Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 426 / August 2022

Bezahlbarer Wohnraum wird zerstört

Habersaathstraße: Symbol im Kampf gegen spekulativen Leerstand und Abriss

Von Niklas Schenker

Bis Ende Dezember 2021 standen aus spekulativen Gründen mehr als 100 bezahlbare Mietwohnungen in der Habersaathstraße 40-48 im Bezirk Mitte jahrelang leer. Infolge einer wiederholten Besetzung stimmte der Eigentümer, die Arcadia Estates GmbH, schließlich einer geduldeten Unterbringung von obdachlosen Menschen in den Häusern zu. Die Bilanz spricht für sich: Heute sind etwa 60 Wohnungen neu bewohnt und von den Menschen, die hier einzogen, konnten viele neuen Halt finden. Damit ist die Habersaathstraße das vielleicht erfolgreichste „Housing First“-Projekt der Republik.   

Der Besetzung ging ein jahrelanger Streit um Leerstand und Abriss zwischen Bezirk und Eigentümer voraus. Aus Sicht des Eigentümers sei der Brandschutz für die Wohnhäuser nicht mehr gegeben, weshalb es sich zweckentfremdungsrechtlich gar nicht mehr um „schützenswerten Wohnraum“ handle. Deshalb will der Eigentümer abreißen, ohne für den zweckentfremdungsrechtlich vorgeschriebenen Ersatzwohnraum mit einer Miete von maximal 7,92 Euro/qm zu sorgen. Diese Miet-
obergrenze wirkt wie eine Spekulationsbremse, denn ohne Fördermittel lässt sich heute kaum eine Neubaumiete in dieser Höhe erreichen. Selbst wenn doch, wäre das nicht besonders lukrativ. Der Fall landete vor Gericht, eine Entscheidung steht bis heute aus. Vor knapp zwei Jahren wurden erstmals Vergleichsverhandlungen zwischen Bezirk und Eigentümer aufgenommen, die jedoch von der damals zuständigen Stadträtin Ramona Reiser (Die Linke) für gescheitert erklärt wurden, weil die Angebote der Arcadia Estates für sie nicht akzeptabel waren.

Ein schlechter „Deal“

Infolge der Besetzung kam auch in die Vergleichsverhandlungen eine neue Dynamik. Der Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel (B 90/ Die Grünen), engagierte sich nicht nur für einen Einzug der ehemals Obdachlosen, sondern ist in der neuen Legislatur auch für das Zweckentfremdungsverbot im Bezirk zuständig. Schon zu Beginn der Unterbringung war klar, dass der Eigentümer nur einwilligte, weil er sich damit Zugeständnisse vom Bezirksamt für einen möglichen Abriss erhoffte. Der Bezirk Mitte suggerierte wohl mindestens Offenheit in dieser Angelegenheit.

Obwohl sich das Angebot des Eigentümers im Vergleich zu den Verhandlungen von vor zwei Jahren kaum verbesserte, schloss der Bezirk Ende Juni tatsächlich einen Vergleich: der Abriss wird genehmigt. Die Bestandsmieter/innen sollen ihre dauerhaften Mietverträge mit sehr günstigen Mietkonditionen aufgeben, dafür erhalten sie das Angebot, in einige der neuen Wohnungen einzuziehen. Für die ehemals obdachlosen Neubewohner/innen sieht der Vergleich keine Lösung vor. Und es wird noch schlimmer: der Eigentümer fühlt sich seinem Angebot nur verpflichtet, sofern die sieben Bestandsmietparteien bis Mitte Juli erklären, ihre dauerhaften und gültigen Mietverträge aufzugeben, was sie nicht taten. Die Abrissgenehmigung bleibt dennoch bestehen. Damit steht das Bezirksamt Mitte nach jahrelangen Verhandlungen ganz ohne Deal und ohne Lösung für die Bestands- und Neubewohner/innen da.

Die Alternative wäre ganz einfach: Der Bezirk hätte den Abriss nicht genehmigen müssen, sondern das laufende Gerichtsverfahren abwarten können. Selbst wenn das Urteil erstinstanzlich gegen den Bezirk ausginge, könnte in einer zweiten Instanz anders entschieden werden. Sicher ist: Der Abriss wäre klimapolitisch schädlich und eine Katastrophe für die neuen und alten Bewohner/innen. Die Habersaathstraße ist vielleicht das wichtigste Symbol im Kampf gegen spekulativen Leerstand und Abriss. Es geht um die Existenz von sieben Bestandsmietparteien und mehr als 60 ehemals Obdachlosen, die wohl kaum irgendwo anders eine Wohnung finden werden. Die spekulative Absicht des Eigentümers ist bekannt. Von einer Bezirksverwaltung muss man erwarten, dass sie die ganze Klaviatur der ihr zur Verfügung stehenden Instrumente auffährt (Planungsrecht, Ordnungsrecht etc.), statt vorzeitig das Handtuch zu werfen. Sicher ist aber auch: Bis der Bagger anrollt, wird der Kampf um den Erhalt der Häuser weitergehen. Gut so!

 

Niklas Schenker ist Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und Sprecher für Mieten, Wohnen, öffentlichen Wohnungsbau und Wohnungsbauförderung der Linksfraktion.


MieterEcho 426 / August 2022

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