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MieterEcho 421 / Dezember 2021

Krankenhäuser raus aus der Profitzone

Der Kampf gegen das System der Fallpauschalen hat begonnen

Von Hermann Werle

Breite Mobilisierungen, ein Ultimatum und wochenlange Streiks in den Berliner Kliniken und Tochtergesellschaften erzwingen höhere Löhne, Arbeitsentlastung und mehr Personal. Allerdings kann der Erfolg nicht über die strukturellen Probleme der Krankenhausfinanzierung und Personalausstattung hinwegtäuschen. Ein auf Profit getrimmtes Gesundheitswesen wird weiterhin zu Lasten der Beschäftigten wie auch der Patient/innen gehen.

Die prekären Arbeitsbedingungen in Deutschlands Kliniken sind lange bekannt und durch die Pandemie nur noch offenkundiger geworden. Entsprechend der Missstände hatten die Berliner Senatspartner SPD, Linke und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag von 2016 Verbesserungen angekündigt: „Sie (die Koalition) setzt sich zudem dafür ein, dass auch für Landesunternehmen und ihre Tochterunternehmen, die bisher noch nicht tarifgebunden sind, zügig mit dem Ziel der Beschäftigungssicherung und der Angleichung an den TVöD Tarifverträge abgeschlossen werden.“ Und unter dem Kapitel „Gesundes Berlin“ war zu lesen: „Die landeseigenen Kliniken müssen vorangehen, wenn der Pflegeberuf attraktiver gemacht werden soll. Bessere Arbeitsbedingungen, eine angemessene Bezahlung und familienfreundliche Arbeitszeiten für alle Berufsgruppen sind beispielhaft umzusetzen.“

Fünf Jahre später fällt ins Auge, dass die Formulierungen unverbindlich genug sind, um keine direkte Verantwortung der Politik daraus abzuleiten. Und nach fünf Jahren Tatenlosigkeit und vom Wahlkampf getrieben, unterstützten die Spitzenvertreter/innen der Senatsparteien wortstark die Beschäftigten in ihrem aktuellen Kampf, als seien die landeseigenen Kliniken außerhalb ihrer politischen Zuständigkeit.

Wut, Entschlossenheit und Organisierung

Für die Beschäftigten der Kliniken und Tochtergesellschaften war der Koalitionsvertrag nicht das Papier wert und angesichts der extremen Belastungen platzte vielen der Kragen. Es folgte ein gut und lange organisierter Arbeitskampf, den die Beschäftigten der landeseigenen Charité, der Vivantes-Kliniken und Tochtergesellschaften vor den Wahlen im September auch zeitlich sehr gut zu initiieren wussten. Die Berliner Krankenhausbewegung, zu der sich die Beschäftigten zusammengeschlossen hatten, verkündete am 12. Mai vor dem Roten Rathaus ein Ultimatum von 100 Tagen. Gefordert wurden ein Entlastungstarifvertrag sowie die überfällige Überführung der Tochterunternehmen von Vivantes und Charité in den Tarifvertrag Öffentliche Dienste (TVöD). Sollte diesen Forderungen nicht entsprochen werden, sei ein Streik beschlossene Sache. Und so kam es dann auch: Am 9. September begann der unbefristete Streik der Beschäftigten und beeindruckte mit einer starken Beteiligung aller Berufsgruppen. Der Erfolg dieser Mobilisierung fiel dabei nicht vom Himmel, sondern war das Ergebnis von Wut, Entschlossenheit und einer durchdachten Organisierungskampagne, die ver.di zudem über 2.000 neue Mitglieder verschaffte. Bis Ende Oktober wurden Eckpunktepapiere sowohl für die Beschäftigten der Kliniken als auch der Tochtergesellschaften ausgehandelt, deren Details noch in diesem Jahr in einem Tarifvertrag ausformuliert werden sollen. Insbesondere für die unteren Lohngruppen bedeutet das deutlich höhere Einkommen, wie der ver.di-Verhandlungsführer Ivo Garbe Ende Oktober verkündete.  

Systemfehler Fallpauschalen

Gleichzeitig mit den Arbeitskämpfen in Berlin streikten die Beschäftigten der Asklepios-Kliniken in Brandenburg an der Havel, Lübben und Teupitz. Gefordert wird die Angleichung der Löhne an die Bedingungen bei den Asklepios-Kliniken in Hamburg, wo die Beschäftigten jährlich bis zu 10.600 Euro mehr verdienen. In Gießen und Marburg fordert eine Kampagne die Rückübertragung des 2006 privatisierten Universitätsklinikums in Landeseigentum. Seit letztem Jahr gehört dieses durch die Übernahme der Rhön-Kliniken ebenfalls zum Asklepios-Konzern. Seit der Privatisierung gerät die zuvor aus den Standorten in Marburg und Gießen zusammengeführte Uni-Klinik immer wieder in die Schlagzeilen, zuletzt als eine komplette Stationsbelegschaft wegen der unhaltbaren Arbeitsbedingungen kündigte. Die seit Jahren aufkommenden Konflikte in Krankenhäusern deuten darauf hin, dass die Ursachen der Probleme in den strukturellen Veränderungen der letzten Jahrzehnte zu finden sind. Dabei arbeiteten Bundesregierung und Länderregierungen Hand in Hand. Auf Bundesebene wurde die Krankenhausfinanzierung auf den Kopf gestellt und auf Länderebene wurden die Gesundheitsdienste und Kliniken kaputtgespart bis es kracht. Sämtliche Maßnahmen dienten dem Ziel, aus der Gesundheitsversorgung einen Gesundheitsmarkt zu gestalten, der lukrativ für nationale wie internationale Investoren ist. Waren 1991 lediglich 14,8% der Kliniken in privater Trägerschaft und 46% in öffentlichem Eigentum, befanden sich 2019 37,8% in privater und nur noch 28,5% in öffentlicher Trägerschaft. Entscheidender Hebel zur betriebswirtschaftlichen Ausrichtung der Krankenhäuser war die Einführung der Fallpauschalen, auf deren schädliche Auswirkungen schon bei deren verbindlichen Einführung 2004 hingewiesen wurde (vgl. MieterEcho 304/ Juni 2004).

Systemfehler Sarrazin

In Berlin gehen die schärfsten Einschnitte in der Krankenhausversorgung auf den SPD/PDS-Senat und die Dienstzeit Thilo Sarrazins (SPD) als Finanzsenator zurück, wie die jährlich veröffentlichten Beteiligungsberichte des Landes Berlin belegen. So konnte Sarrazin in dem Bericht für das Jahr 2006 stolz vermelden, dass sich „zurückblickend auf das Jahr 2002, in dem ich mein Amt als Finanzsenator angetreten habe (…) eine Umkehr der seinerzeit fatalen Situation mit einem Ergebnisdefizit von über 1 Mrd. € in eine positive Lage mit einem Plus in dieser Größenordnung erreicht“ wurde. „Die Konsolidierung der großen Unternehmen wie BVG, Berliner Wasserbetriebe, BSR und Vivantes konnte 2006 fortgeführt werden“ und „alle Wohnungsbaugesellschaften weisen ‚schwarze Zahlen‘ aus“. Wenn immer größer werdende Anteile der Löhne und Gehälter für die Miete draufgehen, so ist das auf diese Jahre des neoliberalen Umbaus zurückzuführen, des massiven Personalabbaus, der Ausgliederungen in Tochtergesellschaften und der Privatisierungen kommunaler Betriebe der Daseinsvorsorge inklusive zehntausender Wohnungen.

In dem von Sarrazin beschriebenen Zeitraum zwischen 2002 und 2006 wurde laut Beteiligungsbericht bei Vivantes die Zahl der Beschäftigten von 11.581 auf 10.019 reduziert und damit die Personalkostenquote von 73,4 auf 69,3% gesenkt. Diese Quote, die das Verhältnis der Personalkosten zu den Umsatzerlösen beschreibt, fiel bis 2019 noch weiter auf 65,9%. Gleichzeitig fiel die durch die Fallpauschalen angeregte Verkürzung der Verweildauer der Patient/innen von durchschnittlich 9,5 Tagen in 2002 auf 7,2 Tage in 2019. Die Verweildauer ist eine relevante Kennziffer, die in den Geschäftsberichten der Klinikkonzerne regelmäßig Erwähnung findet. So heißt es im Bericht des Branchenführers Fresenius-Helios, dass Krankenhausbetreiber „von einer Verweildauer unterhalb des Durchschnitts von 7,2 Tagen profitieren“, wobei die Helios-Kliniken bei 5,7 Tagen lägen. Die Rechnung ist recht einfach, je kürzer die Verweildauer, umso geringer die Kosten, insbesondere die des Pflegepersonals. Bei gegebener Vergütung nach Fallpauschalen ergeben sich steigende Profite durch möglichst kurze Verweildauern.

Kampf den Fallpauschalen

Mit einem Umsatz von 1,37 Milliarden Euro in 2019 liegt der Vivantes-Konzern deutlich hinter den Branchenführern wie dem börsennotierten Fresenius/Helios-Konzern mit annähernd 6 Milliarden Euro sowie der Asklepios GmbH, die mit der Übernahme der Rhön-Kliniken annähernd auf 5 Milliarden Euro kommt und der Sana-Kliniken AG mit 2,9 Milliarden Umsatz. Ähnlich wie Vonovia und andere wachstums- und renditeorientierte Wohnungskonzerne aus dem Privatisierungsgeschehen der letzten Jahrzehnte hervorgegangen sind, verhält es sich bei den großen Klinikkonzernen. Diese beherrschen immer größere Teile des Krankenhausmarktes, wobei der Renditehunger mit dem System der Fallpauschalen gestillt wird. Die von der Krankenhausbewegung und ver.di geforderte Abschaffung der Fallpauschalen steht also ebenso auf der Tagesordnung künftiger Kämpfe wie die Vergesellschaftung von Kliniken wie in Marburg und Gießen. Letztere dürfte umso leichter realisierbar sein, je stärker dem Profitstreben die Grundlage entzogen wird.

 


MieterEcho 421 / Dezember 2021