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MieterEcho 424 / Mai 2022

Elektromobilität beschleunigt den Klimawandel

Acht Antithesen

Von Winfried Wolf

Immer, wenn die Weltautobranche eine Glaubwürdigkeitskrise erlebt, präsentiert sie eine neue Reformidee. Katalysator. SwatchCar. Biosprit. Aktuell ist dies das Elektro-Auto, veredelt als „Elektromobilität“ . Allen diesen „inneren Reformen“ der Autogesellschaft gemein ist: Sie dienen einem grün lackierten Weiter-so. Was mit acht Anti-Thesen zu belegen ist.

1. Ökologischer Rucksack // Beim Bau eines Elektroautos werden zwischen 3 und 8 Tonnen mehr CO2 emittiert als bei der Herstellung eines gleich großen Benzin- oder Dieselfahrzeugs. Grund: die extrem energieintensive Herstellung der Batterie. Dieser „ökologische Rucksack“ muss erst abgefahren werden. Im Fall eines relativ kleinen Renault Zoe sind dies rund 35.000, im Fall eines Tesla S gut 100.000 Kilometer.

2. Bescheidene CO2-Reduktion bei 1:1-Austausch // Die reine CO2-Bilanz eines E-PKW ist im Vergleich zu einem Benzin- oder Diesel-PKW nicht wesentlich günstiger – dann, wenn der gesamte Lebenszyklus des Autos betrachtet wird. Das Umweltbundesamt geht von maximal 30% CO2-Reduktion aus. VW nennt in seinem Automagazin Arrive Edition „50 Prozent, vorausgesetzt, man fährt mit Ökostrom“. Wobei es 100% Ökostrom selbst 2030 (noch) nicht geben wird.

3. Der Strom kommt aus der Steckdose // Die Behauptung, Elektromobilität könne bald aus erneuerbaren Energiequellen gespeist werden, ist fragwürdig. In Deutschland können wir vor dem Hintergrund des aktuellen Kriegs in der Ukraine froh sein, wenn der Atomstrom, der aktuell noch einen Anteil von 13% hat, nach dem Abschalten der AKW Ende 2022 durch einen entsprechenden Zuwachs bei den Erneuerbaren ersetzt wird. Denkbar ist, dass der Anteil von Kohlestrom gesteigert wird. Auf absehbare Zeit bleibt es bei mehr als 30% Strom aus fossilen Energieträgern (vor allem Kohle). Weltweit liegt der Anteil der fossilen Energieträger im Strom-Mix nochmals höher. In China bei gut 60%.

4. E-Autos als Zweitwagen  // Die grundlegenden E-PKW-Parameter (u.a. geringe Reichweite und lange Ladedauer) führen dazu, dass mehr als die Hälfte aller E-PKW Zweit- (und Dritt-)Wagen sind. Es handelt sich um Mobilitätsmittel für den gehobenen Mittelstand: für Leute, die über eine Garage mit Wallbox zum „intelligenten Stromtanken“ (z.B. nachts von 1-3 Uhr) verfügen. Typisch die Feststellung von Henning Kagermann, dem Leiter der „Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität (NPM)“ im Tagesspiegel-Interview vom 8. April 2019: „Wenn es dann mal [E-PKW-]Modelle gibt, die im Realbetrieb 400 km Reichweite haben, schaffe ich auch mein anderes Auto mit Verbrennungsmotor ab.“ Damit hat der deutsche Vorzeige-Papst der Elektromobilität mit seiner Mobilität einen ökologischen Fußabdruck, der erheblich größer ist als der eines Durchschnittsdeutschen.

5. Viele Elektro-PKW erhöhen die Stromnachfrage deutlich – auch die nach Kohle- und nach Atomstrom // Die von Peking, Brüssel und Berlin angepeilten Millionen Elektro-PKW erfordern einen Zubau von Stromkapazitäten. Und zwar in allen Bereichen: Zubau von Kohlestrom, Atomstrom und Ökostrom. Der Ukraine-Krieg – mit dem tendenziellen Wegfall russischer Gas-Importe – führt zur massiv gesteigerten Nachfrage nach Kohle- und Atomenergie. In der Ukraine selbst sollen nach dem Krieg vier neue AKW gebaut werden. Frankreich und Finnland wollen neue AKW bauen. In China befindet sich ein Dutzend AKW in Bau.

6. Die Abhängigkeit vom knappen Rohstoff Öl wird mit Elektromobilität ergänzt um die Abhängigkeit von anderen knappen Rohstoffen // Weltweit gibt es 2022 bereits rund 1,2 Milliarden PKW, davon mehr als 1,1 Milliarden Verbrenner. Diese Zahl wächst aktuell pro Jahr um gut 50 Millionen, davon mehr als 35 Millionen Verbrenner. Frühestens 2030 soll die Zunahme der Welt-PKW-Flotte mehrheitlich durch E-PKW stattfinden. Wobei es dann bereits weltweit 1,5 Milliarden Autos, davon rund 1,35 Milliarden Verbrenner sind. All das heißt: In der Autogesellschaft der Zukunft wird die Abhängigkeit  vom endlichen Rohstoff Öl mindestens so hoch wie aktuell bleiben – und dann noch ergänzt werden um die Abhängigkeit von anderen endlichen Rohstoffen, die für die Elektromobilität entscheidend sind: Kupfer, Lithium, Kobalt und verschiedene Seltene Erden. Kriege um Öl werden erweitert um Kobalt-Militäreinsätze und Lithium-Kriege.

7. Das Recycling von Elektro-PKW ist ungelöst – die Gefahren bei E-PKW-Unfällen sind enorm // Der Recycling-Prozess der Lithium-Ionen-Batterien ist energieintensiv und mit neuen CO2-Emissionen verbunden. Bernd Friedrich, Leiter des Instituts für Metallurgische Prozesstechnik und Metallrecycling der RWTH Aachen sagt: „Im Bleiakku steckt ein einziges Metall, das sich chemisch leicht trennen lässt. Aus Lithium-Ionen-Batterien dagegen wollen wir fünf verschiedene Metalle herausholen. Je geringer deren Anteile sind, desto aufwendiger wird es, sie zu trennen.“ Der Recycling-Prozess selbst wird 2019 im Nachrichtenmagazin Spiegel wie folgt beschrieben: „Das Recycling von Lithium-Ionen-Akkus funktioniert nach einem mehrstufigen Hightech-Verfahren. […] Die Zellen werden dabei zunächst auf 600 Grad Celsius erhitzt, damit unerwünschte Bestandteile verdampfen – sonst besteht Explosionsgefahr. Danach werden die Überreste geschreddert und mit Hilfe von Magneten und Sieben getrennt. Zurück bleiben kleine Häufchen aus Aluminium, Kupfer, Eisen und Nickel sowie […] eine Art schwarzer Schlacke, mitsamt dem Lithium.“

8. Die Systemnachteile von Autos bleiben dieselben – gleich welchen Antriebsstrang sie haben. // Auch wenn alle Autos in Los Angeles fette Tesla-Modelle oder knuffige Nissan Leaf-Modelle wären, so bliebe es in dieser Stadt bei der Durchschnittsgeschwindigkeit von 15 km/h und dem Dauerstau. Auch wenn die 1,2 Milliarden PKW auf dem Planeten Elektroautos wären, bliebe es bei 1,2 Millionen Straßenverkehrstoten und 100 Millionen Schwerverletzten im Jahr weltweit. Auch wenn in allen Großstädten die Verbrenner-PKW durch Elektro-PKW ersetzt werden würden, bliebe es bei einem Flächenverbrauch dieser Blechlawine, der mindestens vier Mal so groß ist wie im Fall einer Verkehrsorganisation, in der das Zufußgehen, das Radfahren und der öffentliche Verkehr im Zentrum stehen.

Die Bilanz lautet: Elektromobilität bringt in der Summe ein Mehr an CO2-Emissionen; sie wird begleitend bei der fortgesetzten Vergrößerung der Weltautoflotte eingesetzt. Der beschriebene ökologische Rucksack eines E-Autos führt dazu, dass im Fall eines Hochfahrens der Elektromobilität gerade dann massiv mehr CO2-Emissionen entstehen, wenn diese aufgrund der Zuspitzung der Klimakrise reduziert werden sollen. Der ökologische Rucksack eines E-PKW entsteht, wie beschrieben, bei der Batterieproduktion. Wenn nun ausgerechnet jetzt und bis 2025 nach Erwartungen der Propagandisten der E-Mobilität bis zu 150 Millionen E-PKW zusätzlich zur Welt-Auto-Flotte hinzukommen, dann werden bei deren Produktion zunächst zusätzliche 750 Millionen Tonnen CO2 emittiert (150 Millionen mal ca. 5 Tonnen). Dabei handelt es sich nur um die Mehrproduktion von CO2 bei diesen E-PKW im Vergleich mit herkömmlichen PKW. Noch nicht berücksichtigt sind dabei CO2-Emissionen, die es grundsätzlich bei der PKW-Herstellung gibt. Hinzu kommt, dass die Systemnachteile, die mit einem Auto immer verbunden sind, bestehen bleiben.

Wie sieht eine echte Verkehrswende aus?

Eine überzeugende Verkehrswende fühlt sich anders an. Etwa so: Anfang 2019 war der CDU-Oberbürgermeister der Stadt Münster auf Besuch im niederländischen Groningen. Er diskutierte mit dem dortigen Bürgermeister darüber, wie der Fahrradwege-Anteil in Münster von aktuell 40% auf das Groningen-Niveau von 60% gesteigert werden kann. Addiert man Fußgängerwege und ÖPNV-Fahrten, dann bleibt für PKW-Verkehr ein Restmarktanteil von 10% und weniger. Hier kann die Antriebsart elektrisch sein. Ein 3-Liter-Auto, wie es vor knapp 20 Jahren mit den Modellen Fox und Lupo von VW bereits gab, wäre dann auch denkbar. Der VW-Konzern erklärte damals sogar, man werde „das Ein-Liter-Auto bauen“. Und natürlich ist Carsharing dort, wo es PKW-Verkehr gibt, immer besser als Autos in Privatbesitz.

Grundsätzlich verdeutlicht der Ukraine-Krieg, dass wir die absolute Reduktion von Energie umgehend und in massivem Umfang in Angriff nehmen müssen. Und das heißt im Verkehrsbereich, dass das Zufußgehen, Radfahren und öffentliche Verkehrsmittel im Zentrum stehen müssen und dass Autoverkehr jeder Art radikal zu begrenzen und Flugverkehr zu einem großen Teil – durch eine Flächenbahn und durch Nachtzüge – zu ersetzen ist.

 

Winfried Wolf ist ein ehemaliger deutscher Politiker, Verkehrsexperte, Chefredakteur von Lunapark21 und Autor zahlreicher Bücher wie „Mit dem Elektroauto in die Sackgasse. Warum E-Mobilität den Klimawandel beschleunigt“.


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