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MieterEcho 422 / Februar 2022

„Hände weg vom Wedding“

Die Stadtteilinitiative verbindet Mietenpolitik und Arbeitskämpfe

Von Peter Nowak

Die Initiative „Hände weg vom Wedding“ (HwvW) wurde 2012 von jüngeren Menschen gegründet, die gegen die zunehmende Gentrifizierung im alten Arbeiterviertel Wedding aktiv werden wollten. Weil sie reale Probleme im Stadtteil aufgreift, wurde HwvW zum Anlaufpunkt für Weddinger Mieter/innen, die von Verdrängung betroffen sind.

„Ein großer Erfolg war der Kampf der Mieter/innen in der Koloniestraße 2-8 gegen angekündigte Mieterhöhungen von 100% für fast 500 Haushalte im Jahr 2015“, erinnert sich HwvW-Aktivist Marcel Schwartz. Durch öffentlichkeitswirksame Aktionen wurde die drohende Vertreibung von Mieter/innen mit geringen Einkommen berlinweit zum Thema und konnte verhindert werden. Seitdem hat HwvW häufig Mieter/innen beim Kampf gegen Verdrängung unterstützt, so im letzten Jahr Bewohner/innen von Häusern, die vom schwedischen Konzern Heimstaden aufgekauft wurden.

In der Initiative „Mietenwahnsinn Nord“, die Teil von HwvW ist, engagiert man sich gegen Leerstand. In einer Petition wird kritisiert, dass zahlreiche gut erhaltene Wohnhäuser in Berlin leerstehen, während gleichzeitig viele Menschen dringend eine Wohnung suchen. Initiiert wurde sie von der Initiative Mietenwahnsinn Nord. Dort haben sich Mieter/innen aus dem Wedding, Moabit und Reinickendorf zusammengeschlossen, um den Leerstand von Wohnungen zu bekämpfen. Um die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, werden in der Umgebung Flyer verteilt oder wie vor der Osloer Straße 116 a und der Stettiner Straße 38 Kundgebungen organisiert.  

Doch das Ziel von HwvW ist eine längerfristige linke Stadtteilarbeit statt linker Kampagnenpolitik, die oft schnell verpuffen würde. Vier kontinuierlich arbeitende Kommissionen befassen sich in der Stadtteilgruppe mit den Themen Mieten/Wohnen, Arbeitskämpfe, Feminismus und Kampf gegen Faschismus und Rassismus. Die dort entwickelten Vorschläge wurden in einem Forderungskatalog unter dem Motto „Solidarisch leben und arbeiten statt Krisenwirtschaft“ zusammengefasst und als knapp 20-seitige Broschüre im Wedding verteilt. Dabei ist es HwvW wichtig, nicht in linken Szeneläden sondern, auf den Plätzen des Stadtteils präsent zu sein. So werden von der Stadtteilgruppe im Sommer Filmabende auf dem Leopoldplatz organisiert, die großen Anklang finden. Dabei stellte sich heraus, dass ein Teil des Platzes im Besitz der dort ansässigen Kirche ist, die politische Veranstaltungen untersagen wollte. 

Treffpunkt Kiezhaus

Mit dem Kiezhaus Agnes Reinhold, das nach einer Weddinger Frühsozialistin benannt ist, hat sich HwvW selber einen Raum für linke Politik im Wedding geschaffen. Dort beraten sich Mieter/innen, deren Haus verkauft wurde ebenso wie Krankenhausbeschäftigte oder Kurierfahrer/innen, die sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen wehren. Unter dem Motto „Ein Kiez kämpft um sein Krankenhaus“ hat sich HwvW im Spätsommer mit dem Arbeitskampf der Krankenhausbeschäftigten solidarisiert. Kürzlich hat die Initiative sich mit der „Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht“ (BAGA) zusammengeschlossen. Jedes Jahr am 30. April organisiert HwvW gemeinsam mit anderen Weddinger Initiativen eine Demonstration, auf der die jeweils aktuellen Kämpfe sichtbar werden. An der Geschichte dieser Demonstration lässt sich auch die Entwicklung der Stadtteilgruppe ablesen. 2012 startete die Demonstration noch als „antikapitalistische Walpurgisnacht“ und war subkulturell geprägt. Seitdem hat sich nicht nur der Name sondern auch der Kreis der Teilnehmenden geändert. In den letzten Jahren treffen auf der Demo Mieter/innen auf Beschäftigte im Arbeitskampf und auf junge Antifaschist/innen. Schon längst hat die Demonstration Ausstrahlung über den Stadtteil hinaus. Das gilt auch für HwvW, die im zehnten Jahr ihres Bestehens von Marcel Schwartz als „Gruppe mit einer sozialistischen Orientierung, die sich an rätekommunistischen Modellen orientiert“, klassifiziert wird.  

 

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MieterEcho 422 / Februar 2022