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MieterEcho 423 / April 2022

Für wen zu welchem Preis?

Das Berliner Umland braucht dauerhaft bezahlbare Wohnungen, Bodenpreisdämpfung und Mobilitätsalternativen

Interview mit Katrin Lompscher

MieterEcho: Frau Lompscher, Sie beschäftigen sich schon lange mit dem Thema Wohnungspolitik. Hofft der Senat das Berliner Wohnungsproblem im Umland lösen zu  können?

Katrin Lompscher: Für den aktuellen Berliner Senat kann ich nicht mehr sprechen, aber für meine Zeit ist ganz klar zu sagen, diese Hoffnung gab es nie. Berlin und Brandenburg sind selbstständige staatliche Einheiten und für die räumliche Entwicklung gilt sowieso das Prinzip der kommunalen Selbstbestimmung. Berlin muss seine Probleme in Berlin lösen, Brandenburg in Brandenburg. Allerdings ist Berlin keine Insel und Brandenburg hat kein Loch in der Mitte. Also ist es ganz klar, dass man jeweils über den eigenen Tellerrand schauen muss. Beide müssen die Themen, die beide Seiten berühren, in enger Abstimmung und Kooperation bearbeiten.

Welche Entwicklungspotenziale für Wohnungsbau sind denn in Berlin und Brandenburg vorhanden?

Für Berlin ist in meiner Amtszeit der Stadtentwicklungsplan Wohnen erneuert worden. Dort sind stadtweit Wohnungsbaupotenziale von über 200.000 Wohnungen festgestellt worden. Diese können unter vernünftigen stadtverträglichen Bedingungen gebaut werden. Ich würde sogar sagen, dass es darüber hinausgehende Potenziale gibt. Wenn man sich in Gebieten mit einer geringen baulichen Dichte nach und nach für eine städtische Bauweise entscheidet.

Das kommunale Nachbarschaftsforum, ein Zusammenschluss von Brandenburger Gemeinden und Landkreisen und Berliner Bezirken, hat für das Berliner Umland ein Wohnungsbaupotenzial von über 80.000 Wohnungen ausgemacht, das kurz-, mittel- und langfristig entwickelbar ist. 

Meine These ist, dass es weder in Berlin noch in Brandenburg ein Flächenproblem gibt. Das Problem besteht auf einer anderen Ebene: Wem gehören die Flächen, wer baut dort, für wen wird dort gebaut, zu welchen Preisen wird dort gebaut?

In Berlin, aber auch in Brandenburg, werden vor allem dauerhaft bezahlbare Mietwohnungen benötigt. Hat die Politik Instrumente, diese zu schaffen?

Eine dauerhafte Bezahlbarkeit sichert man ausschließlich durch gemeinwohlorientierte Wohnungsmarktakteure. Eine Wohnungsbauförderung ist nur eine befristete Mietbegrenzung, auch wenn die Frist sehr lang sein kann. Wenn man dauerhaft preiswerten Mietwohnungsbestand anstrebt, müssen öffentliche, kommunale, genossenschaftliche Wohnungsbauakteure gestärkt werden. Denen kann man mit Bauland, Wohnungsbauförderung usw. unter die Arme greifen, damit sie bauen und Bestände bezahlbar halten können. 

Wenn man private Bauherren in die soziale Wohnraumversorgung einbeziehen möchte, dann kann man das natürlich tun, indem man bei der Schaffung von Baurecht und bei der Mobilisierung von Bauland entsprechende soziale Vorgaben macht. Bei der Aufstellung von Bebauungsplänen besteht die Möglichkeit, eine Quote für sozial geförderten Wohnungsbau aufzunehmen. Wenn man öffentliche Flächen zur Verfügung stellt, ob in Erbpacht oder zum Verkauf, kann man in den entsprechenden Grundstücksverträgen soziale Vorgaben sichern. Dies ist über einen viel längeren Zeitraum als mit Wohnungsbaufördermitteln möglich. Es gibt also Steuerungsinstrumente der öffentlichen Hand, aber sie erfordern politische Beschlüsse, finanzielle Ressourcen und eine rechtssichere Planung.

Eine direktere Steuerung wäre durch öffentliche Wohnungsbaugesellschaften möglich. Sind die Berliner landeseigenen Wohnungsbauunternehmen (LWU) in Brandenburg aktiv?

Einige Berliner LWU haben schon in Brandenburg gebaut oder planen dies. Einige lehnen dies ab, weil sie ihren Schwerpunkt ausschließlich auf Berlin legen. Berliner LWU sollen sich in Brandenburg engagieren können, wenn die jeweilige Kommune das auch will und sie sozial geförderten Wohnraum errichten. Ihre Aktivitäten in Brandenburg sollten ihre Aufgaben in Berlin nicht beeinträchtigen. Die Berliner LWU spielen in Brandenburg aber eine untergeordnete Rolle.

Und wie steht es mit öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften aus Brandenburg? 

Zum Glück gibt es noch einige kommunale Wohnungsbaugesellschaften in Brandenburg. An der einen oder anderen Stelle, wo es sie nicht oder nicht mehr gibt, wird auch darüber nachgedacht neue öffentliche Gesellschaften zu gründen. Soweit ich weiß, wird auch in der Brandenburger Politik darüber diskutiert, ob eine Landesgesellschaft unterstützend für Kommunen sein könnte, die für die Gründung eigener Gesellschaften kein Geld haben. 

Ein Problem für bezahlbaren Wohnungsbau sind die Baulandpreise, die auch im Berliner Umland stark gestiegen sind. Gibt es Möglichkeiten staatlicher Regulierung?

Das Thema Bodenpreisdämpfung weist weit über Berlin und Brandenburg und übrigens auch weit über das Thema Bauen hinaus, weil es genauso landwirtschaftliche Flächen und Flächen mit Bodenschätzen betrifft. Bodenspekulation politisch zu bekämpfen ist aus meiner Sicht eine Jahrhundertaufgabe, der man sich endlich annehmen muss. Bodenspekulation beeinträchtigt nicht nur den Wohnungsbau, sondern auch die Weiterentwicklung der Verkehrsinfrastruktur und die Nahrungsmittelversorgung.

Es muss politisch geregelt werden, dass Boden, wenn er in privater Hand ist, bei der Nutzung dennoch dem Allgemeinwohlinteresse dient. Er ist ein nicht vermehrbares Gut und die planungsrechtlichen Möglichkeiten, Bodenpreise zu begrenzen, sind enorm reduziert. Man kann über städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen Bodenpreise einfrieren, aber da würden wir die überhöhten Bodenpreise einfrieren, d.h. das ist kein Senkungsmechanismus. Zudem ist der administrative Aufwand so hoch, dass viele Kommunen ihn scheuen. Aber es ist zum jetzigen Zeitpunkt das Einzige, was man machen kann. 

Deshalb ist es wichtig, dass man im Baugesetzbuch die Möglichkeiten des kommunalen Vorkaufsrechts schärft, um nicht zum Marktpreis zu erwerben. Man muss Möglichkeiten der Bodenbewertung schaffen, die auf die künftige Nutzung aus sind, sodass man den Bodenpreis tatsächlich dämpfen kann. Das ist Zukunftsmusik, aber wir werden nicht darum herum kommen.

Wer erstellt die gemeinsame Landesplanung und was kann dabei festgelegt werden? In welchen Zeiträumen
wird geplant?

Die „Gemeinsame Landesplanungsabteilung“ für Berlin und Brandenburg gibt es seit 1996. Dass es sie erst seit 1996 gibt, ist ein Zeichen dafür, wie schwierig es war, sich über die Aufgaben und Befugnisse dieser Behörde zu einigen. Man hat sich letztlich darauf verständigt, dass sie gemeinsame Ziele der Landesentwicklung im sogenannten Landesentwicklungsprogramm festlegt. In Landesentwicklungsplänen wird die Hierarchie der zentralen Orte in Brandenburg, ihr Verhältnis zu Berlin und die Infrastruktur bestimmt. Mit der Festlegung von Siedlungsfläche und Freiraum wird ein wichtiges Instrument für eine ökologische Raumentwicklung geschaffen. Das findet im groben Maßstab statt und nicht als grundstücksscharfe Festlegung.
Daneben gibt es einige Spezialpläne wie den Flughafenstandort oder die Braunkohlesanierungspläne. Regionale Akteure, wie der Zusammenschluss der Regionalparks, also der Freiräume, die sich zwischen den Siedlungsachsen aus Berlin ins Umland entwickeln, werden bei der Landschafts-, Tourismus- und Infrastrukturentwicklung unterstützt. Für einige Siedlungsachsen gibt es kommunale Entwicklungskonzepte. Mit diesen werden Gemeinden unterstützt, mit gemeindeübergreifenden räumlichen Plänen die Landesplanung zu konkretisieren.

Wie ist die Planung bzw. Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene?

Da gibt es verschiedene Ansätze. Voraussetzung ist immer, dass es einerseits ein großes raumwirksames Vorhaben gibt, welches Koordinierungs- und Planungsbemühungen notwendig macht und der gemeinsame Wille der kommunalen Akteure.
Eines der jüngsten Beispiele ist die Ansiedlung der Tesla-Fabrik in Grünheide. Dafür hat die Landesplanungsabteilung initiiert, dass sich die Umlandgemeinden, Landkreise und die benachbarten Berliner Bezirke und die Länder Berlin und Brandenburg auf ein gemeinsames räumliches Entwicklungskonzept verständigen. Ähnliches gibt es um das Flughafenumfeld Schönefeld und für einige der Siedlungsachsen, zum Beispiel im Norden Richtung Wandlitz.

Die Bebauung im Umland soll in Gemeinden entlang der bestehenden Bahntrassen, dem sogenannten Siedlungsstern, erfolgen. Ist das nicht genau das, was viele Brandenburger/innen befürchten, die Fixierung auf Berlin als Zentrum?

Der Siedlungsstern ist nicht nur Leitbild, sondern schlicht und ergreifend ein Fakt, er ist historisch gewachsen. Und natürlich hat Berlin da eine Zentralität, die nicht zu negieren ist. Aber es hat sich  herausgestellt, dass es entlang dieser Siedlungsachsen weitere Knoten gibt, die dafür sorgen, dass auch die jeweiligen ländlichen Regionen partizipieren. Ich würde sagen, es gibt gar keine Alternative zu einem solchen räumlichen Entwicklungsleitbild, weil die schienengebundenen Verkehrsachsen die Nachhaltigkeit unterstützen. Das heißt aber nicht, dass diese Achsen, die auf Berlin zulaufen, lediglich die Funktion haben, das Zentrum dieses Siedlungsraumes mit allem Notwendigen zu versorgen.

Welche gemeinsamen und unterschiedlichen Interessen haben Berlin und Brandenburg?

Aus meiner Erfahrung würde ich immer sagen, Berlin hat eine sehr starke Neigung, überhaupt nur auf sich selbst zu schauen. Das ändert sich, sobald man sich in Randlagen Berlins bewegt, weil dort kommunale Nachbarschaftsfragen aller Art diskutiert werden müssen.

Aus Brandenburger Perspektive besteht vor allem die große Sorge, dass das Land aufgeteilt wird in die Regionen, die sich im Ausstrahlungsraum Berlins befinden und in die sogenannten peripheren Räume. Das Auseinanderdriften von Berliner Umland und berlinferneren Regionen mit strukturpolitischen Mitteln zu verhindern, ist für Brandenburg ein ganz zentrales Thema.

Zwischen Berlin und Brandenburg gibt es ein enormes Gehaltsgefälle und nicht wenige Brandenburger/innen fürchten die Konkurrenz zuziehender zahlungskräftiger Berliner/innen. Sind einkommensschwache Brandenburger/innen die Verlierer/innen?

Ich würde nicht so sehr zwischen Brandenburger/innen und Berliner/innen differenzieren. Denn die Konkurrenz zwischen Leuten mit viel und wenig Geld gibt es gleichermaßen in Berlin. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Die Konkurrenz zwischen einkommensstarken und einkommensschwachen Wohnungsbewerber/innen, die wir in Berlin schon seit langer Zeit kennen, wird in Brandenburg stärker werden. Statt die Konkurrenz zwischen Berliner/innen und Brandenburger/innen in den Vordergrund zu stellen, wäre ich dafür, zu der Ursprungsfrage zurückzukehren, wie man dauerhaft bezahlbaren Mietwohnraum, in Brandenburg meinetwegen auch das Häuschen, für alle Einkommensgruppen vernünftig organisiert bekommt.

Schon jetzt pendeln täglich über 200.000 Menschen nach Berlin und fast 100.000 nach Brandenburg. Wie soll die Verkehrsinfrastruktur einen weiteren Zuwachs verkraften?

In Berlin gibt es ein relativ gut funktionierendes Regional- und S-Bahnnetz, das auch in Brandenburg eine relativ hohe Abdeckung hat. Die Angebote müssen aber ausgebaut werden. Zum Teil heißt das nicht nur Takte erhöhen, sondern auch Infrastruktur ausbauen. Auf eingleisigen Strecken kann man eben nicht mehr Züge fahren lassen. 

Seit zwei Jahren gibt es die Initiative „i2030“ von Berlin, Brandenburg und Bund, die die Schieneninfrastruktur in Berlin und Brandenburg ausbauen soll. Der Umfang ist deutlich größer als in den Jahren zuvor, aber dennoch zu wenig. 

Auch der Umstieg vom privaten PKW auf die Züge des Nahverkehrs muss attraktiver werden. Dabei müssen wir über Tarife reden, weil auf vielen Strecken die Fahrt mit dem PKW nicht nur schneller, sondern auch billiger ist.

Wie müsste das Berliner Umland entwickelt werden, sodass möglichst breite Teile der Bevölkerung einen Vorteil davon hätten?

Wir haben ja vorhin schon festgehalten, dass es notwendig ist, Wohnungsmarktakteure zu unterstützen, die langfristig bezahlbaren Bestand halten, wie städtische Gesellschaften, Genossenschaften und Mieterinitiativen. Dazu benötigen wir gerade im Berliner Umland eine Bodenpreisbremse und auch eine Baulandbremse, also den Ausgleich von bebauten und freizuhaltenden Flächen. Im Berliner Umland braucht es eine ökologische Stabilität und hierfür Mobilitätsalternativen zum privaten PKW. Ob Stadt, Umland oder Land: Alle sollen gut von A nach B kommen, und alles, was fürs Leben notwendig ist, in einer Umgebung haben, die sie entweder zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen können.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Andreas Hüttner.

 

Katrin Lompscher war von 2016 bis 2020 Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen in Berlin. Bereits seit 1996 war sie in verschiedenen stadtpolitischen Tätigkeiten und Funktionen aktiv.
Als Mitarbeiterin der Bauakademie, später des Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung mit Sitz in Erkner, befasste sie sich schon Anfang der 1990er Jahre mit der gemeinsamen Landesplanung von Berlin und Brandenburg.


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