Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 428 / November 2022

„Das kann ich nicht nachvollziehen“

Ohne deutliche Kritik an der Sanktionspolitik der Bundesregierung ergeben Sozialproteste wenig Sinn

Interview mit Alexander King

MieterEcho: Die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen werden aller Voraussicht nach im Februar 2023 wiederholt. Die Koalition aus SPD, Grünen und Linken hatte also nur ein Jahr Zeit, ihre Vorhaben für die Stadt auf den Weg zu bringen. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey wollte vor allem in den Bereichen Bauen, Wohnen, Bildung und Verwaltung schnell dringend notwendige Entwicklungen anstoßen. Wie bewerten Sie die bisherige Bilanz dieser Regierung?

Alexander King: Es ist schwierig, nach einem Jahr eine Bilanz zu ziehen, denn die Legislaturperiode und der Koalitionsvertrag waren ja auf 5 Jahre ausgelegt. Dazu kommt, dass dieses Jahr durch Entwicklungen überschattet war, die bei Aushandlung des Koalitionsvertrages noch nicht absehbar waren. Ich meine die Auswirkungen von Krieg, Sanktionen und Gegensanktionen, die auch in Berlin voll durchschlagen. Aber in meinem Bereich Energiepolitik sehe ich durchaus positive Ansätze. Wie etwa die Interessenbekundungen des Senats zum Kauf des Fernwärmenetzes und der GASAG-Anteile vom Energiekonzern Vattenfall. Da gibt es zwar noch viele Fragezeichen, aber der eingeschlagene Weg ist richtig.

Positiv sehe ich auch, dass Berlin als erstes Bundesland ein eigenes Entlastungspaket geschnürt hat, das sowohl Darlehen und Zuschüsse für kleine und mittelständische Unternehmen, als auch einen Härtefallfonds für private Haushalte umfasst, um etwa Gas- und Stromsperren zu verhindern. Was wir natürlich besonders kritisieren, ist die Verschleppung des Volksentscheids “Deutsche Wohnen & Co enteignen”.

Für die Berliner Linke war der Volksentscheid der wichtigste Wahlkampfschlager, weil sie ihn als einzige Partei unterstützt hatte. Wohl vor allem deswegen fiel ihr Wahlergebnis im bundesweiten Vergleich relativ gut aus. Doch in den Koalitionsverhandlungen hat sie die Forderung nach Umsetzung des Volksentscheids sehr schnell faktisch aufgegeben. Welche Rolle könnte das bei der Wiederholung der Wahlen spielen? Möglicherweise fühlen sich ja viele Wähler/innen der Linken arg hinter die Fichte geführt.

Ich glaube schon, dass unser Landesverband nach wie vor geschlossen hinter der Forderung nach Umsetzung des Volksentscheids steht. Angesichts der Haltung von SPD und Grünen bei den Koalitionsverhandlungen hätte es nur noch die Alternative gegeben, in die Opposition zu gehen. Aber natürlich müssen wir irgendwann Bilanz ziehen, ob der jetzt eingeschlagene Weg, den Volksentscheid in eine Kommission auszulagern, überhaupt zielführend ist. Und wenn man dann zu dem Ergebnis kommt, dass da nichts in Richtung Umsetzung des Volksentscheids passiert, dann steht natürlich die Koalition für uns in Frage.

In den vergangenen Monaten war die Politik auch in Berlin stark vom Krieg in der Ukraine und den sozialen Folgen geprägt. Hat der Senat auf diese Entwicklung angemessen reagiert?

Im Rahmen der Möglichkeiten, die man auf Landesebene hat, im Großen und Ganzen schon. Aber auf viele Entscheidungen haben wir keinen Einfluss. Ich sehe große Probleme auf Berlin zukommen, wenn die PCK-Raffinerie in Schwedt ab Januar kein russisches Öl mehr annimmt. Wir sind von den dort erzeugten Produkten, wie etwa Diesel, Heizöl, Benzin, Kerosin, Bitumen oder Propangas zu fast 100% abhängig. Und außer wolkigen Ankündigungen neuer Lieferwege für Öl gibt es einfach keine belastbaren Perspektiven, wie es nach dem 1. Januar in Schwedt weitergeht.

Sie gehören zu den Initiator/innen des Bündnisses „Heizung, Brot und Frieden“, das eine möglichst breite Protestbewegung gegen Energiearmut, galoppierende Inflation und auch die Sanktionspolitik der Bundesregierung voranbringen will. Doch von ihrer Parteispitze gibt es dafür keine Unterstützung. Wo steht die Linke in der aktuellen Auseinandersetzung?

Ich war schon enttäuscht, dass es für die Initiative aus dem Landesverband keine Unterstützung gab, wobei uns einzelne Personen und Gliederungen durchaus unterstützen. Aber es gibt große Vorbehalte, wohl auch, weil das Bündnis keine Beißhemmungen gegen die Ampel-Regierung im Bund hat und natürlich auch nicht gegen die Grünen. Unsere erste Protestaktion fand am 5. September ja nicht umsonst vor der Parteizentrale der Grünen statt.

Liegt es nicht vor allem daran, dass große Teile des Landesverbandes die Sanktionspolitik der Bundesregierung ausdrücklich unterstützen?

Ja, das stimmt, das ist ein Konfliktfeld. Ich persönlich unterstütze diese Politik nicht und befinde mich damit in der Partei und in der Fraktion in der Minderheit. Auch in dem Bündnis gibt es keine gemeinsame Position zu dieser Grundfrage. Mein Eindruck ist, dass die meisten Leute die Wirtschaftssanktionen kritisch sehen, aber es ist nicht die Position, die wir gemeinsam nach außen vertreten. Auf unseren Kundgebungen kann diese Position aber von Einzelnen vertreten und begründet werden. Das lehnen große Teile meiner Partei kategorisch ab. Sie wollen das Thema gar nicht ansprechen. Ich halte es für ein Ding der Unmöglichkeit, die aus dieser Politik resultierenden sozialen Fragen davon abzukoppeln. Denn die Sanktionspolitik ist ja die materielle Grundlage für diese Probleme. Und wenn man diesen Zusammenhang negiert, kann man auch keine schlüssigen Antworten für die Krise finden.

Bislang ist das Bündnis mit einer Kundgebung und einer Demonstration in Erscheinung getreten. Doch von einer wirklichen Massenbewegung gegen die herrschende Politik oder gar einem „heißen Herbst“ ist man noch weit entfernt. Wie will man auf diesem Weg in den kommenden Wochen und Monaten vorankommen?

Für die kurze Vorbereitungszeit fand ich die Beteiligung an unseren ersten beiden Aktionen recht gut. Aber es war vom erreichten Spektrum her recht begrenzt, das muss man sich eingestehen. Die „ganz normalen Menschen”, die nicht organisiert und vielleicht auch nicht links sind, aber jetzt viele Sorgen haben, die haben wir bislang nicht erreicht, und das muss sich ändern. Wir wollen jetzt raus aus der City und mehr in die Wohnquartiere dieser Menschen. Für Mitte Dezember ist eine Kundgebung und eine Demonstration in Lichtenberg geplant.

Laut aktuellen Umfragen wird die Linke bei der Wahlwiederholung deutlich Stimmen verlieren. Auch die SPD schwächelt und der Fortbestand der „rot-grün-roten“ Koalition ist wenig wahrscheinlich. Deutliche Zuwächse kann dagegen die AfD erwarten. Wie kann die Linke in diesem Wahlkampf noch dagegenhalten?

Aus meiner Sicht müsste die Linke klare Kante gegen die Bundesregierung und eben auch die Grünen zeigen, denn diese Berliner Wahl wird auch stark von bundespolitischen Themen beherrscht sein. Die AfD gewinnt ja nicht dazu, weil sie in Berlin so eine tolle Politik macht, sondern weil sie sich bundespolitisch mit einem deutlichen Profil aufstellt. Wenn man sich da als Linke zu zaghaft verhält und die Grünen nicht deutlicher angreift, dann ist das wohl nicht die richtige Strategie. Wir sollten die Politik der Ampel und der grünen Minister/innen Baerbock und Habeck frontal kritisieren. Wir könnten den „heißen Herbst” auch schwungvoller gestalten, wenn wir uns nicht ständig in unfruchtbaren Debatten aufreiben würden, wer etwa die „richtige Sprache” hat oder angeblich „rechtsoffen” oder „Putin-freundlich” ist. Das ist lähmend. Auch deswegen ist es katastrophalerweise der AfD gelungen, bislang die größte Mobilisierung bei Protesten in Berlin zu bewerkstelligen.

Das Bild ihrer Partei ist von großer Zerstrittenheit geprägt. Mittlerweile gibt es offene Bestrebungen, den gesamten „Wagenknecht-Flügel“ aus der Linken zu entfernen. Hat die Partei unter diesen Voraussetzungen überhaupt noch eine Zukunft? Oder ist es nicht an der Zeit, über neue Formationen nachzudenken, um dem sozialen Widerstand und dem Kampf gegen die Kriegspolitik eine starke Stimme zu geben?

Diese starke Stimme sollte die Linke sein. Es wäre die Aufgabe der Parteiführung, destruktiven Beiträgen, wie dem Versuch, bestimmte Positionen administrativ auszugrenzen, Einhalt zu gebieten. Sahra Wagenknecht hat am 8. September im Bundestag eine Rede gehalten, die wirklich ins Ziel getroffen hat. Abermillionen Menschen haben diese Rede inzwischen gesehen, und viele haben das Gefühl, dass Wagenknecht genau die richtigen Punkte angesprochen hat. Diese Rede hätte die Linke als Aufbruchssignal für einen heißen Herbst nutzen sollen, statt aus einer kleinen Blase heraus einen Shitstorm gegen ihre beliebteste Politikerin zu entfachen. Das kann ich nicht nachvollziehen. Aber ich hoffe doch, dass die Linke jetzt schnell wieder zu mehr Geschlossenheit findet. Das erwarten die Leute in dieser Situation zu Recht von uns.  

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Rainer Balcerowiak  

 

Alexander King ist seit September 2021 Abgeordneter für Die Linke im Berliner Abgeordentenhaus und Mitinitiator des Bündnisses „Heizung, Brot & Frieden“.


MieterEcho 428 / November 2022

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