Logo Berliner Mietergemeinschaft e.V.
MieterEcho 427 / Oktober 2022

„Robert Habeck versteht wenig von wirtschaftlichen Zusammenhängen“

 

Interview mit Oskar Lafontaine

MieterEcho: Herr Lafontaine, derzeit ist in Deutschland viel von einem heißen Herbst die Rede, mit bundesweiten Protesten gegen die herrschende Politik. Welches Potenzial sehen Sie in dieser Protestbewegung? Kann sie die Regierung ernsthaft ins Wanken bringen?

Oskar Lafontaine: Ich hoffe das. Denn es ist dringend notwendig, diese Regierung ins Wanken zu bringen. Sie macht eine fatale Politik, die zur Armut von großen Teilen der Bevölkerung führt und zum Verlust vieler Arbeitsplätze.

Es wurden ja schon im Vorfeld alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Proteste zu delegitimieren. Alles, was sich gegen die Sanktionspolitik und die Waffenlieferungen an die Ukraine richtet, wird als rechts, demokratiefeindlich oder fünfte Kolonne Putins diffamiert. Ist zu befürchten, dass das die Protestbewegung schwächt oder spaltet?

Das glaube ich nicht. Wenn der Protest eine starke, soziale Basis hat, dann nützen solche Versuche nichts mehr, wie man auch in anderen Ländern sieht, etwa in Großbritannien oder Tschechien. Aber es ist zurzeit Mode geworden, Proteste als undemokratisch, rechts oder was auch immer zu diffamieren. Neuerdings wird auch auf FBI-Methoden zurückgegriffen. Als Baerbock sich verplappert hatte und sagte, sie wolle die Ukraine unterstützen, „egal, was meine deutschen Wähler denken“, wurde das flugs als russische Desinformationskampagne bezeichnet. Auch diese Masche wird in nächster Zeit immer wieder zu sehen sein.

Auch die Führung der von Ihnen einst mitbegründeten Partei Die Linke, aus der Sie ja vor ein paar Monaten ausgetreten sind, beteiligt sich an der Ausgrenzungspolitik. So wurde Ihre Ehefrau Sahra Wagenknecht zur ersten großen Montagsdemo in Leipzig eingeladen und dann wieder ausgeladen. Wie bewerten Sie das?

Es ist nicht entscheidend wie ich das bewerte, sondern wie die Wählerinnen und Wähler eine solche Politik bewerten. Die schlechten Umfrageergebnisse der Linken sprechen Bände. Bei der katastrophalen Politik der Ampel sollte eine vernünftige soziale Oppositionspartei eigentlich zweistellig sein.

In vielen örtlichen Bündnissen wird versucht, die Frage der Sanktionen und des Krieges weitgehend auszublenden. Macht denn die Forderung nach bezahlbarer Energie für alle Haushalte und Betriebe und umfassenden sozialen Entlastungen überhaupt Sinn, wenn man die Zusammenhänge mit dem Krieg und den Sanktionen ignoriert?

Das macht überhaupt keinen Sinn, denn alle Maßnahmen, die auch von der Regierung getroffen worden sind, um die Folgen ihrer verfehlten Politik zu mildern, sind kaum geeignet, die Dinge zu verbessern. Es ist notwendig, dass Deutschland begreift, dass der deutsche Wohlstand auch darauf beruht, dass der deutschen Wirtschaft billige russische Rohstoffe zur Verfügung standen.

Trotz Ihres Rückzugs aus der operativen Politik melden Sie sich nach wie vor gewohnt deutlich zu Wort. Im Mittelpunkt Ihrer Kritik steht die Politik der Bundesregierung, die Deutschland zu einem Vasallenstaat der USA gemacht habe, und der aggressive Kurs der US-geführten NATO gegen Russland, den Sie als ursächlich für den Krieg in der Ukraine ansehen. Welche außenpolitischen Initiativen sollte Deutschland jetzt unternehmen, um zur Lösung dieses Konfliktes beizutragen?

Entspannungspolitik führt zum Frieden und Spannungspolitik führt zum Krieg. In der Zeit der Entspannungspolitik, die mit dem Namen des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Willy Brandt verbunden ist, gab es keine Kriege in Europa. Als die Spannungspolitik der USA mit der NATO-Osterweiterung erneut begann, hatten wir den Jugoslawien-Krieg, und jetzt haben wir den Krieg in der Ukraine. Die Antwort ist also klar: Wir müssen die Entspannungspolitik auch gegen den Willen der USA, die das ja verhindern wollen, wieder aufnehmen.

Sehen Sie denn aktuell in der etablierten Politik überhaupt noch relevante Strömungen, die sich diesem Ansatz verpflichtet fühlen? Und noch einmal die Frage: Was müsste konkret passieren, zum Beispiel an diplomatischen Initiativen?

Konkret müsste ein Friedensplan vorgelegt werden, wobei vorher auf diplomatischem Wege in Gesprächen mit Moskau und mit Washington ausgelotet werden müsste, welche Möglichkeiten es gibt. Ein solcher Friedensplan müsste sich am Minsker Abkommen von 2014 orientieren, das ja schon vom damaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko nach eigenem Eingeständnis hintertrieben wurde, um Zeit für die eigene Aufrüstung zu gewinnen. Es ist doch nur noch peinlich für die unfähigen Staatschefs in Europa, dass es der türkische Präsident Erdogan war, der Verhandlungen auf den Weg brachte, um Getreidelieferungen zu ermöglichen und jetzt auch in Gesprächen versucht, Möglichkeiten eines Waffenstillstandes zu finden. Ausgerechnet Erdogan!

Für die meisten Menschen in Deutschland bedeutet die Kriegspolitik vor allem Wohlstandsverlust bis hin zu drohender Armut. Die Bundesregierung nimmt für sich in Anspruch, die Folgen der Energiekrise und der galoppierenden Inflation weitgehend abzufedern. Wie beurteilen Sie – abgekoppelt von den geopolitischen Zusammenhängen – die Krisenpolitik der Bundesregierung? Was wären notwendige Schritte in der Steuer-, Haushalts- und Sozialpolitik, um dieser Krise nachhaltig zu begegnen?

Die meisten Mitglieder der Bundesregierung sind offensichtlich völlig überfordert. An der Spitze die beiden Grünen. Robert Habeck versteht wenig von wirtschaftlichen Zusammenhängen und Annalena Baerbock ist in außenpolitischen Dingen völlig unerfahren. Die entscheidende Antwort auf Ihre Frage ist: Nur mit russischen Rohstoffen lässt sich der deutsche Wohlstand auch in Zukunft aufrechterhalten. Und da geht es nicht nur um Gas, sondern auch um Düngemittel, seltene Erden und viele andere Rohstoffe. Wie unfähig diese Regierung ist, sieht man auch daran, dass jetzt ausgehend vom Deindustrialisierungsminister Habeck auch noch der Handel mit China erschwert werden soll. Ansonsten gelten die bewährten Rezepte: Stärkung der Massenkaufkraft, ökologischer Umbau der Industrie, schrittweiser Ausbau des Sozialstaates und eine gerechte Steuerpolitik. 

Noch einmal zurück zur Protestbewegung. In der Tat versuchen ja auch die AfD und diverse Neonazi-Gruppen aus der Wut vieler Menschen Kapital zu schlagen. Natürlich ist das Narrativ absurd, dass alles, was sich irgendwie gegen die Grundpfeiler der derzeitigen deutschen Regierungspolitik richtet, rechts ist. Aber muss es nicht trotzdem rote Linien geben, bei denen man klipp und klar sagt: Mit denen kann man nicht gemeinsam auf die Straße gehen, auch wenn man einige Forderungen teilt?

In der Friedensbewegung sind wir nicht gemeinsam mit irgendwelchen rechten Organisationen auf die Straße gegangen. Aber wir haben auch keine Gesinnungsprüfung veranstaltet. Und es gab unter den Demonstrierenden auch immer wieder Teilnehmer, die man als rechts einordnen würde. Es geht also nur darum, dass man mit den Rechten keine gemeinsam organisierte Veranstaltung macht. Schließlich ist ja auch jetzt durch die Festlegung der AfD, dass man keine Übergewinnsteuer einführen wolle, sichtbar geworden, dass sie in Wirtschaftsfragen auf ihrem neoliberalen Kurs bleibt, den man als rechts bezeichnen muss. Aber dieser neoliberale Kurs, und da beginnt ja die Schwierigkeit der Abgrenzung, ist auch Grundlage der Politik der Bundestagsparteien.

Also Sie meinen, die Abgrenzung müsste sich vor allem an der Position zur neoliberalen Politik festmachen?

Generell an den politischen Inhalten. Die neoliberale Politik ist entscheidend, wenn es um soziale Fragen geht. Aber wer zum Beispiel die Lieferung von Waffen an die Ukraine befürwortet, wie auch einige bekannte „Reformer“ der Linken, ist für mich rechts. Denn das bedient die Interessen der Rüstungslobby. Die Befürworter der Waffenlieferungen blenden ja aus, dass sie zur Verlängerung des Krieges beitragen und damit, ohne es scheinbar zu wissen, auch mitverantwortlich für den täglichen Tod von Ukrainern und Russen sind. Da ist für mich eine FDP-Politikerin und Rüstungslobbyistin wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann eindeutig rechts, während AfD-Politiker, die gegen die Lieferung schwerer Waffen sind, in diesem Punkt eine traditionelle linke Position vertreten. 

Werden Sie sich in die Protestbewegung einbringen? Wird man Sie vielleicht auch als Redner auf Kundgebungen erleben?

Das wird sich zeigen. Auf jeden Fall werde ich die Proteste unterstützen und mich daran beteiligen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Rainer Balcerowiak.

 

Oskar Lafontaine war unter anderem Ministerpräsident des Saarlands, Bundesfinanzminster und SPD-Vorsitzender. Nach seinem Austritt aus der SPD schloss er sich der WASG an und gehörte 2007 zu den Gründungsmitgliedern der Partei Die Linke, für die er als Partei- und Fraktionsvorsitzender und anschließend als Oppositionsführer im Saarland agierte.
Im März 2022 trat Lafontaine aus der Linken aus. 



MieterEcho 427 / Oktober 2022