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MieterEcho 426 / August 2022

Riskante Finanzierungen und unrealistische Neubauziele

Der soziale Versorgungsauftrag der kommunalen Wohnungswirtschaft ist stark gefährdet

Von Andrej Holm

Die landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWU) sind das wichtigste Instrument der Berliner Wohnungspolitik. Fast alle Aufgaben einer sozialen Wohnungspolitik müssen von den sechs Wohnungsbaugesellschaften übernommen werden: Sicherung von moderaten Mietpreisen, Wiedervernietung an WBS-Berechtigte, Versorgung von Haushalten mit besonderen Bedarfen, Bestandserweiterung durch Ankauf und Neubau und die Gewährleistung einer Mietermitbestimmung. Doch insbesondere der Ankauf von immer neuen Beständen gefährdet die wirtschaftliche Substanz der Unternehmen und zwingt sie schon jetzt zu riskanten Finanzierungskonzepten.

Die Zahl der Wohnungen in der Verwaltung der landeseigenen Wohnungsunternehmen wurde seit dem Jahr 2011 (265.000 Wohnungen) kontinuierlich erweitert und betrug im Jahr 2020 etwa 333.000 Wohnungen. Das entspricht einer Steigerung um 25% und einem Zuwachs von über 67.000 öffentlichen Wohnungen in der letzten Dekade. 

Eine umgekehrte Entwicklung ist trotz der wieder aufgenommenen Förderaktivitäten bei den Sozialwohnungen zu beobachten. Seit dem Jahr 2011 (150.000 Wohnungen) hat sich die Zahl um 36% reduziert und lag im Jahr 2020 bei nicht einmal 97.000 Wohnungen. Das entspricht einem Rückgang von über 50.000 Sozialwohnungen in nur 10 Jahren. 

Mit den Festlegungen des Wohnraumversorgungsgesetzes sind die LWU seit 2015 auf die soziale Wohnraumversorgung verpflichtet und stellen mittlerweile den mit Abstand größten Bestand, der für eine Versorgung von Haushalten mit niedrigen Einkommen zur Verfügung steht. Mit einer durchschnittlichen Bestandsmiete von 6,29 Euro/qm (nettokalt) liegen die Mietpreise der landeseigenen Wohnungsunternehmen etwa 0,50 Euro/qm unter dem Mietspiegeldurchschnitt für vergleichbare Wohnungen. Die mittlere Wiedervermietungsmiete von 7,25 Euro/qm liegt sogar um mehr als 3,00 Euro/qm unter den durchschnittlichen  Neuvermietungspreisen in Berlin. Von den etwa 15.000 Wiedervermietungen pro Jahr werden über 60% an WBS-Haushalte vergeben, die in der Regel zu den Mietspiegelwerten vergeben werden. Bei Vonovia lag der Anteil von Wiedervermietungsangeboten unterhalb von 7,00 Euro/qm im Durchschnitt der letzten Jahre (2017 bis 2021) bei nicht einmal 20%. Bei den Wohnungsangeboten auf den großen Internetportalen sogar nur bei 11%. Eine Verpflichtung, diese günstigeren Wohnungsbestände an WBS-Haushalte zu vergeben, gibt es bisher nicht. Diese Vergleichszahlen zu privaten Wohnungsunternehmen zeigen, dass die öffentlichen Wohnungsunternehmen einen deutlich höheren Beitrag für die soziale Wohnversorgung leisten als andere.

Stockender Neubau

Die Ausweitung der öffentlichen Wohnungsbestände geht auf eine Doppelstrategie von Ankauf und Neubau zurück. In der letzten Legislaturperiode (2017 bis 2021) wurden nach Angaben der „Berichte zur Kooperationsvereinbarung“ insgesamt über 19.000 Wohnungen fertiggestellt und fast 25.000 Wohnungen durch den Ankauf von Beständen erworben. Der im September 2021 beschlossene Kauf von knapp 15.000 Wohnungen von der Deutsche Wohnen und Vonovia ist dabei noch nicht berücksichtigt, weil der Kaufvertrag erst zum Januar 2022 wirksam wurde. Gemessen an den ursprünglichen Zielen der rot-rot-grünen Regierungskoalition von 2016 wurden die Neubauziele (30.000 Fertigstellungen) deutlich verfehlt und nur zu einem Anteil von 65% erfüllt. Die Ankaufziele (25.000 Wohnungen) hingegen wurden mit fast 100% erfüllt. 

Obwohl die Neubauziele der LWU verfehlt wurden, wurden die Zielzahlen in der aktuellen Koalitionsvereinbarung (2021 bis 2026) noch einmal deutlich aufgestockt. In der entsprechenden Passage heißt es: 

„Die Wohnungsbaugesellschaften sollen in den nächsten fünf Jahren 35.000 Wohnungen neu bauen. Dafür werden weiter unentgeltlich landeseigene Grundstücke übertragen, deren Wert sie als Mietsubvention einsetzen müssen. Mindestens 400.000 Wohnungen sollen durch Neubau und Ankauf im Jahr 2026 in öffentlicher Hand sein.“ (Koalitionsvereinbarung 2021: S.18)

Um dieses Ziel zu erreichen, müssten die LWU durchgehend 7.000 Wohnungen pro Jahr errichten – eine Fertigstellungsquote, die bisher noch nie erreicht wurde.

Seit Jahren wird von den vielen Bauprojekten gesprochen, die die Wohnungsunternehmen „in der Pipeline“ hätten. Insgesamt wird das Volumen der Neubauprognosen mit über 68.000 Wohnungen angegeben, die in knapp 550 Projekten realisiert werden sollen. Unklar ist hingegen, wann diese vielen öffentlichen Wohnungen gebaut werden sollen. Einer aktuellen Abfrage bei den LWU zufolge werden bis zum Ende der Legislatur nicht einmal 26.000 Fertigstellungen erwartet (Schriftliche Anfrage im AGH; 19 / 11 722). Auch wenn die Degewo als größtes öffentliches Wohnungsunternehmen nicht auf die Anfrage reagierte, ist abzusehen, dass auch das kommunale Neubauziel wieder deutlich verfehlt werden wird. Weder in der Koalitionsvereinbarung, noch in den bisherigen wohnungspolitischen Initiativen der neu geführten Senatsverwaltung ist zu erkennen, wie der kommunale Wohnungsneubau angekurbelt werden soll.

Riskante Finanzierung

Neubau und Ankauf von über 44.000 Wohnungen setzen vor allem finanzielle Ressourcen voraus. Bei einem geschätzten mittleren Bau- und Kaufpreis von 2.500 Euro/qm dürften die Gesamtinvestitionen für diesen Aufwuchs der öffentlichen Bestände in den letzten 5 Jahren knapp 7 Milliarden Euro umfassen. Da die kumulierten Gewinne der Vorjahre (2016 bis 2020) für alle Wohnungsbaugesellschaften zusammen bei etwa 1,7 Milliarden Euro lagen, musste ein Großteil der Investitionen durch die Aufnahme von Fremdkapital finanziert werden. Neben den klassischen Krediten, bei denen regelmäßige Zins- und Tilgungszahlungen fällig werden, setzen einzelne Unternehmen inzwischen auch auf Unternehmensanleihen und Schuldverschreibungen. Der kurzfristige Vorteil dieser Finanzierungsinstrumente ist die sogenannte Endfälligkeit der Nennwerte. Bis zum Ende der vereinbarten Laufzeit müssen dabei nur die Zinsen gezahlt werden – die Rückzahlung der aufgenommenen Mittel erfolgt am Ende auf einen Schlag. So können Liquiditätsengpässe überbrückt werden – allerdings zum Preis einer hohen Rückzahlungsverpflichtung zum Ende der Laufzeit.

Mit der Howoge und der Degewo, die zum 1. Januar 2022 etwa 12.500 Wohnungen der Vonovia übernehmen mussten, setzten zwei Wohnungsbaugesellschaften auf solche riskanten Finanzierungskonzepte. Die Howoge vermeldete im Oktober 2021, kurz nach der Verpflichtung, etwa 8.000 Wohnungen von der Vonovia zu übernehmen, dass sie Unternehmensanleihen in der Höhe von 1,7 Milliarden Euro platzieren konnte. (Howoge 2021). Auch die Degewo musste für die Übernahme von 2.500 Wohnungen und Gewerbeeinheiten von der Vonovia auf zusätzliche Finanzierungsinstrumente setzen und vergab Schuldscheine in der Höhe von 500 Millionen Euro, um den Kauf zu finanzieren (Die Wohnungswirtschaft, 31. März 2022, S. 76 ff.)

Beide Unternehmen setzen bei ihrer Finanzierungsstrategie auf eine möglichst weite Streuung der Laufzeiten, um eine Konzentration von Rückzahlungsverpflichtungen in einem Jahr zu vermeiden. Ein Risiko bleibt dennoch, da sich nicht absehen lässt, ob hohe Zahlungsverpflichtungen in der Zukunft aus den laufenden Einnahmen finanziert werden können.

Es ist zu befürchten, dass die politisch gewünschte Bestandserweiterung durch den Ankauf zu überhöhten Preisen langfristig dazu genutzt wird, die sozialen Versorgungsaufgaben der landeseigenen Wohnungsunternehmen zu schleifen, um eine wirtschaftliche Schieflage zu vermeiden. Eine Politik, die auf die Ausweitung von öffentlichen Beständen setzt, muss die entsprechenden Finanzierungsvoraussetzungen dafür schaffen. Wenn Ankauf und Neubau langfristig aus steigenden Mieten im Bestand finanziert werden sollen, ist die versprochene Ausweitung der öffentlichen Bestände eine Sackgasse für die soziale Wohnversorgung.


MieterEcho 426 / August 2022