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MieterEcho 422 / Februar 2022

„Die Werkzeuge der Herrschenden“

Das Großprojekt am Hermannplatz soll mit allen Mitteln durchgesetzt werden

Von Niloufar Tajeri

Am Hermannplatz zwischen Kreuzberg und Neukölln prallt der Traum der österreichischen Signa Holding, mit einem monumentalen Kaufhausneubau Bekanntheit, Frequenz, mehr Fläche und damit Profit zu schaffen, mit der tatsächlichen Realität vor Ort zusammen: Verdrängung, Mietenwahnsinn, Armut und soziale Ungleichheit. Der neue Senat verankerte trotz langjährigen Protests die Umsetzung des Projekts im Koalitionsvertrag. Der neue Senator für Stadtentwicklung und Wohnen, Andreas Geisel (SPD), möchte sogar in den ersten 100 Tagen der neuen Regierung einen vorhabensbezogenen Bebauungsplan aufstellen. 

Dabei lief die öffentliche Auftaktveranstaltung zur Grundlagenermittlung für die Erarbeitung eines Masterplanverfahrens im November letzten Jahres katastrophal. Das Verfahren wurde durch eine fragwürdige Absichtserklärung in Gang gesetzt, die im ersten Pandemie-Jahr zwischen dem Konzern und den Berliner Bürgermeister/innen Michael Müller (SPD), Ramona Pop (Die Grünen), und Klaus Lederer (Die Linke) unterzeichnet wurde. Darin wurde auf Druck der Signa Holding, die sechs Karstadt-Filialen in Berlin dauerhaft schließen wollte, grünes Licht für die Bauprojekte Signas u.a. am Hermannplatz gegeben, um im Gegenzug einen temporären Erhalt von drei anderen Filialen zu garantieren. Dass das keine gute Grundlage für einen Beteiligungsprozess ist, bekamen die Verantwortlichen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen vor Ort zu spüren. 

Die damalige Staatssekretärin Wenke Christoph und die Verwaltungsmitarbeitenden wiederholten gebetsmühlenartig, dass das Verfahren „ergebnisoffen“ sei, dass das Vorhaben von Signa ein „Investitionsprojekt“ sei und „Beteiligung“ ernst genommen würde für eine „gemeinwohlorientierte“ Stadtentwicklung – und dass die Absichtserklärung in diesem Verfahren keine Rolle spiele. Die Anwohnerschaft hätte hingegen die Möglichkeit, Wünsche, Ideen und Fragen einzubringen. Die Reaktion der fassungslosen Anwohnenden lässt sich mit einem Zitat zusammenfassen: „Ihr spielt hier ‚Wünsch‘ Dir was‘, obwohl schon ganz viel entschieden wurde.“

Erst am Ende der Veranstaltung gaben die Verantwortlichen auf Nachfrage preis, dass der Senat die Planungsbefugnis an sich gezogen und dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg entrissen hatte. Im Anschluss an diese Auftaktveranstaltung fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit fünf „Zielgruppenwerkstätten“ innerhalb von zwei Wochen statt, die die Ziele, Themen und Erfordernisse für eine Planung am Hermannplatz  definieren sollten. Auch die Online-Befragung wurde innerhalb dieser kurzen Zeit abgewickelt. 

Und nun möchte die neue Senatsverwaltung von Andreas Geisel alles noch schneller über die Bühne bringen: mit einem „vorhabensbezogenen Bebauungsplan“. Dieses hochproblematische Planungsinstrument ist auf die rasche Umsetzung von Investorenwünschen ausgelegt, die eine gerechte Abwägung zwischen öffentlichem Interesse und privatwirtschaftlichen Einzelinteressen gänzlich verhindert;  Verfahrensbeschleunigungsinstrumente erlauben zudem, Beteiligung weiter auszuhebeln.

Besänftigung und Ablenkung

Der Senat agiert am Hermannplatz als ideeller Gesamtkapitalist: es gilt die Interessen von Wachstum und ständiger Auf- bzw. Verwertung voranzubringen – und dabei dem eigenen Handeln, in diesem Fall sehr ungeschickt, einen demokratischen und gemeinwohlorientierten Anstrich zu geben. Eine Kritik an Beteiligungsprozessen sollte hier nicht als Kritik an Formaten und Details missverstanden werden – es geht um eine generelle Kritik der staatlichen Organisation von Raum und Ressourcen. Beteiligung ist darin lediglich ein Kommunikationsformat zur Besänftigung und Ablenkung der Betroffenen. Oder um mit Audre Lorde zu sprechen: „Die Werkzeuge der Herrschenden werden das Haus der Herrschenden niemals einreißen“.

Eine der großen Verfechterinnen des Projekts, Franziska Giffey, ist nun Regierende Bürgermeisterin, die neue Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt ist als konservative Rekonstruktions-Befürworterin bekannt und Andreas Geisel für Razzien und Schwerpunkteinsätze der Polizei in Neukölln. Ein neues Gutachten der Technischen Universität Berlin stellt zwar fest, dass die Absichtserklärung nicht bindend ist, aber Giffey, Geisel und Kahlfeldt in den politisch und strategisch wichtigen Positionen wollen die Vereinbarung sicherlich umsetzen: Der vorhabensbezogene Bebauungsplan wird schon in die Wege geleitet, der historisierende, monumentale Bau wäre die Konsequenz. Das in den ersten 100 Tagen des neuen Senats zu erledigen, wäre nach einem so konfliktreichen stadtpolitischen Konflikt ein Skandal, der dem autoritären Planungsverständnis der Berliner SPD eine neue Qualität gibt. 

 

Niloufar Tajeri ist Architektin, Architektur-theoretikerin und Aktivistin und lebt in Berlin. Sie lehrt und forscht zu den Themen Postwachstum, urbane Aufstände und struktureller Rassismus in der Architektur- und Planungspraxis.


MieterEcho 422 / Februar 2022