Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 428 / November 2022

Kaum Wohnheimplätze, explodierende Mieten

Die studentische Wohnungsnot entwickelt sich zum Desaster

Von Tom Küstner

Anfang Oktober 2022 meldete das Deutsche Studentenwerk (DSW), der Dachverband der Studierendenwerke, dass kurz vor Beginn des Wintersemesters noch mindestens 35.000 Studierende bundesweit auf Wartelisten für einen Wohnheimplatz stehen.   

Rund 176.000 Studierende leben zum Wintersemester 2022/23 in Berlin. In den 32 Wohnheimen des Berliner Studierendenwerkes stehen ihnen knapp 9.200 Wohnplätze zur Verfügung. Die Unterbringungsquote in Wohnheimen liegt für Berliner Studierende damit bei etwas mehr als 5% und bildet damit bereits seit vielen Jahren das Schlusslicht aller Bundesländer. Der bundesweite Durchschnitt lag 2021 bei 9,45%.

Die Ursache hierfür ist, dass die Zahl der Studierenden in der Hauptstadt zwar kontinuierlich angestiegen ist, der Senat es jedoch versäumt hat, dies auch mit einem entsprechenden Ausbau der Wohnheimplätze zu begleiten. Die Folge ist, dass es zu langen Wartelisten kommt. Mitte September meldete das Studierendenwerk Berlin bereits mehr als 3.800 Studierende auf der Warteliste. Dass man ein, zwei oder sogar drei Semester auf einen Wohnplatz warten muss, ist keine Seltenheit. 

Bei der Vergabe der Wohnheimplätze werden mit den Studierenden Pauschalmieten über einen festen Zeitraum vereinbart. Diese Pauschalmiete enthält die Kaltmiete, die Nebenkosten und auch die Kosten für Heizung, Wasser und Strom, sowie in manchen Fällen den Internetanschluss.

Waren diese Verträge in der Vergangenheit oft auf zwei Jahre befristet, werden mittlerweile immer öfter nur noch Ein-Jahres-Verträge abgeschlossen und höhere Heizkosten zusätzlich auf die neuen Mieten umgelegt.

Wie hoch die Mietsteigerung dabei ausfällt, ist abhängig von der Heizungsart. Von den 32 Berliner Wohnheimen heizen 14 mit Gas und 18 mit Fernwärme. Für die Bewohner/innen in den Wohnheimen mit Gas-Heizung bedeutet dies, dass die durchschnittlichen Mieten bei Neuverträgen von bisher 267 Euro im Monat ab dem 1. November 2022 in einem ersten Schritt um durchschnittlich 110 auf 378 Euro erhöht werden. Bei den Wohnplätzen mit Fernwärme fällt die Erhöhung mit durchschnittlich 60 Euro etwas niedriger aus.

Hohe Armutsquote bei Studierenden

Jana Judisch vom Studierendenwerk Berlin beschreibt, dass „die massiv gestiegenen Kosten viele Studierende in einer Lage trifft, die für viele vorher bereits sehr prekär war.“ Dem Berliner Senat musste das Studierendenwerk infolge der gestiegenen Kosten einen Finanzierungsmehrbedarf für 2023 von bisher 13,3 Millionen Euro mitteilen. Bisher bleibt dem Studierendenwerk keine andere Möglichkeit, als diese Kosten direkt auf die Bewohner/innen umzulegen. Aus formalen Gründen kann sich das Studierendenwerk als Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) zur Überbrückung nicht verschulden oder Kredite aufnehmen. Ob das Land Berlin den Mehrbedarf ganz oder zumindest teilweise übernehmen wird, ist bisher nicht sicher. Hinzu kommt, dass es sich bei dem bisherigen Betrag um eine grobe Schätzung aufgrund der bisherigen Preisentwicklung handelt. Sollte sich die Preisdynamik weiter fortsetzen, kann es sein, dass die Mieten noch weitere Male angehoben werden. 

Im Mai 2022 veröffentliche die Forschungsstelle des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes eine Kurzexpertise unter dem Titel „Armut von Studierenden in Deutschland“, in der alarmierende Entwicklungen benannt werden und dargestellt wird, dass die bisherigen Initiativen der Bundesregierung zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation von Studierenden alles andere als ausreichend sind.

Bereits Auswertungen von Daten aus dem Erhebungsjahr 2020 zeigen, dass rund 30% aller Studierenden in Deutschland als von Armut betroffen eingeschätzt werden müssen und die Armutsquote bei Studierenden mit 16,8% deutlich höher als bei der Gesamtbevölkerung ist. Die Armutsgrenze liegt dabei bei 1.266 Euro. Die Studierenden verfügen im Vergleich dazu lediglich über ein Median-Einkommen von 802 Euro. 

Im Juni 2022 hat der Bundestag eine BAföG-Reform und damit sowohl eine Erhöhung der BAföG-Sätze als auch eine Ausweitung der Anzahl von BAföG-Berechtigten beschlossen. Beides ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, schließlich kritisieren Studierendenvertretungen, Studierendenwerke und Sozialverbände bereits seit Langem, dass die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz viel zu niedrig sind und zu wenige Studierende in den Kreis der Anspruchsberechtigten fallen.

Die jetzt beschlossenen geringen Verbesserungen bleiben jedoch weit hinter dem zurück, was nötig wäre, um seit Jahren klaffende Lücken zu schließen und den im Jahr 2022 entstandenen zusätzlichen Preissteigerungen bei Mieten, Lebensmitteln und Energiekosten annähernd gerecht zu werden.

Zweimal sollten Studierende, die BAföG erhalten, im Rahmen der Entlastungspakete der Bundesregierung einen Heizkostenzuschuss erhalten. Einmalig 230 Euro im Februar/März 2022 mit dem Entlastungspaket I und jetzt seit September einmalig 345 Euro mit dem Entlastungspaket III. Die tatsächliche Auszahlung verzögerte sich aber in der Praxis immer wieder erheblich und wurde so für die Empfänger/innen zur Geduldsprobe. Außerdem erhalten lediglich 11% der Studierenden überhaupt BAföG. Für alle übrigen Studierenden brachte dieses Instrument daher keine Entlastung.

Dabei befinden sich Studierende individuell in sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen Ausgangssituationen und Lebenslagen. In weiteren gesellschaftlichen Rollen als Autofahrer/innen (Tankrabatt), Nutzer/innen des ÖPNV (Neun-Euro-Ticket) oder als steuerpflichtige Erwerbstätige (300 Euro Energiepreispauschale) konnten sie teilweise weitere Entlastungen in Anspruch nehmen. Ähnlich ist es bei der individuellen Wohnsituation. Da nur gut 5% der Studierenden in Berlin in einem Wohnheim unterkommen, müssen sich 95% auf dem privaten Wohnungsmarkt versorgen.

Laut einer Untersuchung des Internetportals Immowelt bezahlen Studierende in Berlin jetzt für eine Wohnung durchschnittlich 570 Euro im Monat und damit 10% mehr als noch zum Wintersemester 2021/22. Studierende, die in ein WG-Zimmer ziehen, zahlen kaum weniger. Im Schnitt liegt die Miete hier bei 550 Euro. Das hat das Moses-Mendelssohn-Institut gemeinsam mit dem Internetportal „WG-gesucht.de“ im September 2022 errechnet.

Strukturelle Missstände

Nimmt man den Maßstab der Mietbelastungsquote, nachdem die Bruttokaltmiete höchstens 30% des Nettoeinkommens betragen sollte, ernst, wird deutlich, dass Studierende hierfür über ein monatliches Einkommen von rund 1.600 Euro verfügen müssten. Diesen Betrag haben jedoch nur die Allerwenigsten und sehr selten ohne einen entsprechenden familiären Hintergrund. 

Vielen politisch Aktiven in Strukturen der studentischen Selbstverwaltung, wie dem „Freien Zusammenschluss von Student*innenschaften“ auf Bundesebene, der Landes-Asten-Konferenz Berlin (LAK), oder in Referaten, Gremien und Fachschaftsinitiativen ist dabei bewusst, dass der Wohnungsnot in den Städten allgemein und der studentischen Wohnungsnot im Besonderen nicht allein auf verwaltungsrechtlicher oder individueller Ebene begegnet werden kann, sondern es sich hierbei um grundsätzliche politische Fragen wirtschaftlicher Ungleichverhältnisse und ungleicher gesellschaftlicher Teilhabe handelt, die auch politisch beantwortet werden müssen.

Strukturelle, gesellschaftliche Missstände haben sich als Folge einer Gesellschaftsorganisation, die allein auf Marktlogik und Profitinteressen fokussiert ist und auf Ausbeutung beruht, bereits seit langer Zeit aufgebaut.

Bereits im September 2019 hatte die Arbeitsgruppe Wohnen der LAK Berlin ihre Broschüre „Gegen die zulassungsbeschränkte Stadt – Ein studentischer Blick auf Wohnungsnot“ herausgegeben, die als ein kleines Manifest junger Wissensarbeiter/innen in ihrem Kampf um ein Recht auf Stadt aufgefasst werden kann und allen Betroffenen als Lektüre zu empfehlen ist.

Die Wohnungsfrage ist aktuell zu einem der wichtigsten sozialen Missstände geworden. Wenn die Wohnkosten so belastend sind und Studierenden dauerhaft ein sicheres und gesundes Zuhause fehlt, dann fehlt eine der Grundvoraussetzungen auch für ein erfolgreiches Hochschulstudium.  

 

Tom Küstner studierte Philosophie, Soziologie und Neuere Geschichte in Berlin. Er ist seit vielen Jahren in wohnungs- und mietenpolitischen Initiativen in Berlin aktiv.


MieterEcho 428 / November 2022

Teaserspalte

Berliner MieterGemeinschaft e.V.
Möckernstraße 92
10963 Berlin

Tel.: 030 - 21 00 25 84
Fax: 030 - 216 85 15

Email: me(at)bmgev.de

Ferienwohnungen

Unsere Umfrage

Falls sich eine oder mehrere Ferienwohnung(en) in Ihrem Haus befinden, berichten Sie uns davon und schildern Sie Ihre Erfahrungen in unserer Online-Umfrage.