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MieterEcho 420 / September 2021

Volksentscheid als Appell an die Politik

Das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ hat die Eigentumsverhältnisse auf dem Immobilienmarkt auf die politische Agenda gesetzt

Von Rainer Balcerowiak

Wenn die Berliner/innern am 26. September zur Wahl gehen, dann können sie nicht nur 5 Kreuze für Erst- und Zweitstimmen für den Bundestag und das Abgeordnetenhaus sowie eine Liste für die jeweilige Bezirksverordnetenversammlung machen, sondern ein 6. Kreuz für oder gegen ein Volksbegehren zur Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Immobilienkonzerne.

Der Legende nach entstand die Idee zu diesem Volksbegehren irgendwann im Winter 2017/18 an einem Kreuzberger Kneipentisch, als sich zwei altgediente Kämpen der linken Berliner Szene beim Bier überlegten, was für ein großes Ding man gegen Wohnungsnot und Mietwucher machen könnte. Es folgten unzählige Treffen in kleinen und stetig größer werdenden Gruppen und bald stieg auch die „Interventionistische Linke“ (IL), die bereits Erfahrungen bei der Vernetzung von Deutsche Wohnen-Mietern gesammelt hatte, in die geplante Kampagne ein.

Nach einigen Verzögerungen startete schließlich im April 2019 die 1. Stufe des Volksbegehrens. Die für einen Erfolg notwendigen 20.000 gültigen Unterschriften wurden bereits nach wenigen Wochen weit übertroffen. Allmählich begann auch die offizielle Politik, die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ ernst zu nehmen. Bald bildeten sich eindeutige Lager in der Stadt. Die Linke unterstützte die Initiative, die Grünen mochten eine Enteignung als „letztes Mittel“ nicht ausschließen, die SPD, deren Landeschef und Regierender Bürgerminister Michael Müller zunächst eine ähnliche Haltung angenommen hatte, legte sich schließlich auf Ablehnung fest und CDU und FDP waren sowieso dagegen. 

Senat wollte Kampagne aussitzen

Nach der erfolgreichen 1. Stufe lag das Volksbegehren für lange Zeit auf Eis. Denn die von Andreas Geisel (SPD) geführte Senatsinnenverwaltung ließ sich bei der Prüfung des Anliegens der Initiative sehr viel Zeit, eine gesetzliche Frist für die Zulassung zur 2. Stufe, nach deren erfolgreicher Bewältigung ein Volksentscheid durchgeführt werden muss, gibt es nicht. Zudem wurde die mieten- und wohnungspolitische Auseinandersetzung in der Stadt mittlerweile von einem anderen Thema geprägt. Die SPD „entdeckte“ einen längeren Aufsatz des auf Mietrecht spezialisierten Anwalts Peter Weber, der im November 2018 in einer juristischen Fachzeitschrift erschienen war. Unter dem Titel „Mittel und Wege landeseigenen Mietpreisrechts in angespannten Wohnungsmärkten“, skizzierte Weber, der seinerzeit in der auch für Zweckentfremdung von Wohnraum zuständigen Abteilung des Bezirksamts Pankow tätig war, die Möglichkeiten eines durchgreifenden Mietendeckels auf Landesebene, mit strikten Mietobergrenzen nicht nur für Neuvermietungen, sondern auch für Bestandsverträge. Weber bezog sich dabei auf die Föderalismusreform von 2006, die den Ländern trotz des bundeseinheitlichen, im BGB geregelten Mietpreisrechts eigene Regelungskompetenzen für das Wohnungswesen einräumte.

Weber nahm Kontakt mit Vertreter/innen der rot-rot-grünen Koalition auf, stieß bei Linken und Grünen aber auf wenig Interesse. So blieb es der Juristin und SPD-Bundesabgeordneten Eva Högl vorbehalten, diese Idee mit einem Gastartikel im Berliner Tagesspiegel zu forcieren. Nach langem Gezerre innerhalb der Koalition wurde der Mietendeckel schließlich im Januar 2020 verabschiedet. 

Das Enteignungsvolksbegehren drohte derweil trotz energischer Proteste der Initiatoren und ihrer Unterstützer/innen in den Mühlen der Bürokratie zu versanden – die SPD wollte das Thema offensichtlich aussitzen. Als dann auch Klagen gegen diese Verschleppung im Raum standen, gab Geisel im September 2020 schließlich grünes Licht für die 2. Stufe. Die Initiative begann mit den konkreten Vorbereitungen und entschied sich schließlich für ein sogenanntes Beschlussvolksbegehren. Dieses hat kein konkretes Gesetz zum Inhalt, was nach erfolgreichem Volksentscheid für die Landesregierung bindend wäre, sondern lediglich eine Aufforderung an den Senat, ein entsprechendes Gesetz zur Überführung der Bestände großer privater Wohnungsunternehmen zu erarbeiten und zu verabschieden. 

Die Unterschriftensammlung für die 2. Stufe begann am 26. Februar. Nunmehr galt es, binnen 4 Monaten, also bis zum 25. Juni, 177.000 gültige Unterschriften zu sammeln, um einen Volksentscheid parallel zur Wahl des Abgeordnetenhauses am 26. September zu erzwingen.

Nach einem furiosen Start verlief die Sammlung zunächst eher schleppend. Es mehrten sich Befürchtungen, dass das gesteckte Ziel möglicherweise nicht erreicht werden würde. Doch am 16. April sorgte das Bundesverfassungsgericht für einen gewaltigen neuen Schub, denn der Berliner Mietendeckel wurde von den Karlsruher Richter/innen komplett für null und nichtig erklärt. Die Kampagne wuchs auf über 1.000 aktive Unterstützer/innen in den Kiezteams, neben der Linkspartei unterstützten auch Mieterinitiativen, Verbände und Gewerkschaften die Sammlung – die nach dem Kippen des Mietendeckels auch auf viel mehr Resonanz in der Bevölkerung stieß. Ende Mai war bereits absehbar, dass die 177.000 Unterschriften erreicht werden, am Ende waren es über 300.000. Dem Volksentscheid steht nichts mehr im Weg. Politisch betrachtet ist das zweifellos ein bemerkenswerter Vorgang. Denn ausgerechnet in der langen Zeit von tumbem Antikommunismus geprägten Stadt Berlin gab es nunmehr massenhafte Unterstützung für „sozialistisches Teufelszeug“ wie Enteignungen und Vergesellschaftungen. Bestehende Eigentumsverhältnisse werden von großen Teilen der Bevölkerung nicht mehr als unveränderlich oder gar „gerecht“ empfunden. Und das weit in die Klientele von SPD, CDU und auch der AfD hinein. Es ist zweifellos ein Verdienst dieser Initiative, eine im besten Sinne „linkspopulistische“, antikapitalistische Kampagne erfolgreich initiiert und verbreitert zu haben. 

Volksbegehren ist eher ein Appell

Materiell ist von dem Volksentscheid, falls er denn erfolgreich sein sollte, allerdings kaum etwas zu erwarten. Zum einen soll es sich nicht um eine „Enteignung“ im klassischen Sinne handeln. Vielmehr geht es um eine Art gesetzlich angeordneten Zwangsverkauf an kommunale Träger. Wobei der zu entrichtende Preis voraussichtlich erst durch langwierige Gerichtsverfahren ermittelt werden würde. Und zum anderen hat der Volksentscheid kein entsprechendes Gesetz zum Inhalt, sondern nur die Aufforderung an den kommenden Senat, ein solches zu erlassen.  Was dieser wohl – egal wie die Wahl nun ausgeht – kaum tun wird, da außer den Linken keine Partei die Enteignungsforderung unterstützt. CDU, FDP und SPD sind strikt dagegen, die SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey hat auch unmissverständlich klargemacht, dass es mit ihr in einer Regierung ein solches Gesetz nicht geben werde. Auch die Grünen wollen das allenfalls als „letztes Mittel“ in Erwägung ziehen und präferieren verbindliche Vereinbarungen mit den Großvermietern über die Begrenzung von Mieterhöhungen. Außerdem ignoriert das Volksbegehren geflissentlich das Hauptproblem des Berliner Wohnungsmarktes: Den Mangel an dauerhaft bezahlbaren Wohnungen und den Mangel an Wohnungen überhaupt. Und dieses Defizit ist in erster Linie nur durch den massiven Neubau kommunaler Wohnungen zu überwinden. Den politischen Verdienst der Initiative, das Thema Enteignung in den Fokus der stadtpolitischen Auseinandersetzung gerückt zu haben, schmälert das aber nicht.

Wie der Volksentscheid am 26. September ausgehen wird, ist offen. Zumal die Initiative derzeit von einer internen Affäre durchgeschüttelt wird, deren Bedeutung weit über die aktuelle Kampagne hinausgeht. Gegen den Kampagnensprecher Michael P. wurde Ende Juni von einer Aktivistin der Vorwurf einer sexuellen Belästigung erhoben. Obwohl P. den Vorwurf vehement bestreitet und als „frei erfunden“ bezeichnet, wurde der Vorwurf seitens des Leitungsgremiums der Kampagne als wahr und unhinterfragbar eingestuft. P. wurde ohne Anhörung aus der Kampagne ausgeschlossen. Kritiker/innen dieses Vorgehens wurden als „Täterschützer*innen“ diffamiert, das Büroteam Hals über Kopf aufgelöst. Hintergrund ist das besonders von der IL vertretene Konzept der „Definitionsmacht“ der Beschuldigenden in Fällen sexueller Übergriffe. Nach einigen Presseveröffentlichungen und Erklärungen des Beschuldigten, der sich inzwischen anwaltlich vertreten lässt und Gegenklage wegen Falschanzeige und Verleumdung eingereicht hat, tobt die Auseinandersetzung über dieses Vorgehen in der Initiative. Keine guten Voraussetzungen also für einen kraftvollen Wahlkampf für das Volksbegehren.  


MieterEcho 420 / September 2021