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MieterEcho 424 / Mai 2022

Tesla elektrisiert die Politik

Die rasante Expansion des US-Autobauers ist ein Musterbeispiel für den modernen „grünen“ Kapitalismus

Von Rainer Balcerowiak

Am 22. März war es soweit. Genau 861 Tage nach der ersten, eher beiläufigen Ankündigung ihrer Ansiedlung wurde die „Gigafactory“ des US-Autokonzerns Tesla in Grünheide offiziell eröffnet. Die geballte Polit-Prominenz aus Bund und Land hatte sich eingefunden, um das Großprojekt und dessen Impresario Elon Musk zu huldigen und zu feiern. Tesla habe damit „ein starkes Bekenntnis zum Standort Deutschland gegeben“ freute sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Die zügige Umsetzung werde „eine Maßgabe für Tesla-Tempo auch in anderen Bereichen“ sein, sagte Habeck und versprach: „Ich arbeite daran, 24 Stunden, 7 Tage die Woche. “ Habeck also ganz im Geiste des medial gepflegten Bildes von Elon Musk als genialisch-egomanischem Workaholic, der keine Risiken und Hindernisse scheut, um seine Vision von einer neuen, umweltgerechten und digital vernetzten Mobilität und letztendlich von einer besseren Welt umzusetzen.   

In der Tat kann man Musk eine gewisse Zähigkeit und Zielstrebigkeit nicht absprechen. Mit 17 wanderte der gebürtige Südafrikaner zunächst nach Kanada aus, wo er ein Studium der Physik und der Volkswirtschaft aufnahm, das er später in den USA beendete. Es begann die Suche nach lukrativen Geschäftsideen. 1995 gründete er zusammen mit seinem Bruder seine erste Firma. „ZiP2“ war eine Art digitales Branchenbuch mit integrierter Navigation. Vier Jahre später kaufte der IT-Konzern Compaq das Unternehmen für 307 Millionen Dollar. Seinen Anteil steckte Musk in sein nächstes Projekt, X.com, das später im Bezahldienstleister PayPal aufgehen sollte. Musk war dort größter Einzelaktionär, als Ebay im Jahr 2002 PayPal für 1,5 Milliarden Euro kaufte.

Rekordkurse trotz Milliardenverlusten

Der nächste große Sprung waren dann Investitionen von rund 200 Millionen Dollar in das Raumfahrtunternehmen SpaceX, das Energieunternehmen SolarCity und den bereits 2003 gegründeten Autobauer Tesla, der sich als erstes Unternehmen der Branche ausschließlich der Entwicklung und Markteinführung von E-Autos verschrieben hatte. Im Juli 2006 stellte Tesla den Prototyp Roadster vor, die Kleinserienproduktion begann im März 2008 und endete 2012. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 2.450 Roadster produziert. Also ein Nischenprodukt für reiche Öko-Jünger, mit dem zudem gigantische Verluste erwirtschaftet wurden. Doch der Konzern expandierte unverdrossen, häufte bis 2020 Jahr für Jahr weitere Verluste in teilweise vierstelliger Millionenhöhe an – und brauchte sich dennoch um stetigen Kapitalzufluss keine Sorgen zu machen. Denn verkauft wurden eben nicht nur Autos, sondern vor allem die Idee einer zukunftsträchtigen Technologie, die den Automarkt auf mittlere Sicht global revolutionieren könnte.

2010 ging Tesla an die Börse, der Ausgabekurs für die Aktien betrug 17 Dollar. Derzeit werden die Papiere für mehr als 900 Dollar gehandelt, es waren aber auch schon über 1.000 Dollar. Das hat Elon Musk als größten Einzelaktionär zum mehrfachen Milliardär und mittlerweile reichsten Menschen der Welt gemacht. Trotz vergleichsweise geringer Produktionszahlen hat Tesla in Hinblick auf den Börsenwert die alten Schwergewichte Toyota, Volkswagen, Daimler und BMW längst überholt und gilt als der wertvollste Automobilkonzern der Welt. 2021 verkaufte Tesla rund eine Million Autos. In den USA ist der Konzern, der seit 2015 auch über eine eigene Batteriefertigung verfügt, unangefochtener Marktführer im E-Segment, eine Position, die man nicht zuletzt mit der Gigafactory in Grünheide auch für Europa anstrebt. In Grünheide sollen zunächst bis zu 500.000 Autos pro Jahr produziert werden, perspektivisch noch deutlich mehr. Und auch in China, einem der wichtigsten Absatzmärkte, ist man auf dem Vormarsch.

Aber wie konnte es passieren, dass ein kalifornisches Start-up-Unternehmen binnen relativ kurzer Zeit den globalen PKW-Markt so gründlich aufmischt? Zum einen sind es die technischen Innovationen, vor allem in Bezug auf die Digitalisierung der Mobilität und die Perspektive des autonomen Fahrens, womit die Konkurrenz zunächst abgehängt wurde. Zum anderen fügt sich Tesla quasi passgenau in die Klimaschutzprogramme der maßgeblichen Nationen ein und kann davon politisch und ökonomisch profitieren, etwa durch den Verkauf von Verschmutzungsrechten (C02-Zertifikate) an die Hersteller „schmutziger“ Produkte und die staatlichen Kaufprämien für E-Autos. 

Doch gerade auf dem Heimatmarkt ist die Förderung noch wesentlich umfangreicher. Das US-Energieministerium hat von 2008 an insgesamt 465 Millionen in das Unternehmen gesteckt. Für den Bau von Batteriefabriken, einem entscheidenden Punkt in der Wertschöpfungskette des E-Autos, erhält Tesla weitere 1,9 Milliarden Dollar. Damit wird ein US-Konzern gepäppelt, der angesichts des immer näher rückenden Ausstiegs aus der Verbrennertechnologie auch global mitmischen soll. Erst dieser Entschluss der wichtigsten kapitalistischen Staaten, auf die neue Technik zu setzen, eröffnete Tesla den Weltmarkt. 

Eine Erkenntnis, die sich auch beim Finanzkapital herumgesprochen hat. Der Sozialwissenschaftler und DGB-Sekretär Peter Schadt schrieb dazu im Dezember im Magazin Jacobin: „Das weltweit nach Anlagemöglichkeiten suchende Kapital ist Baustein Nummer drei im System Tesla. Die Spekulation auf zukünftige Gewinne schafft den Widersinn, Betriebsvermögen und Finanzkraft von Tesla schon vor jedem Gewinn dank der immer weiteren Ausschüttung von Aktien voranzutreiben. Die Börsennotierung des Unternehmens bei NASDAQ und Dow-Jones macht diesen Irrsinn komplett, indem die steigenden Aktienkurse des Unternehmens das angelegte Geldvermögen wachsen lassen, was wiederum noch mehr Investoren anlockt, wodurch die Kurse wiederum weiter steigen.“ 

Dieses Monopoly funktioniert aber nur, wenn der Glaube der Investor/innen an die Innovationskraft und die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens ungebrochen bleiben. Dabei spielen Image und Selbstdarstellung des Firmenlenkers eine wichtige Rolle. Musk genießt mit seinen teilweise exzentrischen Kapriolen in gewissen technikaffinen Kreisen in den Mittel- und Oberschichten einen ähnlichen Kultstatus wie dereinst der Apple-Gründer Steve Jobs, der mit dem Smartphone die digitale Kommunikation revolutionierte. Mehrmals anscheinend knapp dem Konkurs oder der Übernahme entgangen, Ärger mit der Börsenaufsicht wegen nebulöser Ankündigungen eines möglichen Börsenrückzugs, merkwürdige Spielereien mit Bitcoins, schräge politische Statements – aber immer der unermüdliche, zupackende Macher, der es den lahmen Behörden und den unbeweglichen Tankern der „alten“ Autoindustrie mal so richtig zeigt.

Die „alte Welt“ hält dagegen

Doch es ist längst noch nicht entschieden, ob der scheinbar unaufhaltsame Vormarsch von Tesla tatsächlich so weiter gehen wird. Nach einer längeren Phase der Schockstarre und des trotzigen Beharrens auf einer „Zukunft für den Verbrennungsmotor“ sind die alten Giganten und auch die Industriepolitiker/innen in den klassischen Ländern der Autoindustrie aufgewacht. Der technische Vorsprung und damit das Alleinstellungsmerkmal der Marke schrumpfen allmählich. Und jetzt wird geklotzt: VW investiert 2 Milliarden Euro in ein komplett neues Werk am Stammsitz Wolfsburg mit einer Kapazität von 250.000 E-Autos pro Jahr. Zudem sollen durch teilweise Umrüstung des alten Werks weitere 250.000 E-Autos vom Band rollen. Daimler will ab 2025 alle neuen Modelle als Plattformen für E-Autos produzieren und investiert ferner in großem Stil in die Batteriefertigung und das Batterierecycling. Auch bei BMW gibt es entsprechende Pläne. Bei Toyota setzt man nach längerem Zögern inzwischen auch verstärkt auf vollelektrische Autos, nachdem man sich lange Zeit auf Hybrid-Modelle fokussiert hatte. All diese Konzerne verfügen in Relation zu Tesla über deutlich höhere Entwicklungs-, Produktions- und Vertriebsressourcen. 

Dennoch hat die Ansiedlung der Tesla-Gigafactory in Grünheide für das „grün“ ausgerichtete deutsche Kapital eine wichtige Funktion. Es ist eine Art Pilotprojekt für eine „Zeitenwende“ auch in der Standort- und Umweltpolitik. Weniger und schnellere Prüfungen, weniger „Bürokratie“, weniger Einspruchsmöglichkeiten. Und das ganze schön verpackt als wichtiger Beitrag zum Klimaschutz und zur ökologischen Verkehrswende. Aber im Kapitalismus war noch nie eine Lüge zu dreist, um sie nicht zur Garnierung knallharter Profitinteressen zu benutzen. 


MieterEcho 424 / Mai 2022