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MieterEcho 422 / Februar 2022

„Aktivist im Parlament“

Die Linke sollte sich an die Seite der sozialen Bewegungen stellen

Interview mit Ferat Koçak

MieterEcho: Sie sind als Vertreter des Bezirksverbands Neukölln über die Landesliste der Linken erstmals ins Abgeordnetenhaus gewählt worden. Anschließend haben Sie Ihr Selbstverständnis mit den Worten „Ich bin Aktivist im Parlament“ beschrieben. Was heißt das konkret?

Ferat Koçak: Das bedeutet, dass für mich die sozialen Bewegungen und die Kämpfe auf der Straße oberste Priorität haben. Ich bin seit vielen Jahren in solchen Bewegungen aktiv, gegen Rassismus, gegen Nazis, gegen Verdrängung aus dem Kiez. Das will ich ins Parlament tragen, um diese Bewegungen zu stärken.

Sie haben nach dem Abschluss der Kapitulationsverhandlungen vehement dafür geworben, beim Mitgliederentscheid der Linken mit „Nein“ zu stimmen und in die Opposition zu gehen. Was sind denn Ihre Hauptkritikpunkte an dem Koalitionsvertrag?

Das ist vor allem das Thema Wohnen und die gesamte Stadtplanung. Die SPD übernimmt jetzt diesen Bereich, um im engen Schulterschluss mit der Immobilienwirtschaft unter der Losung „Bauen, bauen, bauen“ zu agieren. Natürlich wollen wir als Linke auch neue Wohnungen bauen, aber vor allem in kommunaler Trägerschaft. Und wir müssen Wege finden, die Mieten gering zu halten. Schließlich gab es den erfolgreichen Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne, der jetzt umgesetzt werden muss. Doch das ist im Koalitionsvertrag nicht enthalten und mit dieser SPD auch nicht zu machen. Aber auch in Bereichen wie Antirassismus, Kriminalisierung und Repression ist dieser Koalitionsvertrag für mich keine Grundlage für eine progressive Politik. Wir sollten weniger in die Aufrüstung der Polizei, dafür aber deutlich mehr in die soziale Prävention investieren.

Die Mitglieder haben mit 74,9% für den Koalitionsvertrag und den Eintritt in die Regierung mit SPD und Grünen gestimmt. Welche Konsequenzen hat dieses Ergebnis für Sie?

Es haben ja nur 50% der Mitglieder abgestimmt, und von denen rund ein Viertel gegen den Vertrag und die Regierungsbeteiligung. Das zeigt, dass es eine große Verunsicherung an der Basis gibt. Jetzt müssen wir vor allem sehen, wie wir im Vertrag benannte Punkte wie die Überwindung der Wohnungslosigkeit, eine humane Migrationspolitik und mehr Partizipation durchsetzen können. Und natürlich muss der Volksentscheid umgesetzt werden. 

Vor dem Mitgliederentscheid haben Sie gewarnt, dass die Linke sich von den sozialen Bewegungen der Stadt entfremden würde, wenn sie mit diesem Vertrag in die Regierung eintritt.

Natürlich ist diese Gefahr nach wie vor gegeben. Wir müssen uns als Fraktion jetzt ganz klar an die Seite der Bewegungen stellen, wenn es etwa um Räumungen und Abschiebungen oder auch um den Volksentscheid geht. Da müssen wir im Parlament Flagge zeigen und gegebenenfalls auch den Koalitionspartner kritisieren und unter Druck setzen.

Fühlen Sie sich als Mitglied einer Regierungsfraktion an die Fraktionsdisziplin gebunden?

Für mich als Linker ist es problematisch, in diesem Zusammenhang von Disziplin zu reden. Ich habe schon als Kind gelernt, dass ich mich gegen übermäßigen Druck zu Wehr setzen muss. Ich bin seit über 20 Jahren auf der Straße aktiv und zusammen mit vielen anderen für meine Anliegen eingetreten. Ich würde mich unglaubwürdig machen, wenn ich im Parlament dann plötzlich Sachen vertrete, die dem total widersprechen. Natürlich will ich auch kein „Störfaktor“ in der Fraktion sein, sondern vor allem für meine Positionen werben. Einen Fraktionszwang gibt es nicht, wir brauchen eine politische Kultur, in der andere Meinungen auch akzeptiert werden, wenn es zu keiner Einigung kommt. Die Diversität und Vielfalt der Partei macht eigentlich den Kern der Linken aus.

Wo sind denn für Sie mögliche rote Linien?

Ich bin ja neu im Parlament und muss mich in die ganzen Prozesse erst einarbeiten, etwa auch als Sprecher für Klimapolitik. Einige Sachen würde ich aber auf keinen Fall mitmachen. Das wären zum Beispiel Entscheidungen gegen ein Vergesellschaftungsgesetz, für den Ausbau der Polizeikontrolle im öffentlichen Raum oder für die immer noch laufende S-Bahn-Ausschreibung. Da will ich dann auch in der Öffentlichkeit klarmachen, dass ich eine andere Position vertrete.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Rainer Balcerowiak.

 

Ferat Koçak ist Diplom-Volkswirt und Spezialist für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit. Seit vielen Jahren ist er vor allem in Neukölln in antirassistischen und antifaschistischen Initiativen aktiv. Er ist Abgeordneter der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus.


MieterEcho 422 / Februar 2022