kilowattstunde (kWh). Für den darüber hinausgehenden Verbrauch zahlt man den mit dem Versorger vereinbarten Preis, der derzeit für Neukunden rund 21 Cent beträgt und in den vergangenen Wochen gefallen ist. Zum Vergleich: 2021 lag der durchschnittliche Gaspreis für Privatkunden bei rund 7 Cent pro kWh. Zur Entlastung soll ferner eine zunächst bis Ende 2024 befristete Senkung der Mehrwertsteuer für Gas und Fernwärme von 19 auf 7% beitragen, die bereits zuvor beschlossen worden war. Auf der anderen Seite haben aber die meisten Versorger die Leitungsentgelte erhöht und auch die CO2-Abgabe ist eingeführt worden. Zudem ist bislang unklar, wie und wann die Gaspreisbremse für jene Mieter/innen berechnet wird, die das Gas nicht direkt beziehen, sondern indirekt über eine Zentralheizung verbrauchen und bei denen ein großer Teil der Heizkosten nicht durch den eigenen, steuerbaren Verbrauch, sondern durch die Umlage für den Gesamtverbrauch aller Mieter/innen des Hauses entsteht, mit einem Anteil zwischen 40-60%. Ob und wenn ja in welcher Form die „Januar-Lücke“ zwischen Abschlagsübernahme im Dezember und Preisdeckelung ab Februar abgefedert werden soll, war bei Redaktionsschluss noch unklar.

Heizölkunden müssen betteln gehen

Keinen Preisdeckel wird es für Öl- und Pellet-Heizungen geben, obwohl es auch dort deutliche Preissteigerungen gegeben hat, wenn auch nicht so stark wie bei Gas. Für Nutzer dieser Energieträger soll es – wie auch für Gaskunden, die trotz Teilsubvention die gestiegenen Preise nicht zahlen können – lediglich einen „Härtefallfonds“ geben, bei dem man einen individuellen Beihilfeantrag stellen kann. Dieser Fonds steht auch kleinen und kleinen mittelständischen Unternehmen offen. Als„soziale Komponente“ ist ferner geplant, dass Haushalte mit hohen Einkünften die Gas- und Fernwärmesubvention versteuern müssen.  Als weitere Entlastung soll ab Januar ein „Strompreisdeckel“ für private Haushalte gelten. Für 80% des durchschnittlichen Stromverbrauchs gilt dann eine Obergrenze von 40 Cent pro kWh. Zum Vergleich: 2021 betrug der durchschnittliche Strompreis für Privatkunden noch 33,5 Cent pro kWh. Davon in mehreren Punkten abweichende Deckelungen wird es auch für Industrieunternehmen geben. Für sie soll eine Gaspreisbremse bereits zum 1. Januar 2023 kommen. Für ein Kontingent  von 70% des letztjährigen Verbrauchs wird der Gaspreis bei 7 Cent pro kWh gedeckelt. Zur Finanzierung dieser Subventionen soll für Energieunternehmen eine befristete „Abschöpfung von Zufallsgewinnen“ eingeführt werden, die vor allem durch spekulative Schwankungen an den Energiebörsen und deren Kopplung an die jeweils höchsten Erzeugerpreise anfallen (Merit-Order-Prinzip). Derzeit bestimmen also die Preise der sehr teuren Stromerzeugung aus Gas den Strommarkt. Seit Wochen wird in der EU daher über einen allgemeinen Gaspreisdeckel gestritten, doch das scheitert bislang vor allem an dem hartnäckigen Widerstand aus Deutschland.

Klar scheint bereits jetzt zu sein, dass es bei den Energiehilfen einen riesigen Flickenteppich geben wird, weil es außer dem jetzt vom Bund ausgelösten „Doppel-Wumms“ noch zahlreiche Unterstützungsangebote auf Länderebene geben wird, die sich wiederum deutlich voneinander unterscheiden. So hat Berlin Ende Oktober die Einrichtung eines „Härtefallfonds Energieschulden“ beschlossen, der ab dem 1. Januar zur Verfügung stehen soll. Zielgruppen des Fonds sind Haushalte, die durch die Energiepreissprünge von Energiesperren bedroht sind. Im Nachbarland Brandenburg ist wiederum ein Härtefallfonds für Unternehmen in Planung, mit dem mögliche Lücken der  Hilfsmaßnahmen des Bundes kompensiert werden könnten. Auch weitere Länder und einzelne Kommunen planen eigene Hilfsprogramme, etwa für Kultureinrichtungen und soziale Träger. 

Natürlich werden die jetzt beschlossenen Maßnahmen vielen Haushalten helfen, die explodierenden Energiekosten etwas abfedern zu können. Doch wie schon bei den meisten Einmalzahlungen an bestimmte Bevölkerungsgruppen wird das Geld auch diesmal trotz kleiner Korrekturen mit der Gießkanne und nicht zielgerichtet nach Bedürftigkeit verteilt. Der Villenbesitzer mit beheiztem Wintergarten und Swimmingpool profitiert von der Übernahme des Dezember-Abschlags und den Gas- bzw. Fernwärmebremsen ab Februar in deutlich höherem Maße als Menschen mit niedrigen Einkünften und vergleichsweise geringem Energieverbrauch. Letztendlich bleibt das ganze Programm ein sehr teures Herumdoktern an Symptomen, bei dem die Auseinandersetzung mit den Ursachen der Energie- und vor allem der Energiepreiskrise komplett ausgespart wird. Von der Suche nach langfristigen Lösungen ganz zu schweigen. Kritisiert wird das unter anderem von den Linken. In einer Erklärung zu den ersten Vorschlägen der Gas-Kommission hieß es im Oktober: „Die gegenwärtige Explosion der Energiepreise hat eine wesentliche Ursache auch in der Liberalisierung der Energiemärkte. Statt der bis dahin üblichen Preisgestaltung durch die öffentliche Hand wird der Preis über Strom- und Gasbörsen bestimmt. Es dominieren kurzfristige Geschäfte, die über Spotmärkte abgewickelt werden, auf denen es zu preistreibender Spekulation kommt.“ Alle Vorschläge zu einer Gas- und Strompreisbremse liefen darauf hinaus, dass die durch Spekulation hochgetriebenen Marktpreise nicht „gedeckelt“, sondern aus öffentlichen Geldern bezahlt werden. 

Ursachen werden ausgeblendet

Doch abgesehen von den profitgetriebenen, spekulativen Prozessen bei der Energiepreisentwicklung gibt es natürlich auch handfeste materielle Ursachen für diese Krise. Der nach der russischen Intervention in der Ukraine gegen Russland entfachte Wirtschaftskrieg hat Deutschland eine der Grundlagen seines seit der Entspannungspolitik in den 1970er Jahren entwickelten Wirtschaftsmodells entzogen. Denn die sichere und preisstabile Lieferung von Öl und Gas aus der UdSSR und später aus Russland war einer der Eckpfeiler des deutschen Wohlstands und der boomenden Exportwirtschaft. Die Sanktionen, zu denen auch der freiwillige, von der EU gar nicht beschlossene Verzicht auf russisches Öl und die Nichtinbetriebnahme der Gas-Pipeline Nord Stream 2 gehören, haben sich längst als Rohrkrepierer erwiesen – die russischen Erlöse aus Energieexporten in viele Länder der Welt sind sogar deutlich gestiegen. Doch diese offensichtliche Kausalität zwischen Energiepreisexplosion und Wirtschaftskrieg ist in der herrschenden Politik ein Tabuthema – und bei großen Teilen der Linken auch.


MieterEcho 428 / November 2022