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MieterEcho 426 / August 2022

Thema Enteignung bleibt auf dem Tisch

Mit der „Expertenkommission“ hat der Senat die Frage der Umsetzung des Volksentscheids auf die lange Bank geschoben – der politische Konflikt bleibt aber virulent

Von Armin Kuhn

Sieben Monate nach dem gewonnenen Volksentscheidhat die Expert/innenkommission zur Vergesellschaftung großer privater Wohnungsunternehmen ihre Arbeit aufgenommen. Doch glücklich ist mit dieser Kommission niemand.   

Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ (DWE) und relevante Teile der mitregierenden Linken sehen in ihr ein Verzögerungsinstrument, das die Umsetzung des Volksentscheids aufschieben soll. Aber auch die Vergesellschaftungsgegner/innen, allen voran die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (beide SPD) haben versucht, die Einsetzung der Kommission zu behindern und ihren Auftrag aufzuweichen, wo es nur ging. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass die Kommission die Frage nach der verfassungsrechtlichen Machbarkeit der Vergesellschaftung mit „ja“ beantwortet und entsprechende Wege aufzeigen könnte.

Entstanden ist die Kommission aus dem politischen Patt, das der Wahltag am 26. September 2021 hinterlassen hat. Da die Initiative DWE keinen Gesetzentwurf zur Abstimmung gestellt hatte, war der Entscheid nicht verbindlich. Die mit 59,1% der abgegebenen Stimmen mehr als deutliche Mehrheit für die Initiative ließ und lässt sich aber auch nicht ignorieren. Giffey hatte gleichzeitig das historisch schlechteste SPD-Ergebnis der Nachkriegszeit eingefahren. Im Wissen, dass auch große Teile ihrer eigenen Partei zumindest Sympathien mit dem Vorschlag einer Vergesellschaftung hegen, blieb auch ihr nichts übrig, als auf Zeit zu spielen.

In dieser Pattsituation wurde die Idee des Stadtsoziologen Andrej Holm zur Bildung einer „überparteilichen Sozialisierungskommission“ dankbar aufgegriffen. Für die einen bot sie die Möglichkeit, an der Umsetzung festzuhalten und zugleich eine Form zu finden, die mit diesem „juristischen Neuland“ verbundenen offenen Fragen zu beantworten. Denn auch unter den Befürworter/innen innerhalb der rot-grün-roten Koalition war die Angst groß, nach dem Scheitern des Mietendeckels mit einem erneuten juristischen Experiment wieder Schiffbruch vor dem Bundesverfassungsgericht zu erleiden.

Giffey, Geisel und die SPD wiederum konnten der Kommission zustimmen, weil sie damit die Auseinandersetzung um die Vergesellschaftung auf die Ebene der verfassungsrechtlichen Prüfung ziehen und die Umsetzung verzögern konnten.

Prüfung der „Verfassungskonformität“

Erst ein halbes Jahr später, nach heftigen Auseinandersetzungen in den Sondierungen, den Koalitionsverhandlungen und innerhalb des neuen Senats, wurde die Kommission eingesetzt. Zwölf Expert/innen sollen zunächst die „Verfassungskonformität einer Vergesellschaftung“ diskutieren und dabei mögliche „rechtssichere Wege“ benennen und bewerten. „Wohnungswirtschaftliche, gesellschaftsrechtliche und finanzpolitische Aspekte“, also die Marktmacht und die Geschäftsmodelle der potenziell betroffenen Wohnungskonzerne, die Ausgestaltung einer gemeinwirtschaftlichen Wohnungsgesellschaft sowie Art, Höhe und Finanzierung der Entschädigung sollten erst später auf dem Programm stehen. Als Vorsitzende wurde die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) benannt.

Auf wichtige Weichenstellungen für die Kommissionsarbeit hatten sich die senatstragenden Parteien allerdings nicht einigen können. Soll die Kommission in der Regel öffentlich sein oder darf sie auch hinter geschlossenen Türen tagen? In welchem Ausmaß muss die Initiative über die Entsendung von Expert/innen hinaus informiert und beteiligt werden, um ihre anerkannten „Informationsinteressen“ zu berücksichtigen? Welche Arbeitsergebnisse werden von der Kommission erwartet: allgemeine Einschätzungen oder konkrete Eckpunkte und Bausteine für ein Vergesellschaftungsgesetz? Auch vor diesen Entscheidungen hat sich der Senat gedrückt. Entsprechend „große Zweifel“ äußerte DWE an einer konstruktiven Arbeit der  Kommission. Sie entschied sich aber dennoch, die drei für sie freigehaltenen Plätze zu besetzen.

Die starke Ausrichtung auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit spiegelt sich auch in der Zusammensetzung der Kommission wieder. Gleich zehn von einschließlich der Vorsitzenden 13 Mitgliedern sind Juristinnen und Juristen. Die SPD hat drei bekennende Vergesellschaftungsgegner in das Gremium geschickt: den konservativen ehemaligen Verfassungsrichter Michael Eichenberger und die Rechtswissenschaftler Christian Waldhoff und Wolfgang Durner, die bereits entsprechende Gutachten verfasst hatten.

Demgegenüber haben Linke und DWE mit Isabel Feichtner, Anna Katharina Mangold, Florian Rödl und Tim Wihl vier Jurist/innen in die Kommission entsandt, die sich für die Vergesellschaftung ausgesprochen hatten. Die drei Nicht-Jurist/innen – der Weimarer Immobilienökonom Thorsten Beckers, die Volkswirtin und Vorständin der GLS-Bank Aysel Osmanoglu und die Stadtforscherin Susanne Heeg – dürften auf der Seite der Befürworter/innen stehen. So könnte sich eine knappe Mehrheit für die Vergesellschaftung ergeben.

Für Streit sorgte dagegen die Vorsitzende Herta Däubler-Gmelin in der Auftaktsitzung am 29. April 2022. Ihr Geschäftsordnungsvorschlag sah grundsätzlich nichtöffentliche Sitzungen vor, wollte die Beschlussfassung in den Herbst 2023 – ein halbes Jahr später als angekündigt – verschieben und die Initiative nur mit den Informationen versorgen, die ohnehin veröffentlicht würden. Däubler-Gmelin kündigte außerdem an, trotz vereinbarter Neutralität ihr Stimmrecht wahrnehmen zu wollen, und brachte eine Ausdehnung des Arbeitsauftrags auf Alternativen zur Vergesellschaftung ins Spiel. Nach deutlicher Kritik von Seiten der Initiative und der Linken konnte die Ausdehnung von Arbeitszeitraum und -auftrag wohl abgewendet werden.

Hinzu kommt, dass Franziska Giffey massiv an Rückhalt verloren hat. Das zeigen seit Monaten sinkende Umfragewerte und ihr mit nur 59 Prozent ohne Gegenkandidatur mageres Wahlergebnis beim SPD-Landesparteitag im Juni. Ihre schlimmste Niederlage war jedoch der Parteitagsbeschluss, einem Enteignungsgesetz zuzustimmen, wenn sich die Mehrheit der Kommission dafür ausspricht. Auch Andreas Geisel konnte das mit einer skurrilen Mischung aus bürokratischer Argumentation und autoritärer Drohung, diesen Beschluss missachten zu wollen, nicht verhindern.

Senat steht unter Druck

Auch der politische Druck auf den Senat, endlich Lösungen für die durch weiter steigende Mieten, aber auch durch die Aufnahme zehntausender Kriegsgeflüchteter verschärfte Wohnungssituation zu liefern, steigt. Die Kommission wird nicht davon unberührt Fachdebatten führen können. Im Gegenteil: Als Verschiebebahnhof für politisch nicht getroffene Entscheidungen wird sie auch in den kommenden Monaten Schauplatz politischer Auseinandersetzungen sein.

Einen Vorgeschmack darauf lieferte die Anhörung zur Lage des Berliner Wohnungsmarktes, die am 9. Juni 2022 als Teil der zweiten Kommissionssitzung stattfand. Sollte hinter der Ansetzung die Absicht gestanden haben, „die Sinnhaftigkeit von Enteignungen für den Wohnungsmarkt zu untersuchen“, wie Geisel den Auftrag der Kommission nach der ersten Sitzung umschrieb, ging der Schuss nach hinten los. Denn neben schwachen Vorträgen von Harald Simons vom immobilienwirtschaftsnahen Marktforschungsinstitut empirica oder von den Senatsvertretern hatten der Stadtforscher Andrej Holm und Reiner Wild vom Berliner Mieterverein faktenreich gezeigt, dass die vom Senat eingeschlagene Neubaustrategie keinen nennenswerten Beitrag zur sozialen Wohnraumversorgung leistet. Ganz im Gegensatz zur Vergesellschaftung, die dauerhaft günstige Mieten im Bestand ermögliche.

Offen ist der weitere Verlauf der Debatte in der Kommission. Klar ist jedoch, dass dort keine politische Entscheidung getroffen wird. Selbst wenn am Ende ein Mehrheitsvotum verfassungsrechtlich gangbare Wege zur Vergesellschaftung großer privater Wohnungsunternehmen aufzeigt, liegt es am Senat und am Berliner Abgeordnetenhaus, einen entsprechenden Gesetzentwurf auszuarbeiten und zu verabschieden. Die Befürworter/innen innerhalb der rot-grün-roten Koalition haben nun ein Jahr Zeit, um die Kommissionsarbeit eng zu begleiten, sie dafür zu nutzen, einen umsetzbaren Entwurf vorzulegen, und sich auf den unausweichlichen Koalitionskonflikt vorzubereiten.       

 

Armin Kuhn ist wohnungs- und mietenpolitischer Referent der Rosa-Luxemburg-Stiftung.


MieterEcho 426 / August 2022