Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 427 / Oktober 2022

Die Preise steigen – die Wut nimmt zu

Mehr Unterstützung bei Energie- und Lebensmittelkosten gefordert

Von Anne Seeck

Besonders Menschen in der Grundsicherung, Armutsrentner/innen und Geringverdienende sind von den aktuellen Preissteigerungen extrem bedroht. Im dritten Entlastungspaket wurden zwar unter anderem Wohngeldbeziehende und Rentner/innen bedacht, für Menschen in der Grundsicherung sieht es dagegen düster aus. „Die angekündigte Anhebung der Grundsicherung auf knapp 500 Euro ab dem 1. Januar 2023 ist allenfalls ein schlechter Witz“ , empörte sich Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, am 4. September in einer Stellungnahme. Sein Verband fordert 200 Euro mehr monatlich für Menschen, die auf die Grundsicherung angewiesen sind.

Die beginnenden Proteste gegen den Preisanstieg sollten sich der Situation dieses Teils der Bevölkerung stärker widmen und gemeinsam mit den Betroffenen um ein menschenwürdiges Leben kämpfen. Die Kosten für Strom und Gas müssen die Menschen in der Grundsicherung aus dem Regelbedarf bezahlen, der aktuell monatlich 449 Euro beträgt. Die Betroffenen sind deshalb gezwungen, die Kostenerhöhungen an anderen Stellen zu kompensieren. Aber wo? Denn im Rahmen des „Regelsatzes“ soll ja auch noch angespart werden – für die Waschmaschine, den Kühlschrank, den Computer usw. Es darf eigentlich nichts kaputtgehen. Viele besitzen daher alte, ineffiziente Geräte, die für hohe Energiekosten sorgen. Die monatliche Hartz IV-Pauschale eines Alleinstehenden für Energie beträgt 36,42 Euro: Diese muss drastisch erhöht werden. Ein Verbot von Gas- und Stromsperren ist notwendig. Zudem sollten für alle Sozialleistungsbeziehenden, auch die Wohngeldempfänger/innen, die tatsächlichen Heizkosten übernommen werden. Es bedarf eines Energiepreisdeckels, denn der Grundbedarf an Strom und Gas muss für alle Menschen bezahlbar bleiben. Der DGB schlägt zum Beispiel vor, dass pro Haushalt 7.000 kWh Gas pro Jahr zur Verfügung stehen, für jede weitere Person im Haushalt kommen 2.000 kWh hinzu. Der Preis für diese Menge solle auf 9 ct/kWh begrenzt werden. 

Nur fünf Euro pro Tag fürs Essen

Die steigenden Lebensmittelpreise sind für viele Menschen kaum noch zu bewältigen. Eine alleinerziehende Hartz IV-Bezieherin erzählt in der taz vom 22. Juni 2022, wie wichtig es für sie ist, dass ihre Tochter kein Obst und Gemüse entbehren muss: „Daher verzichte ich dann auf eine Mahlzeit – ich esse immer die Reste von meinem Kind.“ Für alleinstehende Grundsicherungsbeziehende sind im Regelsatz für Ernährung 5,19 Euro am Tag vorgesehen. Kinder bis fünf Jahren erhalten 3,29 Euro. Sozialverbände kritisieren schon länger, dass viele Menschen, die vom Regelsatz leben müssen, unter einer Mangelernährung leiden. Sogar in einem Gutachten aus dem Landwirtschaftsministerium war im Juni 2020 zu lesen, „dass die derzeitige Grundsicherung ohne weitere Unterstützungsressourcen nicht ausreicht, um eine gesundheitsfördernde Ernährung zu realisieren“. Allerdings benötigen wir für solche Erkenntnisse keine wissenschaftlichen Studien. Armut wird „hautnah“ von einem gewichtigen Teil der Bevölkerung erlebt und ist politisch gewollt. 

Als „weitere Unterstützungsressourcen“ für die Betroffenen gelten oft Lebensmittelausgaben, von denen es in Deutschland über 960 gibt. Über 30% davon haben aktuell die Aufnahme neuer Nutzer/innen gestoppt. Viele Tafeln verzeichnen einen Zuwachs von bis zu 50% bei ihrer „Kundschaft“. Gleichzeitig kalkulieren die Supermärkte knapper, daher ist auch die Menge der Lebensmittelspenden gesunken. Eine Rentnerin aus Berlin berichtete in dem erwähnten taz-Artikel von ihren derzeitigen Erfahrungen mit einer Lebensmittelausgabe: „An einem Tag habe ich zwei Stunden angestanden und dafür drei Möhren und ein bisschen Brot bekommen. Dafür muss man einen Euro bezahlen.“ Um dieser Entwürdigung beim Schlangestehen an der Straße zu entgehen, bedarf es  einer sofortigen Regelbedarfserhöhung von mindestens 200 Euro. Um das durchzusetzen, brauchen wir den Druck von Betroffenen und vielen Unterstützer/innen auf der Straße. 

 

Anne Seeck ist schreibende Rentnerin.


MieterEcho 427 / Oktober 2022

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