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MieterEcho 420 / September 2021

Vorstoß für bundesweiten Mietendeckel

Eine neue Studie der Linksfraktion im Bundestag beleuchtet Chancen und Grenzen umfassender Regulierungen

Von Rainer Balcerowiak

Gibt es nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Berliner Mietendeckel überhaupt noch eine Möglichkeit fЯr eine durchgreifende, umfassende Regulierung der Mieten? Ja, meinen der Stadtsoziologe Andrej Holm und der Mietrechtsfachanwalt Benjamin Raabe, die im Auftrag der Linksfraktion im Bundestag und der Rosa-Luxemburg-Stiftung eine umfangreiche Studie erarbeitet haben, die am 31. August vorgestellt wurde.

Basierend auf der Auswertung aktueller Mietspiegel- und Zensusdaten zeigt die Studie die Notwendigkeit einer solchen umfassenden mietrechtlichen Neuregelung. Demnach sind in den untersuchten 42 Großstädten die Bestandsmieten im Durchschnitt zwischen 2013 und 2018 doppelt so stark angestiegen wie der allgemeine Preisindex. Bei Neuvermietungen war es sogar das Fünffache. Und der durchschnittliche Anteil der Mietkosten an den Haushaltseinkommen steigt stetig.

Zwar sieht das Bundesrecht einige Instrumente zur Begrenzung des Mietanstiegs vor, doch die sind weitgehend wirkungslos geblieben. Die 2015 beschlossene „Mietpreisbremse“ sieht zwar vor, dass Mieten bei Neuverträgen maximal 20% über dem jeweiligen Mietspiegelwert liegen dürfen. Doch es gibt zahlreiche Ausnahmen, und generell gilt für bereits überhöhte Mieten Bestandsschutz. Als mietpreistreibend erweisen sich auch die Regeln zur Erstellung von Mietspiegeln, wo zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmieten eben nicht alle Bestandsmieten herangezogen werden, sondern nur jene, die in den vergangenen sechs Jahren vertraglich vereinbart oder verändert wurden. In der Studie wird vorgeschlagen, das derzeit geltende Vergleichsmietensystem durch die örtlich ermittelten „echten Durchschnittsmieten“ in den verschiedenen Baualtersklassen zu ersetzen, eine Berechnungsweise, die in der Bundesrepublik bis 1982 galt. Dadurch würden alle Bestandsmieten in die Ermittlung der Referenzwerte für Mietobergrenzen und Mieterhöhungen einfließen. Notwendig dafür wäre eine Neufassung des § 558 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). 

„Wucherparagraph“ bisher wirkungslos 

Dieses Referenzmietensystem würde auch als Berechnungsgrundlage für die Anwendung des „Wucherparagraphen“ (§ 5) im Wirtschaftsstrafgesetz (WiStG) herangezogen werden können. Dort gelten „unangemessen hohe Entgelte“ bei Mieten als Ordnungswidrigkeit und bei extremen Überschreitungen der Vergleichsmieten als Straftat. Die Schwellenwerte dafür liegen bei Überhöhungen von 20 bzw. 50%. In der Praxis ist dieser Paragraph derzeit aber kaum anwendbar. Denn laut einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom Januar 2004 muss der betroffene Mieter individuell nachweisen, dass der Vermieter seine Notlage gezielt ausgenutzt hat, da es keine Alternativen bei der Wohnungssuche gab. Ein Nachweis, der in der Praxis kaum gerichtsfest zu erbringen ist.

In der Studie wird vorgeschlagen, den § 5 WiStG durch eine „effektive ordnungsrechtliche Eingriffsnorm zu flankieren“. In dieser wäre das „Vorliegen einer Mangellage“, etwa durch die auf kommunaler Ebene erfolgte Einstufung als „angespannter Wohnungsmarkt“, rechtliche Grundlage für die Feststellung einer verbotenen Mietpreisüberhöhung. Die Umsetzung könnte dann auch unabhängig von individuell zu führenden Prozessen von den örtlichen Wohnungsämtern übernommen werden.

Die in der Studie skizzierten Elemente eines entsprechenden Bundesgesetzes zur Mietenregulierung berücksichtigen auch die unterschiedlichen Lebens- und Einkommensverhältnisse in Deutschland. Unterschieden wird zwischen Ländern bzw. Städten und Gemeinden mit ausgeglichenem Wohnungsmarkt, mit angespanntem Wohnungsmarkt und Wohnungsnotgebieten.

In Gebieten mit ausgeglichenem Wohnungsmarkt sollen vor allem Mietpreisüberhöhungen auf Basis des reformierten „Wucherparagraphen“ bei einer Kappungsgrenze von 20% unterbunden werden. Reguläre Mieterhöhungen sollen – wie bisher – bei maximal 20% binnen drei Jahren möglich sein, begrenzt durch die Referenzmiete. Für Neuvermietungen ist keine Deckelung vorgesehen, die über den „Wucherparagrafen“ hinausgeht.

In Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten käme die Möglichkeit dazu, Mieterhöhungen bis auf einen Inflationsausgleich generell zu stoppen. Bei Neuvermietungen läge die Kappungsgrenze bei 10% oberhalb der Referenzmiete. 

Deutlich härtere Eingriffe sind für Wohnungsnotgebiete vorgesehen. Dort soll es die Möglichkeit geben, die Mieten für einen befristeten Zeitraum komplett einzufrieren. Aufschläge bei Neuvermietungen sind nicht zulässig. Zudem wird den Ländern die Möglichkeit eingeräumt, eine „leistbare Miete“ zu bestimmen, die 30% des monatlichen Nettomedianeinkommens der örtlichen Haushalte nicht übersteigen soll und von der Referenzmiete abweichen, also darunter liegen kann.  

Kriterien für die Feststellung einer Wohnungsnotlage sind dabei überdurchschnittliche Mietsteigerungen in den vergangenen fünf Jahren, überdurchschnittliche Diskrepanz zwischen Bestands- und Angebotsmieten und eine Mietkostenbelastung von über 30% des Medianeinkommen für mehr als 50% der Bevölkerung. Sind zwei dieser drei Kriterien erfüllt, muss laut der Studie eine Wohnungsnotlage festgestellt werden. Betroffen wären davon derzeit unter anderem Berlin, Bielefeld, Frankfurt, Hamburg, Köln, München und Stuttgart.

Frei finanzierte Neubauten sollen allerdings generell von den Mietenregulierungen ausgenommen werden. Zum einen könnten für dieses Segment in den ersten Jahren nach Erstbezug keine Referenzmieten ermittelt werden. Außerdem wolle man angesichts des dramatischen Wohnungsmangels keine Investitionshemmnisse schaffen, heißt es zur Begründung. Das unterstreicht umso mehr die Notwendigkeit für öffentliche Investitionen in den kommunalen Wohnungsbau zur Schaffung von dauerhaft preisgebundenen Neubauwohnungen. Zur Finanzierung könnten auch die Einsparungen verwendet werden, die durch die Mietenregulierung entstehen, vor allem beim Wohngeld.

Kommunen sollen ausgestalten

Für die Autoren der Studie ist es nicht zuletzt aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Berliner Mietendeckel alternativlos, entsprechende Regulierungen bundesrechtlich zu regeln. Eine reine Öffnungs- oder Ermächtigungsklausel wäre verfassungsrechtlich kaum haltbar und würde zudem „erhebliche Risiken“ bergen, weil Länder dann auch im negativen Sinne vom Bundesrecht abweichen könnten. Den Ländern soll aber die Umsetzung eines Mietendeckelgesetzes obliegen, in Form einer Ermächtigung oder gar Verpflichtung zum Erlass entsprechender Verordnungen. Entsprechende Ermächtigungen vom Bund für die Kommunen sind allerdings nicht vorstellbar. Auf Landesebene allerdings schon. Gerade in großen Flächenländern ließe sich „eine ausdifferenzierte Regulierung durch Übertragung der Verordnungsermächtigung auf die Kommunen besser erreichen als über den Landesgesetzgeber“, heißt es dazu in der Studie. Das gelte besonders für die Feststellung von angespannten Wohnungsmärkten und Wohnungsnotlagen.  

Doch bevor die Kompetenzfrage zwischen Ländern und Kommunen überhaupt eine Rolle spielt, gilt es erst mal den dicksten Brocken zu bewältigen. Denn für die Umstellung der ortsüblichen Vergleichsmiete auf eine „echte Durchschnittsmiete“ als Referenzwert für Mietobergrenzen und die Einführung der „leistbaren Miete“ als Kriterium in Gebieten mit Wohnungsnotlagen bräuchte es entsprechende Änderungen von Bundesgesetzen. Das gilt auch für den „Wucherparagraphen“ im Wirtschaftsstrafgesetz. Auch die Mietpreisbremse müsste auf Bundesebene erneut nachgeschärft werden. Außerdem gilt es, verfassungsrechtliche Klippen beim Bestands- und Eigentumsschutz zu umschiffen, da die Immobilienlobby derartige Eingriffe mit Sicherheit nicht kampflos geschehen ließe. 

Caren Lay, mietenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, bewertete die Studie bei ihrer Vorstellung als„realpolitischen, differenzierten Vorschlag“, der zudem „verfassungsrechtlich wasserfest“ sei. Es sei nun Aufgabe der neuen Bundesregierung, eine entsprechende grundlegende Reform des Mietrechts auf den Weg zu bringen. Angesichts der realistischerweise zu erwartenden Regierungskoalitionen ist allerdings nicht davon auszugehen, dass das geschehen wird. Umso mehr besteht die Notwendigkeit, dass die Mieterbewegung weiterhin großen politischen und gesellschaftlichen Druck ausübt.     


MieterEcho 420 / September 2021